Eine Krise eröffnet auch Chancen. Dieser vor Herausforderungen jedweder Art gern zitierte Spruch könnte gut auf das WHO-Pandemieabkommen passen, das dieser Tage in Genf, am Sitz der Weltgesundheitsorganisation (WHO), weiterverhandelt wird. Anlass und Impuls, weltweit geltende Regeln aufzustellen, um im Fall einer neuerlichen gefährlich um sich greifenden Infektionskrankheit möglichst viele Menschen vor Schaden zu bewahren, war die tiefste globale Gesundheitskrise der vergangenen hundert Jahre: die Covid-19-Pandemie.

Generalversammlung der WHO in Genf am 21. Mai 2023
Der Auftrag an die WHO-Delegierten ist klar: Bis Ende Mai soll das Pandemieabkommen stehen, dann wird es in der Generalversammlung abgestimmt.
Foto: Reuters (Denis Balibouse

Der zwischenstaatliche Umgang mit dieser Seuche, die Millionen Tote zur Folge hatte, war höchst unsolidarisch. Man erinnere sich: Als etwa 2022 die Corona-Impfung zur Verfügung stand, wurde rasch beliefert, wer zahlen konnte – andere nicht. In Großbritannien wurden binnen weniger Monate 67 Prozent aller Menschen immunisiert, auf dem afrikanischen Kontinent waren zu diesem Zeitpunkt nur drei Prozent geimpft.

Gekürzt und geändert

Der WHO-Pandemieplan hat das Ziel, solche Missstände während künftiger Gesundheitskrisen zu verhindern. "Geleitet von Gerechtigkeit" soll er "der Prävention, Vorbereitung und Reaktion auf Pandemien" dienen, heißt es im Textentwurf. Als Prinzipien werden die "Achtung der Würde, Menschenrechte und Grundfreiheiten aller Menschen" sowie die "Souveränitat der Staaten" genannt.

Dem folgen in 37 Artikeln Regelungsvorschläge, um die Gesundheitssysteme weltweit zu stärken und Gesundheitsarbeitende zu ermächtigen, um Forschung und Entwicklung zu fördern sowie für globalen Wissens- und Technologieaustausch zu sorgen. Verhandelt wird von Vertretern von 194 Staaten, wobei etwa die EU koordiniert auftritt. Ziel ist, bis zur WHO-Generalversammlung ab 27. Mai eine Einigung zu erzielen.

An diesem Tag sollen auch, als völkerrechtliches Fundament, die internationalen Gesundheitsvorschriften entsprechend adaptiert werden. Österreich hat eine Delegation aus Außenministeriums-, Gesundheitsministeriums- und UN-Mitarbeitenden entsandt.

FPÖ wittert Verschwörung

Ein Vergleich des ursprünglichen und des aktuellen Verhandlungstextes zeigt: Seit Verhandlungsbeginn im Dezember 2021 wurden viele Bestimmungen um relativierende Formulierungen wie "wo anwendbar" oder "wie angemessen" ergänzt. Etwa in jenen Artikeln, die regeln sollen, wie Informationen, etwa über neue Erreger, sowie Patente, vor allem in Bezug auf Impfstoffe, weitergegeben werden sollen. Vertreter der Staaten des Globalen Südens und der im Hintergrund agierenden Pharmakonzerne haben hier einander stark widersprechende Interessen.

In Österreich wurde diesem Konflikt öffentlich bis dato wenig bis keine Aufmerksamkeit geschenkt. Nur die FPÖ widmet sich der Diskussion über das Pandemieabkommen und die WHO – mit Falschbehauptungen und Angstparolen. Im April lud etwa Parteiobmann Herbert Kickl den Corona-Leugner und Impfgegner Sucharit Bhakdi zu einer zweitägigen Parteiveranstaltung ein. Bhakdi wetterte gegen die WHO. Diese sei von "satanischen" Motiven geleitet, sagte er.

Konflikt um faire Impfstoffpreise

Sachliche Kritik an den Verhandlungen zum Pandemiabkommen hingegen kommt von der Organisation Ärzte ohne Grenzen (MSF), die weltweit medizinische Nothilfe leistet. Vom ursprünglichen Plan seien große Abstriche gemacht worden, sagt Marcus Bachmann, Sprecher für humanitäre Hilfe bei MSF in Österreich. Etwa bei dem Vorschlag, die Schutzrechte für Impfpatente und anderes Know-how im Fall künftiger Pandemien vorübergehend auszusetzen, um rasch die globalen Produktionskapazitäten und damit Verfügbarkeit von Impfstoffen zu verbessern – zu Preisen, die auch im Globalen Süden bezahlbar sind.

Hier gehe der aktuelle Abkommensentwurf sogar hinter die Bestimmungen des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (Trips) zurück – jenes Vertrags der Welthandelsorganisation (WTO), der verhindern soll, dass sich Rechte auf geistiges Eigentum handelshemmend auswirken.

Derzeit, so Bachmann, koste eine Corona-Impfdosis einen Staat wie Österreich rund 22 Euro; der genaue Preis ist aufgrund rigider Vertragsklauseln nicht bekannt: "Die Herstellungskosten hingegen belaufen sich auf rund einen Euro." Zwar hätten Pharmakonzerne wie Pfizer oder Moderna massiv in die Vakzinforschung investiert – doch auch umgerechnet 8,3 Milliarden Euro an öffentlichen Mitteln aus reichen Staaten, also Steuergeld, seien dort hineingeflossen: "Die Öffentlichkeit weltweit hat ein Recht, davon etwas zurückzubekommen", sagt Bachmann. (Irene Brickner, 6.5.2024)