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Foto: APA/epa/ Niels Ahlmann Olesen

(K)Ein Verrat an der feministischen Sache?

Foto: APA/epa/ Niels Ahlmann Olesen

Pro+++

Meine Sozialisation als Feministin in den 1980er Jahren war in Sachen Sexualität stark vom Diktum der Penetration als Keimzelle des Patriarchats geprägt. Penetration, generell gesprochen und ganz gleich auf welche sexuelle Orientierung hin analysiert, sei Ausdruck von Dominanz und Unterwerfung, verknüpfe also Sex- und Machtverhältnisse und gehöre in die Rubrik der die Unterdrückung der Frauen perpetuierenden Sexpraktiken. Ein Indiz dafür war eine linguistisches: in vielen Sprachen war "sich ficken lassen" gleichbedeutend mit "verloren und verkauft sein" ("I'm fucked").

Die Sex-Wars, ausgerufen in Amerika und England, waren also auch bei mir in Österreich angekommen und beeindruckten mich zuersteinmal. Ich gefiel mir als glühende Dekonstrukteurin des Mythos vom vaginalen Orgasmus (vorzugsweise in Diskussionen mit den Boyfriends heterosexueller Freundinnen) und erklärte allen, die es hören wollten (aber selbstverständlich vorzugsweise jenen, die es nicht hören wollten), dass Penetration nicht nur politisch böse sei, sondern dass auch jeder dadurch erzeugte Lustgewinn von Frauen – strukturell bedingt (wir alle sind Opfer des Patriarchats) – nur vorgetäuscht sein könne.

Klitoraler Sex war die Devise, alles andere war unfeministisch und ein Verrat an der Sache. Nun denn. Mit zunehmender Einsicht, dass auch Ideologiekritik ein Machtdiskurs ist und nicht nur Ein- und Ausschlüsse (Unterdrückungsmechanismus) produziert, sondern – im Falle der Penetrationskritik – auch an der realen Erfahrung vieler vorbeiargumentiert; und mit der Erkenntnis, dass Sexualpraktiken und sexuelle Vorlieben nicht kontextunabhängige Bedeutungen haben – also per se gut oder schlecht sind -, änderte ich meine Position. Und meine Praktiken.

Penetration, mit technischer Kenntnis und notwendiger Varianz, insbesondere in Kombination mit tribadischer, oraler, haptischer etc. Stimulation eingesetzt, ist nicht nur sexy sondern, ähm, innig. Die erforderliche Hingabe einerseits und die konzentrierte Hinwendung andererseits kann eine ganz besondere Nähe schaffen.

Und die Aufteilung in aktiv und passiv, so ließ ich mir erst neulich sagen, in männlich und weiblich sei auch bei der Penetration in hetero-Konstellationen nicht so zwingend wie man annehmen möchte. Denn auch ein Penis ließe sich dergestalt instrumentalisieren, dass er zum Werkzeug für beide werde könne, und nicht mehr ausschließlich als Organ des einen wahrgenommen werden müsste. Doch mit Nachdruck an den Schluss gestellt: das größte Vergnügen beim Thema Penetration bereitet wohl die weibliche Aneignung dieser so männlich konnotierten Praxis: als Frau eine Frau zu vögeln und sich von ihr vögeln zu lassen sei allen Penetrationsskeptikerinnen hier eindringlich anempfohlen. (Gastautorin Andrea B. Braidt, Filmwissenschafterin)

---Contra

Zum einen muss es natürlich fürchterlich für die Männerwelt sein, zu erfahren, dass Frauen keinen Penis oder Penis-Ersatz benötigen, um guten Sex zu haben - aber es ist nun mal so. Penetration ist nur eine Option unter vielen sexuellen Praktiken, die Befriedigung verschaffen.

Das Hinarbeiten auf einen "vollzogenen Geschlechtsakt" kann ein totaler Abturner sein und schränkt die Beteiligten ein, genauso wie das vollständige Ausklammern einer potenziellen Penetration. Die Annahme, dass alles, was vor der Penetration passiert, Beiwerk oder Aufwärmen für ein als "eigentliche Sache" angenommenes Geschehen ist, entwickelt sich meist zum Fundament einer mechanischen Sexualität. Und die "benötigt" frau sicher nicht. Nie.

Zum anderen wird Penetration an hetersexuellen bzw. schwulen Sex geknüpft. Wann wird denn schon von Penetration beim Mann gesprochen, wenn er nicht schwul ist? Für einen heterosexuellen Mann kommt Penetration selten in Frage. Obwohl die Prostata dem G-Punkt hier den Rang ablaufen kann. Diese Festlegung ist auch als Speerspitze der Machtverhältnisse zu verstehen, wie wir sie so lange Zeit gewohnt waren und sind. Und zu dem physischen Aspekt der Penetration gesellt sich meist ein auch psychologischer. Die Frau sagt "fick mich", der Mann sagt "ich ficke dich" - in der Penetration schwingt immer der Moment der Beherrschung mit. Der weiblichen Rolle, die zumeist auch von Frauen ausgefüllt werden muss und soll. Als Praxis degradiert er aber auch Männer: Dass der penetrierte Mann kein echter Mann ist, ist ein Kerngedanke homophober Geisteshaltung.

Mehr auf sich selber zu hören, ein selbstständiges Konzept in Erfahrung zu bringen ist im Erlebnisbereich Sexualität mehr als angebracht. Rollenfestlegungen, die von außen kommen und nicht unter den Beteiligten verhandelt worden sind, haben gerade hier keinen Platz – das Sexuelle ist Politisch, nicht vergessen. (roh)