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Im März 1995 formulierte der aus den "Simpsons" bekannte jüdische Philosoph Krusty, der Clown, einen für Politik und Popkultur zentralen Satz: "Ich habe den leisen Teil laut gesagt und den lauten Teil leise." Anschließend an das Diktum seines Vorgängers Sokrates, "dem schönen Pferde Athen eine zudringliche Bremse zu sein" (Nietzsche), hat besonders der erste Teil des Satzes nach wie vor große Relevanz.

Die Vorstellung, dass Gesellschaft nach unausgesprochenen, mit aller Macht beschwiegenen Regeln funktioniert und dass es Menschen braucht, die diese Regeln laut aussprechen und sichtbar machen, verfügt über eine beträchtliche Anziehungskraft, die in den letzten zwei Jahrzehnten sogar noch gewachsen ist. Allerdings ist sie mittlerweile auch schlecht beleumdet, weil eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Leuten damit begonnen hat, größtmöglichen Schwachsinn (die Erde ist eine Scheibe, Bill Gates hat uns alle gechipt, wir werden von Echsenmenschen regiert) als den leisen Teil zu definieren, der jetzt doch endlich einmal laut ausgesprochen werden muss. Das sorgt dafür, dass man auch in den Fällen, in denen wirklich einmal verborgene Funktionsmechanismen der Gesellschaft offengelegt werden, oftmals die Unfugsvermutung anstellt.

Vorsicht geboten

Zum Beispiel, wenn Frauen laut aussprechen, dass ihnen unter den vorherrschenden patriarchalen und heterosexistischen Bedingungen buchstäblich die Lust auf Beziehungen mit Männern vergeht.

Das wird dann genüsslich altväterlich-schmunzelnd seziert, weil ganz so schlimm wird es ja wohl nicht sein, und das ist ja sowieso eher eine gefühlte Wahrheit, und wieso interessiert man sich überhaupt für diese Pillepallethemen. Sie sehen, wir kommen jetzt zu dem "Schluss mit lustig, die Lage ist ernst"-Teil dieses Textes, den ich Ihnen von Anfang an durch meine billige Philosophenfinte unterzuschieben gedachte (vgl. hierzu Anton Sterzl, "Philosophie für Angeber". München 1999). Denn aus "irgendwelchen" Gründen werden ein paar Kleinigkeiten, die Frauen die Beziehungsanbahnung zu Männern vergällen, insbesondere von Männern gerne unterschlagen. Und weil wir hier ja viel Liebe zum Detail haben, möchte ich die gerne nachreichen:

Angesichts der Tatsache, dass Österreich nicht nur Heimat großer Töchter und Söhne, sondern auch viel zu vieler Femizide ist, sollte Mann womöglich vorsichtiger damit sein, das Dating-Unbehagen von Frauen abzutun. Oder Mann nimmt dann doch mal zur Kenntnis, dass laut Studien 19 Prozent der Frauen zwischen 18 und 34 auf Datingplattformen schon mit körperlicher Gewalt bedroht wurden. 44 Prozent wurden beschimpft, 57 Prozent haben unerwünscht explizite Nachrichten und/oder Bilder zugesendet bekommen und 60 Prozent wurden wieder und wieder kontaktiert auch nach dem sie klar Nein! gesagt hatten.

Du kannst das besser

Wer da nicht findet, dass die Generation Z "Mädels" darauf mit "Wow, unfreundlicher, übergriffiger Stalker-Typ, ich möchte dich dringend kennenlernen!" reagieren sollte, hat einfach romantische Liebe nicht verstanden. "Hey Süße, dein Profilbild sieht heiß aus, ich würde dich gerne kennenlernen. Hey Süße. Hey! (Hier bitte die leider viel zu üblichen sexistischen Abwertungen einfügen, die ich wirklich nicht noch einmal wiederholen möchte.) Solche "Komplimente" muss frau eben richtig einzuordnen wissen und sich ein bisschen mehr Mühe geben.

Aber kommen wir zu den inneren Werten einer Beziehung, auf die kommt es schließlich an. Und die sehen ja so vielversprechend aus. Also wenn man mal von den paar Lücken absieht: Pay-Gap, Care-Gap, Orgasm-Gap usw. 82 Prozent aller Alleinerziehenden sind Frauen, von denen viele massiv durch Altersarmut bedroht sind.

Mental Load auf ihrer und Bewaffnung mit Inkompetenz auf seiner Seite. Kinderschuhe für den Herbst kaufen, mit der Lehrerin telefonieren, Geschenk für Kindergeburtstag am Wochenende besorgen, Schwiegervater anrufen, Auslandskrankenversicherung, weiterführende Schulen recherchieren versus "Mich stört der Dreck nicht so" und "Du kannst das sowieso viel besser als ich, Schatz". Tun Sie an dieser Stelle bitte gemeinsam mit mir überrascht darüber, dass gleichgeschlechtliche Paare im Durschnitt glücklicher sind als heterosexuelle Paare.

Wer hätte das auch ahnen können? Fasst man das alles zusammen, dann stellen vor allem jüngere Frauen spätestens seit der #MeToo-Debatte immer lauter die Frage: Warum sollte ich mich auf eine anstrengende, unfaire, potenziell gefährliche Liebesbeziehung einlassen, die bei näherer Betrachtung nicht einmal die Anforderungen für eine halbwegs passable Freundschaft erfüllt?

Vielleicht mal zuhören?

Das heißt übrigens nicht, dass Frauen sich nicht trotzdem für diese Beziehungen entscheiden. Auch nicht, dass es nicht sehr viele Frauen in wertschätzenden, fairen und glücklichen Heterobeziehungen gibt. Das zur Kenntnis zu nehmen und nicht unerwähnt zu lassen, gehört auch zur Detailliebe.

Es heißt einfach nur, dass Frauen seit ein paar Jahren den leisen Teil immer lauter sagen. Sie schreien ihn geradezu heraus, weil er an ihnen zerrt, ihnen die Luft nimmt und sie niederschlägt. Wie wäre es, wenn wir zur Abwechslung mal zuhören? (Nils Pickert, 25.3.2024)