Ein Ausschnitt der neuen Nasa-Simulation eines Schwarzen Lochs.
IMAGO/USA TODAY Network

Schwarze Löcher können ohne Übertreibung als die extremsten Objekte im Universum bezeichnet werden. Die Gesetze der Physik werden dabei bis an ihre Grenzen ausgereizt und versagen schließlich am zentralen Punkt, der Singularität. Weniger bekannt ist, dass es sich bei Schwarzen Löchern aus Sicht der allgemeinen Relativitätstheorie um sehr einfache Objekte handelt. Nachdem Einstein die nach ihm benannten Feldgleichungen 1915 publizierte, war er noch nicht in der Lage, Lösungen dafür anzugeben, um damit reale physikalische Systeme zu beschreiben.

Das gelang noch im selben Jahr dem Astrophysiker Karl Schwarzschild, der während des Ersten Weltkriegs freiwillig an der Ostfront diente und Bahnen für Artilleriegeschoße berechnete. Er bekam eine Kopie von Einsteins Arbeit in die Finger und fand als Erster eine konkrete Lösung für die Feldgleichungen. Zugleich ist die eine der wichtigsten: Sie beschreibt den Raum um eine einzelne, nicht rotierende, kugelsymmetrische Masse. Damit ließ sich ein Stern beschreiben. Das berichtete Schwarzschild Einstein in einem Brief von der Front, der beim Meister auf großes Gefallen stieß.

Die nach ihm beschriebene Schwarzschild-Metrik hat allerdings einige weniger einleuchtende Eigenschaften. Für eine sehr dichte Masse schien das Modell an seine Grenzen zu kommen. Einstein schrieb 1939 noch, er glaube nicht, dass Objekte mit diesen Eigenschaften tatsächlich existierten. Heute wissen wir es besser und nennen sie Schwarze Löcher.

Rechenintensive Nasa-Simulation

Die extreme Raumkrümmung um Schwarze Löcher lässt sie wie Linsen funktionieren, die Licht bündeln und so auch Dinge sichtbar werden lassen, die sich eigentlich hinter ihnen befinden. Dabei verzerrt sich etwa die Akkretionsscheibe, eine flache, leuchtende Wolke aus heißem Gas, auf eine typische Weise, die an einen Hut erinnert. Das Bild ist inzwischen über Science-Fiction-Filme ein Popkulturelement mit hohem Wiedererkennungswert geworden.

Diese Bild etablierte sich zur klassischen Darstellung eines Schwarzen Lochs. Die scheinbar nach oben und unten geklappte Scheibe ist eigentlich flach.
NASA’s Goddard Space Flight Center/Jeremy Schnittman

Doch wie sieht ein Schwarzes Loch aus der Nähe tatsächlich aus? Und was würde man sehen, wenn man in eines hineinfliegen könnte? Dieser Frage nahm sich nun die US-Weltraumagentur Nasa an. Sie reservierte dafür einige Tage Rechenzeit auf einem Supercomputer und erstellte zwei spektakuläre Animationen, die physikalisch korrekt die räumlichen Verzerrungen eines Schwarzen Lochs mit der 4,3-Millionen-fachen Masse der Sonne zeigen.

Ewig kreisendes Licht

Der Flug beginnt mit eben jenem bereits bekannten Bild eines Schwarzen Lochs mit hutförmiger Akkretionsscheibe. Doch beim Näherkommen beginnt sich erst der Hintergrund stärker zu verzerren, bevor der Ring der Akkretionsscheibe selbst sich zu teilen scheint wie eine lebende Zelle. Der Effekt stammt nicht nur von der Krümmung, sondern auch von der Tatsache, dass die Kamera das Schwarze Loch mehrmals umkreist, dabei die Akkretionsscheibe passiert und sich zugleich allmählich nähert. Das Teilen passiert mehrmals immer schneller und schneller, bis der Ring sehr dünn wird und schließlich verschwindet.

Hier ist der Sturz in ein Schwarzes Loch dargestellt.
NASA Goddard

Lohnend ist hier ein Blick auf die Details. In der Lücke im Zentrum der Akkretionsscheibe ist nämlich ein schwächerer Lichtring zu sehen. Dieser entpuppt sich beim näheren Heranfliegen als eine Kaskade immer schmäler zusammengedrückter Kopien der Akkretionsscheibe.

Physikalisch ist das leicht erklärt: Das Schwarze Loch krümmt Licht wie schon erwähnt analog zu einer Linse. Hier ist der Effekt so stark, dass das Licht das Schwarze Loch teils mehrere Male umkreist, bevor es die imaginäre Kamera erreicht. Jede neue Umkreisung ergibt ein neues, schmäleres Abbild der Akkretionsscheibe. Diese Kaskade endet an einer Grenze, die Photonenring genannt wird, wo das Licht theoretisch auf ewig um das Schwarze Loch im Kreis fliegt.

Punkt ohne Wiederkehr

Die imaginäre Reise ist hier nicht zu Ende. Noch könnte ein Schiff, das die Kamera trägt, theoretisch sogar umkehren, der Photonenring ist nämlich nicht zu verwechseln mit dem bekannteren Ereignishorizont. Letzterer liegt weiter im Inneren und stellt den Punkt ohne Wiederkehr dar, aus dem nichts mehr nach außen dringen kann. Hier in der Simulation hat er einen Durchmesser von etwa 25 Millionen Kilometern. Das ist rund 17 Prozent der Distanz zwischen Erde und Sonne.

