Petra Schweiger: "Es ist ein Mythos, dass es vor allem junge Mädchen sind, die Abbrüche durchführen lassen."
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Im April 2008 wurde vom Europarat eine Resolution verabschiedet, die an alle 47 Mitgliedsstaaten Empfehlungen für bessere Zugänge und Dekriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, Aufklärung und Prävention ausspricht. Beate Hausbichler sprach für dieStandard.at mit Petra Schweiger über die Resolution, Mythen rund um Schwangerschaftsabbrüche und die österreichische Position zur Abtreibung.

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dieStandard.at: Die Forderungen der Resolution an die Mitgliedsstaaten betreffen unter anderem den barrierefreien Zugang zu Abtreibungen. Zudem müsse auch umfassende Aufklärungsarbeit geleistet werden, denn "Abtreibung soll in keinem Fall als Methode der Familienplanung verstanden werden", heißt es in der Resolution. Frau Schweiger, hat Österreich diese Forderungen bereits umgesetzt?

Petra Schweiger: Wir haben in Österreich ein gutes Gesetz, das den Bedürfnissen der betroffenen Frauen und beruflich in diesem Bereich engagierten Fachkräften entspricht. Natürlich könnte die Fristenlösung aus dem Strafgesetzbuch raus, und sie könnte genauso wie andere reproduktionsmedizinische Gesetze behandelt werden. Aber im Prinzip ist die Regelung gut.

Handlungsbedarf bei Umsetzungsmaßnahmen

dieStandard.at: Wie sieht es mit der Umsetzung der gesetzlichen Regelung, also der Fristenlösung, in Österreich ihrer Erfahrung nach aus?

Petra Schweiger: Handlungsbedarf gibt es bei sämtlichen Umsetzungsmaßnahmen. Wir haben nicht in allen Spitälern den gleichen Zugang für einen Schwangerschaftsabbruch, der auch nach letzten medizinischen Kriterien betreut und begleitet wird, da sehe ich eine ganz große Lücke. Keine Lücke gibt es hingegen - was von konservativer Seite aber gerne behauptet wird - im Bereich der Beratungsmöglichkeiten. Familienberatungsstellen sind als Begleitmaßnahme zur Fristenlösung etabliert und finanziert worden. Positive Signale gibt es auch in der Jugendarbeit, dort ist die Aufklärungsarbeit bereits sehr gut.

dieStandard.at: Letzte Woche sorgte die Meldung, dass Abtreibungen bei Mädchen stark gestiegen seien, für Aufregung. Können Sie diesen Anstieg bestätigen?

Petra Schweiger: Es ist ein Mythos, dass es vor allem junge Mädchen seien, die Abbrüche durchführen lassen, entweder weil sie zu nachlässig zum Verhüten wären oder nicht Bescheid wüssten. Das ist eine Polemik und stimmt mit den realen Tatsachen nicht überein.
Von einer Verdreifachung spricht nur eine Einrichtung ("pro:woman") und es entstand leider der Eindruck, dass dies österreichweit der Fall sei. Andere Einrichtungen in Wien, Linz, Graz und auch in Vorarlberg haben mir bestätigt: Es ist nirgends eine dramatische Zunahme festgestellt worden. Auch in Salzburg gibt es keine Zunahme in der Altersgruppe der 15 bis 20 Jährigen, die Zahl liegt konstant bei 16 Prozent.
Viel mehr Handlungsbedarf als bei Jugendlichen gibt es bei erwachsenen Frauen und erwachsenen Paaren, auch mit Migrationshintergrund, da gibt es noch sehr wenige Bemühungen. Leider ist auch für viele GynäkologInnen Verhütung, wenn es nicht aktiv angesprochen wird, bei Routineuntersuchungen kein Thema.

Ungewollte Schwangerschaften passieren sehr oft bei Frauen, die ihre Familienplanung bereits abgeschlossen haben. Diese Frauen wechseln dann oft die Verhütungsmethode und in dieser Phase, in der entweder eine Spirale in Betracht gezogen wird oder Männer über eine Vasektomie nachdenken, verhüten viele mit Kondom, was gemeinhin als sichere Methode gilt. Allerdings wissen wir aus dem Pearl Index, der auch die Anwendungsfehler berücksichtigt, dass wenn 100 Paare mit Kondom verhüten, es zu 15 bis 16 ungewollten Schwangerschaften kommt.

dieStandard.at: Wie schätzen sie die Wirkung der Europarats-Resolution ein, die für die Mitgliedsstaaten nur "Empfehlungen" ausspricht und rechtlich keine Auswirkungen hat?

