Bildmontage: Ein Warnschild auf dem
Ob und wie wir die Geschlechter sprachlich abbilden, das wurde zuletzt auch für die Politik Thema.
imago images/Christian Ohde

Geschlechtersensible Sprache war immer schon umkämpft – so mancher feministischen Vordenkerin wehte ein scharfer Wind entgegen. Inzwischen sind Gendersternchen, Doppelpunkt und Co in Behörden, in vielen Medien und an Universitäten längst etabliert. Dieser Erfolg wiederum ruft konservative Politiker:innen auf den Plan, die mit "Genderverboten" Stimmung machen. Doch wie sieht es eigentlich in Unternehmen aus? Ein Gespräch mit Frank Müller von der Frankfurter Textagentur Dive.

STANDARD: Geschlechtergerechte Sprache polarisiert – in Bayern ist mit dem 1. April sogar ein Verbot in allen staatlichen Behörden in Kraft getreten. Wird sie auch für Unternehmen zunehmend zum heißen Eisen?

Müller: Ereignisse wie das bayrische Genderverbot kommen in Unternehmen nicht an. Da müssten schon drastischere Dinge passieren. Verantwortliche betrachten das Thema in der Regel sehr viel unaufgeregter und sachlicher, sie erkennen die Notwendigkeit für die eigene Organisation.

STANDARD: Im deutschsprachigen Raum wird nun schon seit Jahrzehnten versucht, Geschlechter sprachlich zu inkludieren. Wird es als Statement gelesen, wenn Unternehmen am generischen Maskulinum festhalten?

Müller: Menschen sind hier auf jeden Fall sensibler geworden. Wenn auf der Website eines Unternehmens ausschließlich das generische Maskulinum verwendet wird, kann sich schnell der Verdacht einer gewissen Rückständigkeit einstellen. Umgekehrt wird zum Beispiel die Verwendung des Gendersternchens als fortschrittlich und modern wahrgenommen. Unternehmen verspüren durchaus Druck, hier aktiv zu werden.

STANDARD: Das Gendersternchen wird also zum Marketingtool?

Müller: Unternehmen sehen Gendern in erster Linie als Imagefaktor an. Eine politische Motivation steht da eher nicht im Hintergrund. Natürlich ist aber Authentizität wichtig. Es hat wenig Sinn, wenn ein Unternehmen ein sehr ambitioniertes, fortschrittliches Genderkonzept umsetzt, die Verantwortlichen das aber schlichtweg nicht verkörpern. Unternehmen haben in der Regel ein ganz gutes Gespür dafür, was zu ihnen passt. Es bringt nichts, Genderkosmetik zu betreiben.

STANDARD: Was wirkt moderner: das Gendersternchen oder der Doppelpunkt?

Müller: Der Doppelpunkt war eine Zeit lang sehr beliebt. Allerdings hatte sich der Irrtum verbreitet, dass er besonders barrierearm wäre. Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass er das ganz und gar nicht ist. Für Menschen mit Sehbehinderungen ist er nicht so geeignet wie zunächst angenommen, und Menschen, die gerade erst Deutsch lernen, irritiert der Doppelpunkt mitten im Wort. Der Doppelpunkt hebt sich auch im Schriftbild nicht besonders gut ab. Aktuell haben wir den Eindruck, dass sich das Gendersternchen wieder im Aufwind befindet. Es hat eine hohe Symbolkraft, die Strahlen stehen für geschlechtliche Vielfalt. Außerdem stammt es direkt aus der LGBT-Community und wird daher nicht als oktroyiert wahrgenommen. Ich würde aber nicht sagen, dass die verschiedenen Formen nur Modeerscheinungen sind. Wir befinden uns alle in einer Art Testlabor und suchen nach praktikablen Lösungen.

Unternehmensberater Frank Müller.
Frank Müller über die Versuche, fair zu formulieren: "Wir befinden uns alle in einer Art Testlabor und suchen nach praktikablen Lösungen."
Stefan Dinter

STANDARD: Hat Barrierefreiheit in der Unternehmenskommunikation an Bedeutung gewonnen?

