Medikamente für den medikamentöse Schwangerschaftsabbruch.
Der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch ist in einigen Ländern der Standard, in Österreich nicht.
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Der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch gilt als die sanfteste Methode, um eine Schwangerschaft abzubrechen. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt sie, und viele Länder folgen dieser Empfehlung. In den USA werden etwa 50 Prozent der Abbrüche mit dem Medikament Mifegyne vorgenommen.

Der medikamentöse Abbruch hat in den USA durch den Fall des Grundsatzurteils Roe v. Wade, das das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch regelte, an Bedeutung gewonnen. Medikamente können per Telemedizin verschickt werden, und auch Beratung und Nachfragen können online erfolgen. Für Frauen in US-Bundesstaaten, in denen der Zugang zu Abtreibungen stark eingeschränkt oder ganz verboten wurde, kann der medikamentöse Abbruch ein Ausweg sein.

Auch in vielen europäischen Ländern wird inzwischen häufiger die medikamentöse als die chirurgischen Methode angewandt. In der Schweiz etwa werden drei Viertel der Schwangerschaftsabbrüche medikamentös durchgeführt, in Schweden sind es 80 Prozent. In Deutschland sind es mit 32 Prozent deutlich weniger. Wie viele es in Österreich sind, lässt sich aufgrund fehlender Daten nicht beziffern. Expert:innen schätzen aber, dass auch die Zahl in Österreich eher niedrig ist.

Dass in Deutschland die Zahl niedriger ist, könnte mit der verpflichtenden Beratung vor einem Abbruch zu tun haben, die letztlich auch Zeit kostet: Man muss rechtzeitig einen Termin bekommen und im Anschluss noch drei Tage "Bedenkzeit" einräumen. Das ist Zeit, die dann womöglich fehlt.

Früher Bescheid wissen

Wenn Frauen eine Schwangerschaft medikamentös abbrechen wollen, müssen sie früher als bei einem chirurgischen Abbruch Gewissheit darüber haben, dass sie schwanger sind, denn diese Methode ist nur bis zur neunten Schwangerschaftswoche durchführbar. Die chirurgische hingegen bis zum Ende des dritten Schwangerschaftsmonats. Der medikamentöse Abbruch kann schon ab einem positiven Schwangerschaftstest durchgeführt werden, der operative Abbruch hingegen erst, wenn eine Schwangerschaft im Ultraschall erkennbar ist.

Beim medikamentösen Abbruch wird durch die Kombination der Wirkstoffe Mifepriston und Misoprostol die Schwangerschaft abgebrochen. Mifepriston blockiert die Wirkung von Progesteron, einem Hormon, das für den Erhalt der Schwangerschaft wichtig ist. Durch die Einnahme von Misoprostol öffnet sich der Muttermund und es kommt zu Blutungen – ähnlich wie bei einer frühen Fehlgeburt.

"Manche Frauen kommen für einen medikamentösen Abbruch oft zu spät darauf, dass sie schwanger sind. Es ist auch möglich, dass sie keinen zeitgerechten Termin beim Frauenarzt oder der Frauenärztin bekommen haben. Viele wissen nicht, dass die Uhr für einen medikamentösen Abbruch tickt", schildert Barbara Maier die Umstände, die einen medikamentösen Abbruch nicht mehr möglich machen. Maier ist Professorin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der Sigmund-Freud-Universität Wien. Bis Ende Februar war sie Vorständin der Abteilung Gynäkologie und Geburtshilfe der Klinik Ottakring. Dort werden mittlerweile 80 Prozent der Schwangerschaftsabbrüche medikamentös durchgeführt. Sie sind in der Klinik Ottakring "die erste Wahl", sagt Maier – doch das sei nicht überall so. Eine höhere Rate von medikamentösen Abbrüchen ist wegen der Tatsache, dass sie für Frauen die schonendere Methode sind, wünschenswert.

Stigmatisierung bedeutet Stress

Grundsätzlich sind beide Verfahren sehr sicher. Doch der chirurgische Eingriff ist eher mit bestimmten Risiken verbunden, auch wenn Komplikationen extrem selten sind. Es braucht eine kurze Narkose, und in sehr seltenen Fällen kann die Gebärmutter auch bei einer Saugkürettage perforiert werden, erklärt Maier. Beim Abbruch mit Medikamenten braucht es keinen Eingriff, denn die Medikamente bewirken die Öffnung des Muttermunds und lösen Kontraktionen aus, damit das Schwangerschaftsprodukt ausgestoßen werden kann. In zwei Prozent der Fälle muss trotz der Medikamentengabe noch Gewebe chirurgisch entfernt werden.

