Glückliche Neo-Regisseurin: Sandrine Bonnaire im Gartenbau-Kino.

Zur Person: Sandrine Bonnaire, geboren 1967, wuchs mit zehn Geschwistern in einer Arbeiterfamilie auf. 1983 engagierte Maurice Pialat sie für "À nos amours" , sie erhielt umgehend einen César als beste Nachwuchsdarstellerin. Der zweite folgte 1985 für Agnès Vardas "Vogelfrei" . Seither arbeitete Bonnaire mit vielen bedeutenden Filmemachern wie Jacques Rivette, Claude Chabrol oder Raymond Depardon, 1997 spielte sie in Andreas Grubers "Die Schuld der Liebe" . In den heimischen Kinos war sie zuletzt in der Komödie "Kann das Liebe sein"  zu sehen. Bonnaire hat zwei Töchter und ist mit dem Drehbuchautor Guillaume Laurant verheiratet.

 

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"Sie wird nie wieder so sein."  – Sabine Bonnaire als junge Frau, noch vor dem fünfjährigen Aufenthalt in der Psychiatrie und der dramatischen Verschlechterung ihres Zustands.

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Sandrine Bonnaire hat ein bemerkenswertes Filmporträt ihrer autistischen Schwester gedreht. In Wien sprach sie zum Kinostart mit Isabella Reicher.

Standard: Elle s'appelle Sabine ist Ihre erste Regiearbeit. Wann und wie ist die Idee dazu entstanden?

Bonnaire: Schon als Sabine noch in der Psychiatrie war. Ich habe allerdings in der damaligen Situation aus verschiedenen Gründen davon Abstand genommen und lieber gewartet. Das war gut so, denn ich war damals dermaßen zornig. 2001 war ich Patin der Autistentage und kam in Kontakt mit anderen Angehörigen. Das hat mich wieder bestärkt - auch darin, dass dies nicht nur ein Film für Sabine wäre, sondern einer, der einen gesellschaftlichen Missstand anprangert.

Standard: Wie haben Sie Ihr Team gefunden?

Bonnaire: Einen Großteil der Beteiligten kannte ich schon vorher, wir sind gewissermaßen befreundet. Dieser fast familiäre Kontext war wichtig und unabdingbar für diesen sehr intimen Film.

Standard: Der Film beginnt mit alten Aufnahmen von Sabine, sie ist ein lebendiges, schönes junges Mädchen. Dann kommt sehr unvermittelt eine Nahaufnahme von Sabine heute, dieser Anblick wirkt zunächst schockierend. Wieso haben Sie sich dafür entschieden, Sabine auf diese Weise vorzustellen?

Bonnaire: Als ich diese Aufnahmen von Sabine machte, wie sie so vor sich hindämmert, da war natürlich noch nicht klar, wie und wo ich sie verwenden würde. Schließlich wollte ich aber, dass das Publikum ein wenig die Erfahrung der Angehörigen teilt. Wir alle haben ja diese Sabine von früher im Kopf, und es war auch für uns Woche für Woche wieder ein Schock, ihr so völlig verändert zu begegnen.

Standard: Sie haben sich auch insgesamt gegen eine lineare Erzählung entschieden, immer wieder alte Aufnahmen zwischen das aktuelle Material geschnitten.

Bonnaire: Ich wollte, dass der Zuschauer sich nicht zu sehr eingewöhnt. Und ich glaube auch, dass es den Film in seiner Wirkung abgeschwächt hätte, wenn man einfach mit den alten Aufnahmen begonnen hätte und dann zur Gegenwart übergegangen wäre. Außerdem war mir sehr wichtig zu sagen: Das ist Sabine, so ist es.

Standard: Wie hat Ihre übrige Familie auf Ihr Filmvorhaben reagiert - war es deren Entscheidung, sich nicht daran zu beteiligen, oder Ihre?

Bonnaire: Ich wollte das nicht. Dazu muss man wissen, dass es quasi zwei Lager gab. Eines war völlig gegen einen solchen Film, eines dafür. Ich habe allen immer versichert, dass ich auf die Familiengeschichte nur von Sabine ausgehend Bezug nehme. Der Tod eines unserer Brüder beispielsweise wird erwähnt, weil dieses Ereignis Sabine in eine schwere Depression stürzte. Solche Dinge musste ich erzählen, damit man Sabines Geschichte versteht - aber mehr nicht. Mit dem fertigen Film sind sie jetzt auch alle einverstanden.

Standard: Sie selbst geben im Film auch viel von sich preis, aber man sieht Sie nicht auf der Leinwand - weshalb?

Bonnaire: Den Produzenten hätte das gefallen, aber der Film handelt ja von Sabine und nicht von Sandrine, der Schauspielerin.

Standard: Wollen Sie jetzt eigentlich weiter eigene Filme drehen?

Bonnaire: Ja, ich arbeite schon an einem Spielfilm. Ich entwickle gerade mit einem Autor das Drehbuch. Der Ausgangspunkt ist eine Person aus meiner Kindheit, die mich sehr geprägt hat, ein Mann mit einem tragischen Schicksal. Aber dieses biografische Element wird Teil einer fiktiven Erzählung.

Standard: Französische Filmschaffende kritisieren, dass die "mittleren Filme" zwischen hochdotierten Großproduktionen und quasi Low-Budget-Filmen verschwinden. Ist das etwas, das Sie betrifft - auch als Darstellerin?

Bonnaire: Ja, die Filmproduktion ist mittlerweile stark vom Fernsehen abhängig. Und die Sender denken ans Hauptabendprogramm. Sie bestehen auf Publikumslieblingen, zu denen ich auch nicht wirklich gehöre. Andererseits gestalten sich auch die Schauspielerverträge anders, je nachdem wird bis zu einem Viertel der Gage über Gewinnbeteiligungen gedeckt, und wenn der Film dann das nötige Geld nicht einspielt, dann hat man Pech gehabt. Aber ich kann mich nicht beklagen, das ist alles relativ - wenn ich denke, dass mein Vater sein Geld in der Fabrik verdient hat.

Standard: Außerdem gibt es entgegen aller Marktprognosen immer noch Überraschungserfolge wie Elle s'appelle Sabine - weiß Ihre Schwester vom Erfolg des Films?

Bonnaire: Ja, wir sprechen darüber. Und es ist lustig: Wenn wir gemeinsam unterwegs sind, von der kleinen Betreuungseinrichtung in der Charente, in der sie seit mehreren Jahren lebt, in die nächste Kleinstadt zum Bummeln fahren, dann wird sie auf der Straße erkannt und auch angesprochen - sie ist dann der Star, nicht ich! (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.9.2008)