Müller: Sie wird auf jeden Fall immer wichtiger. Nicht umsonst gibt es aktuell einen Werbespot von McDonald's, der sich an gehörlose Menschen richtet. Hinter dieser Entwicklung steht nicht nur der Imagefaktor, sondern auch der Fachkräftemangel. Wenn Unternehmen im Recruiting nicht von vornherein die größtmögliche Diversität mitdenken, schränkt das ihre Chancen auf einem leergefegten Arbeitsmarkt empfindlich ein. In Sachen geschlechtergerechter Sprache empfiehlt der Blinden- und Sehbehindertenverband Deutschland übrigens, möglichst wenig Genderzeichen zu verwenden – und wenn doch, dann den Genderstern. Aus der Perspektive der Barrierefreiheit wäre natürlich die Einigung auf ein Zeichen mit einer Bedeutung wünschenswert.

STANDARD: Auch sensible Sprache jenseits der Geschlechterbinarität ist zunehmend Thema. In E-Mail-Signaturen etwa führen Mitarbeiter:innen ihre Pronomen an.

Müller: In Signaturen ist das hilfreich, die Menschen weisen so darauf hin, wie sie angesprochen werden möchten: mit "sie" oder "er" oder auch genderneutralen Pronomen wie "they" oder "hen". Bei der Verwendung geschlechtsneutraler Pronomen in Fließtexten kann es aber kompliziert werden. Der Verein für geschlechtsneutrales Deutsch e.V. zum Beispiel empfiehlt das Pronomen "en" als Grundform. Das hat durchaus seine Tücken und greift auch tief in die Sprache ein. Dennoch würden wir solche Formen nicht per se verteufeln. Schwierigkeiten in der Umsetzung stellen ja nicht die moralische Richtigkeit oder gesellschaftliche Relevanz infrage. Man sollte Dinge ausprobieren – es schadet nicht, mit Sprache zu spielen.

STANDARD: Auch neutrale Formen wie "Studierende" kommen hier zum Einsatz.

Müller: Auch wenn sie abends auf der Party sind und nicht in der Vorlesung oder Bibliothek, ist es grammatikalisch richtig, Studentinnen und Studenten als "Studierende" zu bezeichnen. Aus unserer Sicht ist die neutrale Bezeichnung von Personen in unspezifischen Gruppen, also wenn ich das Geschlecht nicht kenne, der Goldstandard. Die Neutralisierung hat einen großen Reiz, weil sie nicht mehr das Geschlecht als hauptsächliches Identitätsmerkmal in den Mittelpunkt stellt. Wir sehen auch, dass besonders fortschrittliche Unternehmen gerne darauf zurückgreifen. In der Praxis kommen aber meist unterschiedliche Techniken zur Anwendung, weil es schwierig ist, nur eine Form in allen Texten durchzuhalten.

STANDARD: Gibt es auch Schwierigkeiten oder Widerstände, wenn Sie Unternehmen schulen?

Müller: Unternehmen, die auf uns zukommen, haben sich schon dafür entschieden, dass sie geschlechtergerechte Sprache sprechen möchten. Meist brauchen sie Beratung auf dem Weg dorthin. Der Teufel steckt oft im Detail. Ist zum Beispiel das Gendern von "Kund:innen" überhaupt sinnvoll, wenn es die Weglassprobe nicht besteht? Den "Kund" gibt es ja nicht. Sollen sie überhaupt gegendert werden, wenn die Kunden eines Unternehmens nicht einzelne Personen, sondern andere Unternehmen sind?

Es braucht immer ein individuelles Konzept. In unseren Workshops erleben wir sehr selten Menschen, die geschlechtergerechte Sprache völlig ablehnen. Es kommt eher vor, dass Mitarbeiter:innen sie als mühsame Zusatzaufgabe erleben. "Wann soll ich das auch noch erledigen?" Da ist es wichtig, die Sinnhaftigkeit von geschlechtergerechter Sprache zu vermitteln. (Brigitte Theißl, 16.4.2024)