Zur Person

Die in Pakistan geborene Riffat Hassan ist die führende Frauenforscherin in den Islamwissenschaften. Sie hat eine Professur für Islamische Studien an der Uni Louisville (Kentucky) inne. Derzeit nimmt Sie in Wien an der vom Außenministerium veranstalteten Tagung "Interreligiöser Dialog aus der Genderperspektive" teil.

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STANDARD: Sie forschen über Feminismus im Islam. Das mag für viele widersprüchlich klingen.

Hassan: Ich habe den Koran studiert, um zu sehen, was er eigentlich über Menschenrechte generell und über die Rechte von Mann und Frau sagt. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass der Koran auf Gleichberechtigung setzt. In diesem Sinne bin ich eine feministische Theologin.

STANDARD: Wo lesen Sie diese Egalität aus dem Koran heraus?

Hassan: Ich habe die drei Thesen untersucht, auf die sich die Annahme stützt, dass Männer den Frauen überlegen sind. Das ist die Geschichte von der Erschaffung der Frau aus der Rippe des Mannes, die Vertreibung des Mannes aus dem Paradies wegen einer Frau und die These, wonach die Frau nicht nur aus dem Mann, sondern für ihn geschaffen wurde. Diese Ideen sind eigentlich dem Christen- und Judentum gemein, wurden aber in die islamische Tradition aufgenommen. Im Koran ist aber nur von der Erschaffung des Menschen die Rede, nicht zuerst Mann und dann Frau. Frauen werden auch nicht für den Rauswurf aus dem Paradies verantwortlich gemacht. Ich sage damit nicht, dass Diskriminierung gegen Frauen in muslimischen Kulturen nicht existiert, sondern, dass es einen Unterschied zwischen den Lehren des Koran und der Realität in muslimischen Gesellschaften gibt.

STANDARD: Aber die Diskriminierung von Frauen wird in manchen islamischen Ländern religiös argumentiert.

Hassan: Die großen Religionen basieren alle auf Texten, die im Kontext einer patriarchalischen Gesellschaft entwickelt wurden. Die Menschen, die diese Texte interpretiert haben, waren Männer. Warum ist Diskriminierung in muslimischen Ländern verbreitet? Weil Menschen zwar oft sagen, Religion sei ihnen das Wichtigste. In Wahrheit ist aber ihre Kultur, ihre patriarchalische Kultur, viel wichtiger für sie.

STANDARD: Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen dem Islam und dem Westen?

Hassan: Ich bin oft erstaunt darüber, dass nur wenige meiner Studenten in den USA wissen, wie sehr Muslime zur Entwicklung der westlichen Zivilisation beigetragen haben, einfach deshalb weil sie so lange in Europa waren. Trotzdem gab es seit dem siebenten Jahrhundert Europäer, die Muslime als Feinde betrachtet haben. Die Beziehungen zwischen Muslimen und Europäern sind heute dennoch besser als zwischen Muslimen und Amerikanern. Europäer wissen mehr über den Islam. Die USA sind zwar offener, weil sie ein Einwanderungsland sind. Aber nach 9/11 hat sich die Situation verändert. Muslime werden seither besonders in den US-Medien gerne als große Gefahr dargestellt. (Das Interview führte András Szigetvari, DER STANDARD, Print, 25.6.2008)