Demonstrantinnen vor dem weißen Haus protestieren gegen Abtreibungsverbote. 
Von Argentinien aus gelangte die Farbe Grün zu vielen Protesten in den USA und Europa.
AP

Der Jubel der Abtreibungsgegner war in den USA vor knapp zwei Jahren groß. Als die konservative Mehrheit im Obersten Gerichtshof mit Roe vs. Wade das bundesweite Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch kippte, erfüllte sich für sie ein langjähriger Traum. Mit der neuerlichen Präsidentschaftskandidatur von Donald Trump, dessen Richterernennungen dies ermöglicht hatten, hofften sie auf noch mehr: Ein landesweites Verbot von Abtreibung schien bei seiner Rückkehr ins Weiße Haus greifbar. Doch nun ist die Enttäuschung groß. Denn der einst als strammer Abtreibungsgegner auftretende Republikaner Trump will es nun den Bundesstaaten überlassen, ob sie Schwangerschaftsabbrüche zulassen oder nicht.

Dieser Sinneswandel hat einen guten Grund: Abtreibungsverbote sind unpopulär, selbst in konservativen Bundesstaaten. Die Mehrheit der Amerikaner wünscht ein liberales Abtreibungsrecht, das Thema senkt daher die Wahlchancen von Trump und anderen Republikanern.

Ein weltweiter Trend

Und das gilt nicht nur für die USA: Weltweit geht der Trend in Richtung Liberalisierung von Abtreibungen und eines wachsenden neuen Bewusstseins von Frauen, die auf dieses Recht pochen. "Es scheint zunehmend nicht mehr legitim zu sein, dass jemand anderer über eine Schwangerschaft entscheidet als die Schwangere selbst", sagt die Expertin für Frauen- und Geschlechtergeschichte Maria Mesner von der Universität Wien.

Für das Center for Reproductive Rights in New York ist dies ein "überwältigender Trend", der bereits vor 30 Jahren begonnen hat. In diesem Zeitraum haben über 60 Länder ihre Abtreibungsregelungen gelockert – und nur vier Länder haben Abtreibungsgesetze verschärft: El Salvador, Nicaragua, Polen und die USA. Reproduktive Rechte würden zunehmend als fundamentales Menschenrecht anerkannt, heißt es in einem Bericht.

1,12 Milliarden Frauen und Mädchen im gebärfähigen Alter leben heute in Ländern, in denen Abtreibung legal oder unter bestimmten Bedingungen zumindest straffrei ist. Das sind 60 Prozent der Welt. Hunderte Millionen aber werden weiterhin daran gehindert, über ihre Fortpflanzung und Sexualität selbst zu bestimmen, zeigt auch der neue Weltbevölkerungsbericht der Vereinten Nationen.

Umschwung in Swing-States

Und dazu zählen auch zahlreiche Amerikanerinnen. Schon vor dem Ende von Roe vs. Wade war es in weiten Teilen des Südens und Mittleren Westens schwer, eine Abtreibung zu erhalten. Seither haben 17 Bundesstaaten höchst restriktive Gesetze erlassen. Teils ist Abtreibung in fast allen Fällen verboten, teils nur in den ersten sechs Wochen erlaubt, wenn die meisten Frauen noch gar nicht wissen, dass sie schwanger sind.

Vor wenigen Wochen erklärte das Oberste Gericht des Bundesstaates Arizona sogar ein Abtreibungsverbot aus dem Jahr 1864 für gültig. Nach diesem Gesetz dürften Frauen auch dann nicht legal abtreiben, wenn eine Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung oder Inzest entstanden ist. Arizona ist ein sogenannter Swing-State, der die Präsidentenwahl im November entscheiden könnte, weshalb Trumps Anhänger im Bundesstaat dies rückgängig machen wollen – bisher vergebens.

Laut einer aktuellen Umfrage sind 57 der US-Bürgerinnen und -Bürger der Meinung, dass Schwangerschaftsabbrüche in den meisten oder allen Fällen legal sein sollten. Bei der für die Präsidentschaftswahlen enorm wichtigen Gruppe der unabhängigen Wählerinnen und Wähler sind es sogar noch etwas mehr. Deshalb verteidigt auch Trump seine neue Position pragmatisch: Bei Wahlen sei es nötig, mehrheitsfähige Positionen zu vertreten.

Schuldzuweisungen

Ob er die Wählerschaft damit überzeugen kann, bleibt offen. Die Demokraten tun alles, um dem Ex-Präsidenten die Verantwortung für Abtreibungsverbote zuzuschieben. "Trump hat das getan", schrieb Präsident Joe Biden nach dem Arizona-Urteil auf X. Und tatsächlich wäre ohne Trump das seit 1973 geltende besonders liberale Abtreibungsrecht noch in Kraft: Als kurz vor der Wahl 2020 die liberale Höchstrichterin Ruth Bader Ginsberg starb, ernannte er noch schnell die erzkonservative Juristin Amy Coney Barrett als Nachfolgerin. Dadurch verschoben sich im Höchstgericht die Machtverhältnisse in Richtung Abtreibungsgegner. Nun waren im Supreme Court und in vielen Bundesstaaten "Extremisten" am Werk, die die "Zeit zurückdrehen wollen", wie Bidens Vizepräsidentin Kamala Harris bei einem Besuch von Abtreibungskliniken zu Jahresbeginn erklärte.

