Die "toxische Männlichkeit" ist zu einem gängigen Begriff geworden. Er soll beschreiben, wie immer wieder von neuem eingeimpftes Dominanzgebaren oder Gewaltbereitschaft die Geschlechterhierarchien aufrechterhalten – zu seinen Gunsten. Die Frage, was Frauen dazu beitragen, ist zwar in der zweiten Frauenbewegung aufgekommen, aber wieder weitgehend verschwunden – abgesehen von sexistischen Diskursen, die die Geschlechterverhältnisse in der "Natur" von Frauen und Männern begründet sehen.

Das ist wohl einer der Gründe, warum die Debatten über die Mitarbeit von Frauen am Patriarchat eingeschlafen sind: die Sorge, in diese Ecke gedrängt zu werden. Sophia Fritz traut sich trotzdem. Mit einer klar feministsichen Haltung fragt sie sich, warum sie noch immer vermeintlich weiblichen Prototypen wie dem "guten Mädchen", der "Powerfrau" oder auch dem "Opfer" entsprechen will. Obwohl sie längst niemand mehr dazu zwingt.

STANDARD: Warum haben Sie sich ausgerechnet für diesen aufgeladenen Begriff des "Toxischen" entschieden?

Fritz: Wir haben jahrelang über Mansplaining, Manspreading, alte weiße Männer und toxische Männlichkeit geredet. Da erscheint es mir unumgänglich, dass der Fokus umschwenken wird. Die Frage ist nur, aus welcher Haltung heraus das passiert. Wir Frauen sollten uns jetzt eigenverantwortlich mit dem Begriff auseinandersetzen und ihn als Chance wahrnehmen, um letztendlich solidarischer, ehrlicher und souveräner zu werden.

Die Autorin Sophia Fritz über
Der Kampf um eine Daseinsberechtigung holt auch bei Frauen toxische Verhaltensweisen hervor, sagt Sophia Fritz. Wobei es bei Frauen mehr um Anpassung als um Machtdemonstration gehe.
Eno de Wit

STANDARD: Wo liegt der Unterschied zwischen toxischer Weiblichkeit und toxischer Männlichkeit?

Fritz: Toxisch männliches Verhalten dient der Verteidigung einer vermeintlichen Machtstellung. Natürlich gibt es auch weibliche Verhaltensweisen, die Ungerechtigkeiten in den Systemen, in denen wir leben, weiter unterstützen. Toxisch weibliches Verhalten ist nicht so tödlich wie toxische Männlichkeit — es geht häufiger um Anpassung und weniger um Machtdemonstration. Anders zu sein konnte für Frauen lange Zeit sehr gefährlich werden, denken wir nur an die Hexenverbrennungen. Auf der anderen Seite haben wir diese vielen Bilder von Männern, die einsam durch das Leben gehen. Und das gilt als völlig okay. Der einsame Cowboy, der verschrobene Erfinder oder das geniale Genie.

STANDARD: In den 1970er-Jahren brachten Feministinnen den Begriff der Mittäterinnenschaft auf. Auch Frauen würden demnach innerhalb patriarchaler Strukturen Anerkennung bekommen, die schwer aufzugeben ist. Wenn auch aus feministischer Sicht fragwürdige Anerkennung für Sanftmut oder Schönheit. Warum ist dieser Blick auf diese Komplizinnenschaft wieder verschwunden?

Fritz: Stefanie Lohaus hat im vergangenen Jahr ein großartiges Buch über die Chronologie des Feminismus geschrieben: Stärker als Wut. Darin lässt sich ablesen, wie alles in Wellen wiederkommt. Sie bemängelt in dem Buch auch, dass wir keine feministische Erinnerungskultur haben. Das hat wiederum etwas mit unseren patriarchalen Strukturen zu tun, dass uns die Errungenschaften von Frauen als unwichtiger oder banaler erscheinen als die Legenden über männliche Helden und Kriegsherren. Dieses Fehlen einer feministischen Erinnerungskultur führt dazu, dass wir keine einheitlichere Vorstellung davon haben, woher wir kommen und wo wir hinwollen. Wenn ich auf Tiktok oder Instagram schaue, kann derzeit alles als Empowerment gelten, von Achselhaaren bis Gelnägel – völlig wahllos.

STANDARD: Also alles von Botox bis finanzieller Abhängigkeit vom Partner wird im Sinne von "Ich entscheide, also ist es feministisch" gedeutet?

Fritz: Genau. Ich nehme auch kaum einen Erfahrungsaustausch zwischen älteren und jüngeren Frauen wahr. Es gibt wenig intergenerationelle Bestärkung. Dafür fehlen vielleicht auch die Begegnungsräume.

STANDARD: Unter den Zuschreibungen, die Sie aufdröseln wollen, befindet sich auch jene des "Opfers". Was macht die Aussage mit Betroffenen von Gewalt, dass Frauen bewusst einen Opferstatus aufrechterhalten würden?

Fritz: Das war definitiv das schwierigste Kapitel. Ich musste mir überlegen, wie ich so differenziere, dass eben keine Täter-Opfer-Umkehr entsteht. Ich habe daher zwischen einer öffentlichen Betroffenenhaltung und einer privaten Opferidentifikation unterschieden. Wir brauchen die Stimmen von Betroffenen von Gewalt, das ist keine Frage. Nur sie können Täter und Täterinnen sowie strukturellen Missbrauch sichtbar machen. Im Buch beschreibe ich aber auch private Situationen und schaue, wo ich in meinem Leben Verantwortung an eine andere Person abgebe. Oder wo ich durch eine mütterliche Aufopferung etwas bekommen will, also in eine Art emotionale Erpressung gehe. Wo nutze ich eine Opferhaltung, ein inneres Kleinmachen, das mir niemand mehr von außen aufdrängt? So etwas ist vielleicht noch in mir und wurde mir von anderen Frauengenerationen mitgegeben, aber es ist weder mir noch meinen Freundinnen zuträglich.