Petra Schweiger: Es wird ja immer sehr feinfühlig von "invite the members" gesprochen, aber man sollte die Wirkung trotzdem nicht unterschätzen. Gerade gesetzliche Änderungen kommen in einem Land oft durch den gesellschaftlichen Mainstream zustande, insofern ist diese Resolution schon ein sehr positives Signal. Nach meinen Erfahrungen mit Betroffenen und beruflich engagierten Frauen, von Diskussionen bei Fortbildungen oder Tagungen und auch aufgrund von Umfragen - beispielsweise in Salzburg 2005 - kann ich sagen, dass es mittlerweile als "ewig gestrig" gilt, wenn man an der Fristenlösung rütteln will.

Diese Resolution gibt in Diskussionen sehr viel Rückhalt. Wenn es festgeschrieben ist, dass es erwünscht ist, dass Frauen einen gleichberechtigten Zugang haben, dass Entkriminalisierung stattfindet und dass natürlich auch möglichst viel Ressourcen in die Prävention gesteckt werden soll, ist das schon eine große Hilfe.

dieStandard.at: AbtreibungsgegnerInnen verweisen immer wieder auf psychische und physische Folgen für Frauen, die eine Abtreibung durchführen lassen.

Petra Schweiger: Das Post-Abortion-Syndrom ist eine Erfindung der AbtreibungsgegnerInnen. Es ist kein Syndrom, das in irgendeinem psychologischen oder medizinischen Diagnoseschemata aufscheint - weil es das schlicht nicht gibt.
Wenn man mit Gesetzen nicht mehr weiterkommt, wird eben versucht, den Frauen ein schlechtes Gewissen zu machen und kommt mit Drohungen, wie dass man unter einem Abbruch ein Leben lang leidet. Eine große Studie, die von MitarbeiterInnen der Universität von Manchester 1995 im "British Journal of Psychiatry" publiziert wurde, belegte das Gegenteil: 13.000 Frauen wurden über 20 Jahre beobachtet, die einen machten einen Abbruch, die anderen trugen in einer Konfliktsituation das Kind aus. Es wurden jährlich Gesundheitsüberprüfungen mit diesen Frauen über den psychischen und physischen Zustand durchgeführt - diese Gruppen haben sich nicht unterschieden.

"Selbstbestimmte Entscheidungen"

Wichtig ist, dass die Entscheidungen über einen Abbruch selbstbestimmt gefällt werden, dass betroffene Frauen gut informiert sind und drittens ist es wichtig, dass eine soziale Akzeptanz vorhanden ist. Das sind drei Grundbedingungen, die auf die Verarbeitung eines Schwangerschaftsabbruches Einfluss haben, es sind aber gleichzeitig auch Bedingungen, die ebenso für andere schwierige Situationen im Leben gelten sollten. Wenn all das zutrifft, gibt es auch keine auffälligen Verarbeitungsschwierigkeiten. Das Befinden nach dem Abbruch ist auch eine Spiegelung des Befindens vor dem Abbruch. Wenn es also schon vorher für eine Frau sehr schwierige Situationen gab und der Abbruch noch als schwierige Entscheidung dazukommt, kann das natürlich ein Fass zum Überlaufen bringen. Das ist aber dann nicht zu 100 Prozent der Abbruch, sondern ist vielmehr eine Aufsummierungen vieler Problemsituationen.

dieStandard.at: Eine weitere Position von AbtreibungsgegnerInnen ist, dass sie sich dem "Schutz des Lebens" verpflichtet fühlen.

Petra Schweiger: Bis 1975 gab es in Österreich Todesfälle aufgrund von Abtreibungen. Mit der Fristenregelung sind diese praktisch über Nacht verschwunden, weil die Legalisierung und die ärztliche Versorgung da war. Das Argument des "Lebensschutzes" muss auch für Frauen gelten, denn die Komplikationen und Schmerzen, die ein Verbot von Abbrüchen mit sich bringt, dürfen nicht vergessen werden. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 17.6.2008)