Nicht einmal Licht kann von dort entweichen. Von außen gesehen wird dieser Bereich also immer dunkel bleiben. Im Inneren ist es allerdings nicht dunkel, beim Überschreiten des Horizonts ist auch keine abrupte Veränderung erkennbar. Im Inneren werden die Verzerrungen aber schnell sehr stark. Und: Hier wird die Singularität sichtbar, der zentrale Punkt, an dem alle Masse konzentriert ist und an dem unsere bekannten Gesetze der Physik ihre Aussagekraft verlieren. Wie sie tatsächlich aussieht, weiß auch die Nasa nicht. Schwarze Löcher gehorchen offenbar einer Art Dresscode, die Kosmische Zensur genannt wird. Der Begriff stammt von Nobelpreisträger Roger Penrose und bedeutet, dass wir "nackte" Singularitäten nie beobachten können, sondern sie immer hinter einem Ereignishorizont verborgen sein müssen.

Die Singularität bleibt also ungreifbar, doch das Gebiet um sie herum gehorcht weiterhin der allgemeinen Relativitätstheorie, auch hinter dem Ereignishorizont. Der Bereich der Singularität, der im Video mangels Wissens darüber schwarz dargestellt ist, wird schnell größer, bis er das ganze Bild einnimmt. Das ist der Moment, in dem die imaginäre Kamera selbst in die Singularität stürzt.

Dieses Video zeigt einen Vorbeiflug an einem Schwarzen Loch
NASA Goddard

Fünf Tage Rechenzeit

Die Nasa hat noch ein zweites Video erstellt, das einen Vorbeiflug an einem Schwarzen Loch ohne Sturz ins Innere zeigt. Die Berechnungen hinter den Videos waren durchaus aufwendig. Fünf Tage rechnete der Supercomputer Discover des Goddard Space Flight Center dafür, wenn auch nur mit geringer Auslastung. Ein konventioneller Laptop hätte mehr als ein Jahrzehnt dafür gebraucht.

Der für die Nasa tätige Astrophysiker Jeremy Schnittman sagt, er sei von Menschen oft gefragt worden, wie ein Sturz in ein Schwarzes Loch aussehen würde. Er habe sich daraufhin mit seinem Kollegen Brian Powell zusammengetan und den Supercomputer mit der Berechnung beauftragt. Zehn Terabyte an Daten seien dabei entstanden. "Die Simulation dieser schwer vorstellbaren Prozesse hilft mir, die Mathematik der Relativitätstheorie mit den tatsächlichen Konsequenzen im realen Universum zu verbinden", sagt Schnittman.

Ungemütlicher Flug

Die beeindruckenden Videos sparen mehrere wissenschaftliche Untiefen eines Flugs in ein Schwarzes Loch aus, die sich abseits der optisch sichtbaren Effekte abspielen. So ist um ein Schwarzes Loch nicht nur der Raum, sondern auch die Zeit stark verzerrt. Je nach Standpunkt vergeht die Zeit für Beobachter sehr unterschiedlich. Anfangs ist die Kamera 640 Millionen Kilometer vom Schwarzen Loch entfernt. Die Reise zum Ereignishorizont dauert etwa drei Stunden für den, der sie unternimmt.

Von außen betrachtet, stellt sich die Situation völlig anders dar. Hier verlangsamt sich die Reise der Kamera zusehends, bis sie beim Ereignishorizont ganz zum Stillstand kommt. Bei diesen unterschiedlichen Wahrnehmungen der Situation handelt es sich dennoch um dieselbe Realität, denn im Gegensatz zur Quantenphysik ist die Relativitätstheorie eine "realistische" Theorie. All das bedingt zudem, dass der Lauf der Welt auch für die Zukunft vorausbestimmt ist. Nur so ist es möglich, dass verschiedene Wahrnehmungen der Zeit als gleichberechtigt gelten können. Diese radikale Gleichberechtigung aller möglichen Bezugssysteme ist der Kern der Relativitätstheorie, aus dem alle anderen wichtigen Aspekte der Theorie folgen.

Hier werweitere sonderbare Eigenschaften Schwarzer Löcher detailliert erklärt.
Veritasium

Für alle, die auf den Geschmack gekommen sind und andenken, eine solche Reise tatsächlich in Angriff zu nehmen, hat Schnittman einen Tipp: "Wer die Wahl hat, sollte in ein supermassereiches Schwarzes Loch fallen", erklärt der Physiker. "Stellare Schwarze Löcher, die bis zu etwa 30 Sonnenmassen enthalten, besitzen viel kleinere Ereignishorizonte und stärkere Gezeitenkräfte, die herannahende Objekte zerreißen können, bevor sie den Horizont erreichen."

Der Effekt wird in der Fachsprache "Spaghettisierung" genannt. In der Nähe der Singularität bleibt dieser auch beim hier betrachteten Schwarzen Loch nicht aus. Etwas mehr als zwölf Sekunden nach dem Überschreiten des Ereignishorizonts verliert auch die härteste bekannte Materie ihren Zusammenhalt. Als Lohn gab es vorher noch einen Blick auf die nackte Singularität, ohne allerdings dem Rest der Welt je davon erzählen zu können. (Reinhard Kleindl, 9.5.2024)