Doch auch psychologische Aspekte spielen bei der Wahl der Methode eine Rolle. Die Psychologin Miriam Gertz hat untersucht, wie Frauen mit einem Schwangerschaftsabbruch umgehen, und betont, dass die Möglichkeit der Wahl zwischen den Methoden wichtig ist. Für manche Frauen fühle sich ein medikamentöser Abbruch selbstbestimmter an und sie würden einen operativen Eingriff als Kontrollverlust erleben. "Sie fühlen sich daheim mit einer vertrauten Person sicher und wissen gut, wie sie mit Unterleibkrämpfen umgehen können", sagt Gertz. Andere würden sich hingegen sehr vor den Schmerzen fürchten und würden die Beendigung der Schwangerschaft am liebsten im Dämmerschlaf hinter sich bringen.

"Welche Methode für eine Person die bessere ist, hängt davon ab, mit welcher Methode sie sich wohler und sicherer fühlt", sagt Gertz. Ungewollt Schwangere befänden sich in einer vulnerablen Situation. Sie hätten die gesellschaftliche Stigmatisierung oft internalisiert und müssten sich oft mit den Meinungen ihres Umfelds auseinandersetzen. "Sie haben gute Gründe, ihre Schwangerschaft und die geplante Abtreibung oft geheim zu halten, das steigert den Stress enorm", so Gertz.

Es sei daher wichtig, dass auch von medizinischer Seite die ungewollt Schwangeren in ihrer Autonomie gestärkt werden und sie als Expertinnen für ihren Körper ernst genommen werden. So könne laut Gertz ein Schwangerschaftsabbruch eine Erfahrung werden, die zwar herausfordernd war, in der aber auch kompetent Verantwortung für die eigene Biografie und Gesundheit übernommen wurde. Für eine informierte Entscheidung sei es wichtig, dass beide Methoden verständlich und ausführlich erklärt werden.

Eine normale Gesundheitsleistung

Der Beratungssaufwand ist zwar bei einem medikamentösen Abbruch größer, sagt Maier, denn die Frauen müssten genau wissen, was auf sie zukommt, wenn sie dann zu Hause sind. Zudem brauchen sie die Sicherheit, dass sie jederzeit eine Anlaufstelle für Fragen und Probleme haben. Zum Beispiel, wenn sie unsicher sind: Warum tritt die Blutung nicht ein? Oder: Blute ich schon zu stark? Wenn sie Mifegyne in einer Klinik bekommen, die 24 Stunden mit Ärzten und Ärztinnen besetzt ist, die über Erfahrungen mit Schwangerschaftsabbrüchen verfügen, gibt das Sicherheit. Seit 2020 dürfen auch Ärzte und Ärztinnen im niedergelassenen Bereich Mifegyne ausgeben, was aber bislang wenig genutzt wird.

Somit spielt es für eine freie Wahl zwischen den Methoden auch eine zentrale Rolle, ob es ein dichtes Netz an Spitälern gibt, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Dieses Netz hat Österreich nicht. Im Westen oder auch im Burgenland gibt es etwa keine einzige Klinik, in der Abtreibungen durchgeführt würden.

Es wird immer wieder debattiert, dass es als Alternative zu den Spitälern in den Bundesländern Ambulatorien für Schwangerschaftsabbrüche geben sollte. Maier hält das nicht für die beste Option. Denn in solchen Ambulatorien konzentriere sich dann erneut eine Expertise, über die nicht nur einige, sondern alle Gynäkolog:innen verfügen sollten. Außerdem würden auf diese Weise Schwangerschaftsabbrüche nicht zu einer normalen Gesundheitsleistung werden, über die alle Gynäkolog:innen gleichermaßen gut Bescheid wissen und sie kompetent durchführen könnten. Genau das sollte aber der Fall sein, fordert Maier.

Insgesamt werden in Österreich drei von zehn Schwangerschaften abgebrochen, bei den unbeabsichtigten Schwangerschaften sind es sechs von zehn. Angesichts dessen sollten Abbrüche im gynäkologischen Alltag als Hilfestellungen für betroffene Frauen möglich sein – wie andere Gesundheitsleistungen auch, sagt Maier. (Beate Hausbichler, 21.3.2024)