Auch in anderen Staaten kümmern sich Richter und Politiker nicht um den Willen der Mehrheit. In Argentinien fordert der neue Präsident Javier Milei ein Verbotsgesetz, das auch im Falle einer Vergewaltigung gilt und hohe Strafen für Ärzte und Ärztinnen vorsieht, die einen Abbruch durchführen. Dabei nahm gerade dort die "grüne Welle" ihren Ausgang, mit der die feministische Bewegung in den vergangenen beiden Jahrzehnten erfolgreich für das Selbstbestimmungsrecht von Frauen gekämpft hat. 2020 war es dann so weit: Argentinien legalisierte die Abtreibung bis zur 14. Schwangerschaftswoche, ein Jahr später folgte Mexiko, Kolumbien zog 2022 nach. Auch Französisch-Guyana, Guyana, Kuba und Uruguay haben ihre Gesetze liberalisiert.

Polen und Malta als Ausreißer

Die Farbe Grün strahlte weit über Südamerika bis nach Europa und zu den Protesten gegen das strenge Abtreibungsgesetz in Polen aus. Polen und Malta sind die europäischen Ausreißer beim Liberalisierungstrend. Obwohl sich auch dort gerade etwas bewegt: Nach der Wahlniederlage der nationalkonservativen PiS-Partei, die 2020 ein restriktives Abtreibungsgesetz installierte, versprach der neue Ministerpräsident Donald Tusk eine Liberalisierung. Mit dem "Recht von Frauen über ihren Körper" warb Tusk schon im Wahlkampf im Herbst vergangenen Jahres.

Einen Schritt, wenn auch einen sehr kleinen, machte sogar Malta. Der kleinste EU-Staat hat eines der strengsten Abtreibungsgesetze weltweit. Abtreibung waren dort in jedem Fall verboten. Im Juni 2023 kam erstmals eine Ausnahmeregelung dazu: Wenn die Mutter durch die Schwangerschaft eindeutig in Lebensgefahr ist, darf abgetrieben werden.

Auch Umfragen in Deutschland zeigen, dass die Politik bei Fragen zu Schwangerschaftsabbrüchen der Bevölkerung hinterherhinkt. Eine aktuelle repräsentative Umfrage ergab, dass sich 80 Prozent der Deutschen gegen eine Rechtswidrigkeit von Abtreibung aussprechen. Diese Position stützte nun die Einschätzung einer Ethikkommission, die die Ampelregierung mit der Frage beauftragt hat, ob Abtreibung legalisiert werden soll. Denn Deutschland regelt wie auch Österreich den Schwangerschaftsabbruch noch immer im Strafgesetzbuch. Somit ist diese nur mit Auflagen straffrei. "Legal" oder "straffrei"? Ist das angesichts der Verbote in den USA, Polen oder Malta nicht ein Luxusproblem?

Nein, heißt es von der Weltgesundheitsorganisation, die die Entkriminalisierung in die Liste der Richtlinien für einen sicheren Schwangerschaftsabbruch aufgenommen hat. Denn Entkriminalisierung hieße Entstigmatisierung. Auch Maria Mesner schreibt der Streichung aus dem Strafgesetzbuch eine "hohe symbolische Bedeutung" zu. Es sei mehr als eine Formalität, wenn ein "Staat eine Handlung als verboten einstuft und nur Entschuldungsgründe festlegt, die diese Handlung straffrei machen".

Thema lieber nicht anfassen

Auch in Österreich erschallt schon lange der Ruf, Abtreibung nicht nur straffrei zu machen, sondern überhaupt zu legalisieren. Anders als in Deutschland werde das hierzulande allerdings nicht ernsthaft diskutiert, sagt Mesner, vor allem die ÖVP stellt sich dagegen. Die Mitte-Links-Koalition in Berlin "bringt da eine andere Dynamik mit sich", sagt sie.

Doch der Wunsch nach strengen Reglementierungen ist auch in Österreich längst passé. Meinungsumfragen zeigen laut Mesner schon seit den späten 1970er-Jahren, dass man mit härteren Regelungen für den Schwangerschaftsabbruch vor allem Wählerinnen verprellt. Die Haltung der Menschen, und wohl vor allem der Frauen, ist schon ein großes Stück weiter als die Politik. Aber anfassen will dort das hochemotionale Thema dann doch niemand. (Beate Hausbichler, 21.4.2024)