Im Oktober 2002 hat in der Schweiz ein 100-jähriger Kampf für das Recht von Frauen, selbst zu entscheiden, ob und wann sie ein Kind bekommen wollen, sein erfolgreiches Ende gefunden: Am 1. Oktober tritt im ganzen Land die Fristenregelung in Kraft, welche einen straflosen Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen seit Beginn der letzten Periode ermöglicht. 30 Jahre davon hat Anne-Marie Rey in vorderster Reihe für das Recht mitgekämpft. Fünf Jahre danach ist die Autobiografie dieser außergewöhnlichen Frau erschienen, welche von einem konservativen Nationalrat einst geringschätzig die "Erzengelmacherin" genannt wurde. Diese Titulierung hat die heute 70-jährige Anne-Marie Rey als Titel für ihr Buch gewählt, in welchem sie den nervenaufreibenden und langwierigen Kampf um die Schweizer Fristenregelung beschreibt.

Erste Erfahrungen

Rey schildert ihre Mädchenzeit und ihre ersten Erfahrungen mit Schwangerschaftsabbrüchen, als ihr Vater, ein Frauenarzt, nach illegalen Abbrüchen mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist. In der 68er-Zeit war sie eine "fürchterlich brave" Studentin, die keinerlei unbequeme Fragen stellte. Mit Hilfe ihrer Tante, die Reys Kinder versorgte, gelang es der Schweizerin, ihre feministisch-politische Arbeit aufzunehmen.

Von ihrem eigenen Abbruch berichtet Rey: "Damals bäumte sich in mir alles auf gegen diesen Eindringling. Was geht es den Staat an, was in meinem Bauch passiert? Ich fühlte mich im wahrsten Sinn des Wortes als 'Leibeigene', fremdbestimmt und gedemütigt von patriarchalischen Machtstrukturen. Und ich empfand eine ohnmächtige Wut." Diese Wut begleitet die Leserin durch das Buch - besonders stark ist sie bei den Konfrontationen mit der katholischen Kirche. Anne-Marie Rey empfindet die vom Papst und von anderen christlichen Würdenträgern vertretene Sexualmoral schlicht als "pervers".

Zeitgeschichte

Das vorliegende Buch ist nicht nur eine Autobiografie, sondern auch eine zeitgeschichtliche Betrachtung einer sehr mutigen Frau: Vom ungleichen Kampf gegen Staat und die Kirche, von den vielen Etappen der Meinungsbildungsarbeit und von den verschiedenen Abstimmungskämpfen erzählt Anne-Marie Rey lebendig und überzeugend - so, als wäre dies alles erst gestern passiert.

Die Autorin schildert erschütternde Schicksale von Frauen, die in der Illegalität abtreiben mussten und dafür verurteilt wurden. Diesen Frauen, aber auch ihrem Vater, setzt Rey mit diesem Buch ein bedeutendes Denkmal. Eine aufschlussreiche Chronologie der Ereignisse rundet diese lebendige Autobiografie ab, die auch als Mutmacherin für engagierte Frauen auf anderen Gebieten gedacht ist. Aufgezeigt wird nämlich, dass frau gemeinsam mit anderen Frauen politisch viel bewirken kann, vorausgesetzt frau hat einen langen Atem und noch viel mehr Zivilcourage.

Anhand der jüngsten Entwicklungen in den Vereinigten Staaten, in Teilen Osteuropas und Lateinamerikas, wo fundamentalistische ChristInnen die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs zunehmend schärfer attackieren, sind diese Memoiren - auch als Anleitung zur politischen Arbeit - ein wichtiges Buch; schließlich müssen die Rechte von Frauen auf Selbstbestimmung immer wieder aufs Neue verteidigt werden. (Ruth Devime, dieStandard.at, 6. Februar 2008)