Probleme von Frauen mit Behinderung und Verbesserungsvorschläge zum Nachlesen auf 132 Seiten
Foto: Markus Pehersdorfer

Salzburg - "Meine Existenzberechtigung leitet sich eigentlich von einer Erwerbsarbeit ab, von der ich auch leben kann." - Was Gabriele Pöhacker, Behindertenreferentin der Erzdiözese Salzburg, so nüchtern ausspricht, hat angesichts der schlechten Chancen behinderter Frauen am Arbeitsmarkt drastische Konsequenzen: Zehn von 37 befragten Betroffenen einer am Montag präsentierten Studie berichteten von Selbstmordversuchen.

Prekäre Verhältnisse

Auch die anderen Ergebnisse der qualitativen Studie, die im Auftrag der Salzburger Soziallandesrätin Erika Scharer (SPÖ) von der Sozialwissenschaftlerin Birgit Buchinger und ihrer 2007 verstorbenen Kollegin Ulrike Gschwandtner durchgeführt wurde, sind nicht gerade ermutigend. "Sehr viele der von uns befragten Frauen, unabhängig von ihrer Ausbildung, leben in prekären Verhältnissen", sagt Studienautorin Buchinger: "Sie haben keine oder kaum Chancen am ersten Arbeitsmarkt."

Kaum freie Berufswahl

Die Benachteiligungen behinderter Frauen beginnen schon vor einer möglichen Karriere. Eine freie Berufswahl ist ihnen in der Praxis kaum möglich, heißt es in der Studie: "Menschen mit bestimmten Behinderungs- und Beeinträchtigungsformen lernen traditionellerweise vorwiegend bestimmte Berufe", ohne dass geprüft werde, ob sie nicht vielleicht in anderen Arbeitsfeldern talentiert seien. "Außerdem absolvieren sie nach wie vor sehr traditionell geschlechtsspezifische Qualifizierungen", heißt es weiter.

Zahlensalat

Wie viele Menschen mit Behinderung es überhaupt gibt, ist nicht genau bekannt. Es gebe in insgesamt 90 Bundes- und Landesgesetzen relevante Bestimmungen zu Behindertenthemen - jeweils mit unterschiedlichen Definitionen. Nach der weitesten Begriffsbestimmung leben in Österreich drei Millionen Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen - hier zählen aber bereits BrillenträgerInnen dazu. Anders Zahlen sprechen von 3745 so genannten "begünstigt Behinderten" im Land Salzburg.

"Nicht auffallen"

Zu dieser Verwirrung trägt bei, dass bei weitem nicht alle behinderten Menschen in einem öffentlichen System wie Behinderten- oder Sozialhilfe erfasst sind. Gerade in ländlichen Regionen komme es immer wieder vor, dass Menschen mit 50 oder 60 Jahren "auftauchen", weil erst nach dem Tod ihrer Eltern klar werde, dass sie nicht selbstständig leben können, sagt Buchinger: "Die versuchen einfach, nicht aufzufallen."

"Es wirkt wie ein Dschungel"

Nicht nur die Datenlage ist "disparat", wie Buchinger sagt, auch die Zuständigkeiten öffentlicher Förder- und Beratungsstellen sind verwirrend. Selbst für die in der Studie befragten ExpertInnen sei das Behindertenwesen viel zu unübersichtlich: "Es wirkt wie ein Dschungel." Dazu kommt, dass "Behinderung" und "Frauen" zwei Themen sind, die offenbar kaum miteinander verknüpft sind: "Viele Beratungsstellen wissen viel über Behinderungen, aber nichts über Frauen", sagt Pöhacker. Umgekehrt sei es nicht besser.

Neue Behindertenberatung geplant

Die zuständige Landesrätin Scharer zieht eine Konsequenz daraus: Sie werde "noch heuer eine landesweite, flächendeckende Behindertenberatung ins Leben rufen". Betroffene sollen dort "kostenlos, unabhängig und in ihrer Nähe alle nötigen Informationen rund um das Thema Behinderung" bekommen können. Außerdem soll das Ausbildungsangebot speziell für behinderte Menschen ausgebaut werden, betroffene Eltern sollen besser unterstützt werden.

Auf Betriebe zugehen

Wichtig sei es auch, verstärkt auf Unternehmen zuzugehen, die behinderte Frauen beschäftigen könnten, sagt Buchinger: "Je mehr Betriebe und MitarbeiterInnen über die verschiedenen Bedürfnisse und Fähigkeiten bei unterschiedlichsten Behinderungsformen wissen, umso größer sind die Aussichten für eine gelingende Integration."

Verbaute Chancen

Politik für behinderte Menschen sei aber nicht nur Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, sagt Scharer. Viele Berufschancen werden ihnen durch mangelnde Barrierefreiheit wortwörtlich verbaut, besonders was die Erreichbarkeit von Arbeitsplätzen anbelangt: "Wo haben wir die niederschwelligen Autobusse?", fragt die Landesrätin. Betroffene im ländlichen Raum seien strukturell benachteiligt.

Forschung mit Gebärden und Zeichnungen

Für die Studie führten Buchinger und Gschwandtner insgesamt 37 qualitative Interviews mit Frauen mit verschiedenen Beeinträchtigungen. Acht von ihnen sind mehrfach behindert. Teilweise griffen die Forscherinnen für die Kommunikation auf Gebärdensprache oder Zeichnungen zurück, schildert Buchinger: "Viele der Frauen haben zum ersten Mal ihre Lebensgeschichte zusammenhängend erzählt." Ergänzt wurde die Studie durch die Stellungnahmen von 33 interviewten Expertinnen und Experten.

"Vereinzelung und Isolation" beenden

Darunter war auch Gabriele Pöhacker. Sie hat selbst eine Sprachbehinderung und weiß damit aus erster Hand, was Beeinträchtigungen im Arbeitsleben bedeuten können. Über die Studie ist sie froh: „Endlich gibt es jemanden, der sich mit uns einlässt. Viele Menschen beschäftigen sich mit uns - aber nur aus der Distanz." Sie sieht die Studie auch als Anstoß, die "Vereinzelung und Isolation" vieler behinderter Frauen durch Solidarisierung zu überwinden. (Markus Peherstorfer, dieStandard.at, 23.6.2008)