Sie stehen im aktuellen Nahostkonflikt im übertragenen Sinn zwischen den Fronten – die 1,2 Millionen Palästinenserinnen und Palästinenser mit israelischer Staatsbürgerschaft – und sind in den vergangenen Monaten kaum mit Protesten gegen den Krieg aufgefallen.

Aida Touma-Suleiman bei einer Demonstration in Tel Aviv, wo sie zu einem sofortigen Waffenstillstand aufruf.
Aida Touma-Suleiman bei einer Demonstration in Tel Aviv, wo sie zu einem sofortigen Waffenstillstand aufrief.
AFP/AHMAD GHARABLI

Die palästinensische Knesset-Abgeordnete Aida Touma-Suleiman von der kommunistischen Partei Chadasch erklärt das so: "Als die Hamas Israel am 7. Oktober überfiel, waren wir alle schockiert. Wir hatten eine solche Gewalt nicht erwartet, und es wurden von der Hamas auch 20 arabische Israelis getötet. Als dann der Krieg begann, wollten wir unsere Stimmen dagegen erheben, aber wir sahen, welcher Verfolgung unsere Gemeinschaft ausgesetzt ist."

Junge Palästinenser seien wegen unpolitischer Einträge auf sozialen Medien verhaftet, Arbeiter mehrfach verhört oder entlassen worden, und ein Scheich aus dem Negev sei sechs Tage lang in Haft gewesen, weil er zufällig am 7. Oktober um 8.15 Uhr "Guten Morgen" auf grünem Hintergrund gepostet hatte und die Polizei dies auf das Massaker bezog.

"Das Massaker hat bei Juden viele versteckte Ängste wiederbelebt, aber dies geschah dann auch bei uns Palästinensern", sagte Touma-Suleiman im STANDARD-Gespräch in Wien, wo sie auf Einladung der KPÖ am 1. Mai auftrat. "Wir erinnern uns an die Nakba (die Vertreibung von 1948, Anm.) und spürten, dass der Krieg als Rechtfertigung für fast alles dienen kann. Wir haben Angst und sind deshalb besonders vorsichtig."

Zwei Monate lang suspendiert

Touma-Suleiman selbst wurde im November 2023 für zwei Monate von der Knesset suspendiert, weil sie auf X (einst Twitter) Aussagen von Ärzten aus dem Al-Shifa-Spital in Gaza-Stadt zitiert hatte, die von israelischen Angriffen berichteten – ein Faktum, das bald auch von Israel bestätigt wurde. Das sei als Beleidigung der Armee aufgefasst worden.

Gegen den Hinauswurf eines anderen palästinensischen Abgeordneten organisierte sie eine Kampagne und schaffte es ganz knapp, die dafür notwendige Stimmenzahl von 90 der 120 Abgeordneten zu verhindern. "Der Staat zeigt damit: Schaut her, was wir eurer Führung antun können. Wir fühlen uns ständig bedroht, auch physisch."

Als säkulare Kommunistin könne ihr niemand Sympathie für die Hamas vorwerfen, betont die 59-Jährige, die aus einer christlichen Familie stammt und in Haifa wohnt. "Der 7. Oktober war unentschuldbar, aber man darf nicht allein der Hamas die Schuld zuschieben", sagt sie. "Nichts rechtfertigt die Tötung von Zivilisten, aber das gilt auch für die israelische Armee."

Nur eine Zweistaatenlösung

Sie sei eine vehemente Unterstützerin einer Zweistaatenlösung entlang der Grenze von 1967 und sehe weiterhin keinen anderen Weg zu einem Frieden, auch nicht einen binationalen Staat, wie ihn etwa der israelische Philosoph Omri Boehm befürwortet. "Krieg bringt keine Lösung, nur eine politische Lösung kann die Situation verbessern", sagt sie. Und dafür müsse die Besatzung enden.

Sie sei sich bewusst, dass das Massaker und der Krieg die Bereitschaft zum Kompromiss auf beiden Seiten weiter verringert haben, aber sie gebe die Hoffnung nicht auf. "Kurz vor dem Sonnenaufgang ist die Nacht am dunkelsten", sagt sie. Viele links eingestellte Israelis, die nach dem Schock vom 7. Oktober einen Palästinenserstaat für unmöglich erklärt hatten, würden jetzt wieder moderater denken. Touma-Suleiman: "Wenn es nach dem Holocaust gute Beziehungen zwischen Israel und Deutschland geben kann, dann können auch Israelis und Palästinenser in Frieden leben."

Sie habe wenig Vertrauen in die Regierung von US-Präsident Joe Biden, aber fühle sich durch die massiven propalästinensischen Proteste an US-Universitäten ermutigt. "Die Palästinenser sind weltweit zum Symbol für Unrecht geworden, so wie es einst Südafrika war."

Hamas mit PLO vereinen

Es fehle derzeit an der richtigen Führung auf beiden Seiten, auch in der Palästinensischen Autonomiebehörde. Entscheidend sei die PLO, die wieder alle Fraktionen vereinen müsse, auch die Hamas.

Für eine Zweistaatenlösung müssten die jüdischen Siedler das Westjordanland verlassen, fordert Touma-Suleiman, denn jede Siedlung sei ein Verstoß gegen das Völkerrecht. Dies stehe nicht im Widerspruch zur Tatsache, dass 20 Prozent der israelischen Bevölkerung palästinensisch seien. "Die Siedlungen wurden als Hindernis für den Frieden gebaut, und sie sollen wir jetzt akzeptieren?", fragt sie. "Und man kann die Siedler nicht mit meiner Familie vergleichen. Wir sind nicht wo hingezogen, sondern in unserer Heimat geblieben. Der Staat Israel ist zu uns emigriert." Auch sie werde nach der Gründung eines Staates Palästina in Israel bleiben, so, wie nicht alle Juden nach Israel ausgewandert sind. (Eric Frey, 7.5.2024)