STANDARD: Sie geben in dem Buch sehr viel von sich preis. Wie ging es Ihnen damit?

Fritz: Gut. Für mich war das der einzige Weg, das Buch zu schreiben. Nicht weil ich mich für das Maß aller Dinge halte. Sondern weil es das einzige Angebot ist, das ich der Welt machen kann: dass ich versuche, mit mir ehrlich zu sein, und die Erkenntnisse dann zur Verfügung stelle. Ich wollte nicht mit Beschämung arbeiten und den Diskurs über toxische Weiblichkeit anders gestalten. Bei toxischer Männlichkeit wurde viel mit Beschämung gearbeitet. Beschämung ist immer kränkend, und eine gekränkte Person wird nicht anfangen, aus dieser Kränkung heraus offenherzig an sich zu arbeiten. Mit diesen Verletzungen wollte ich nicht weiterarbeiten. Im Essay beziehe ich auch diverse Stimmen und feministische Literatur mit ein, berufe mich aber auch viel auf Gespräche mit Freundinnen. Wenn sich Leute darin wiedererkennen, ist das schön, wenn nicht, auch fein. Ich werde nicht die Deutungshoheit über die Auseinandersetzung um "toxische Weiblichkeit" haben. Wir steigen jetzt in diesen Diskurs ein, und dafür braucht es viele Perspektiven.

Sophia Fritz,
Sophia Fritz, "Toxische Weiblichkeit". € 23,50 / 192 Seiten. Hanser-Verlag, Berlin 2024
Hanser Berlin

STANDARD: Sie schreiben im Kapitel "Mutti" von "moralischer Überlegenheit". Wollen viele Frauen nicht darauf verzichten, die "Guten" zu sein?

Fritz: Ja, und ich finde diese Zuschreibung sehr perfide. Grundsätzlich ist das eine Aussage, die einem erst einmal gefällt, zumindest mir hat sie gefallen. Aber sie hängt eng mit misogynen Mustern zusammen, mit dieser Idee des reinen, unschuldigen Mädchens. Denken wir nur an das weiße Hochzeitskleid. Wir sind kulturell stark mit Bildern verknüpft, die den Mythos nähren, dass Frauen die moralisch Überlegeneren wären. Wenn wir das unreflektiert in unsere Selbstidentifikation einbauen, dann werden wir auch keine Freundlichkeit gegenüber Fehlern entwickeln. Dann können wir uns nicht eingestehen: Das war gerade überhaupt nicht gut, sondern das war Neid, Kälte oder was auch immer. Wenn man das vor sich selbst verstecken muss, wird Unehrlichkeit entstehen und Solidarität verhindert. Das Problem ist, dass dieses "gut sein" von außen zugeschrieben wird. Das ist nichts, was ich fühle, sondern ich muss mir das konstant von außen holen. Ich muss so nett sein, dass mir andere sagen: "Du bist aber toll." Das ist Stress. Dieses Immer-auf-der-Suche-Sein. Wen muss ich beeindrucken? Und wie? Über meine Intelligenz, über mein Aussehen? Über meine Anpassungsfähigkeit? Über meine Empathie?

STANDARD: Wie vermeidet man, dass alle diese Überlegungen nicht in ständiger Arbeit an sich selbst münden?

Fritz: Wenn ich Freundinnen von meinem Buchthema erzählt habe, wollten viele gleich ganz genau wissen: Ja, was ist denn das genau, diese toxische Weiblichkeit? Ich habe gemerkt, sie hätten gern eine Checkliste, auf die man einmal schnell schauen kann, ob man das oder das eh nicht ist. Und wenn doch, dann kann man schnell an sich arbeiten, damit man es nicht mehr ist. Wenn man das Gegenteil von toxisch sein will, dann sind da wieder diese Vorstellungen von der reinen, moralisch überlegenen Frau – als hätte man dann endlich seine Daseinsberechtigung, wenn man nicht mehr toxisch ist. Doch das ist ein Trugschluss, von dem wir wegkommen müssen. Wie sind zu kompliziert, zu verschachtelt und menschlich. Ich wollte mit dem Buch auch eine Sprache finden, die nicht beschämt – auch nicht uns selbst mit einer ständigen Selbstkritik. Vielmehr sollten wir bestimmte Aspekte vor uns nicht verheimlichen müssen. Aspekte, die einfach da sind, die auch das Bild von uns selbst und anderen voller machen. Diese Aspekte haben nichts mit persönlicher Schuld zu tun, wir alle haben destruktive Verhaltensweisen. Doch wir sollten Worte finden, um sie sichtbar zu machen.

STANDARD: Worte, mit denen man sehr wohl auch destruktive weibliche Verhaltensmuster beschreibt, die man aber nicht gleich wegtrainieren muss?

Fritz: Genau. Es geht mir um Entspannung. Ich hätte gern mehr entspannte Frauen um mich herum – und auch entspannte Männer. Dass es nicht immer dieses Gefühl von Fahrerflucht gibt, dieses "Vielleicht ist da etwas passiert, aber ich schau lieber nicht hin". Es reicht nicht, einen gemeinsamen Feind zu haben. Es ist wichtig, über diese eigenen Schattenseiten sprechen zu können, erst dann können wir in eine wirkliche Solidarität miteinander kommen. (Beate Hausbichler, 15.4.2024)