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"Dass sich die Effekte im Experiment so deutlich zeigen, das hat mich allerdings selbst überrascht", so Annemarie Rettenwander.

Foto: EPA / How Hwee Young

"Macht die Lektüre von Frauenzeitschriften unglücklich?" wollten die Psychologinnen Annemarie Rettenwander, Lisa Humer und Barbara Juen wissen. Anhand eines medienpsychologischen Experiments gingen die Wissenschafterinnen der Frage nach einem möglichen Zusammenhang zwischen schlechter Stimmung, Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und dem Schlankheitsstreben bei adoleszenten Mädchen nach. Die Studie konnte belegen, dass die Konsumentinnen von Frauenzeitschriften signifikant häufiger den Wunsch äußerten, dünn zu sein und ihre Stimmung - unmittelbar nach der Lektüre von Frauenzeitschriften - prägnant schlechter war als bei jenen Mädchen, die bei der experimentalpsychologischen Untersuchung populärwissenschaftliche Zeitschriften konsumierten.
Beate Hausbichler sprach mit Annemarie Rettenwander, die die Idee zu dieser Studie hatte und das Forschungsprojekt leitet.

dieStandard.at: Was hat Sie an den Studienergebnissen am meisten überrascht bzw. interessiert?

Annemarie Rettenwander: Wir hatten damit gerechnet, dass es einen negativen Effekt auf die Zufriedenheit mit dem eigenen Körper gibt, was sich auch bestätigt hat.
Überrascht hat meine Kolleginnen Lisa Humer, Barbara Juen und mich, dass sich die Lektüre von Frauenzeitschriften im Experiment signifikant negativ auf die Stimmung der Untersuchungsteilnehmerinnen ausgewirkt hat. Die Idee zu der Studie ist mir gekommen, weil ich selbst an mir beobachtet habe, dass ich nach dem Lesen von Frauenzeitschriften meist schlechter gelaunt bin als vorher - und vielen meiner Freundinnen geht es auch so. Daraus ist die Überlegung entstanden, das einmal experimentell zu untersuchen. Dass sich die Effekte im Experiment so deutlich zeigen, das hat mich allerdings selbst überrascht.

dieStandard.at: Nach welchen Kriterien haben Sie die Frauenzeitschriften und populärwissenschaftliche Zeitschriften ausgewählt?

Annemarie Rettenwander: Wir haben eine repräsentative Auswahl an Frauen- und Mädchenzeitschriften verwendet. An populärwissenschaftlichen Zeitschriften haben wir für das Experiment "GEO", "P.M." und "Spektrum der Wissenschaft" verwendet. Interessant war jedenfalls, dass jene Mädchen, die populärwissenschaftliche Zeitschriften zur Lektüre bekommen haben, signifikant besserer Stimmung waren, als jene, die Frauenzeitschriften bekommen haben - und das, obwohl in den populärwissenschaftlichen Zeitschriften nicht gerade Themen vorgekommen sind, von denen man auf den ersten Blick annehmen würde, dass sie 13 bis 15-jährige Mädchen brennend interessieren (geographische Themen, Themen wie Astronomie, Chemie oder Physik, Umwelt-Themen etc.). Überspitzt formuliert könnte man vielleicht sagen, dass wissenschaftliche Themen (auch Teenager) glücklicher machen, als Klatsch, Mode, Styling-Tipps und irgendwelche Tipps zur vermeintlich besseren Lebensgestaltung.

dieStandard.at: Wie sind Sie methodisch vorgegangen?

Annemarie Rettenwander: Nach der 15-minütigen Lektüre der Zeitschriften wurden standardisierte psychometrische Tests ausgeteilt, also Tests, die zuverlässig und gültig Skalen wie aktuelle Stimmung, Zufriedenheit mit dem eigenen Körper oder Schlankheitsstreben messen. Selbstverständlich wussten die Probandinnen vorher nicht, was wir mit der Studie untersuchen wollen.

dieStandard.at: Waren nur Schülerinnen oder auch Lehrlinge an der Studie beteiligt? Wo wurde die Studie durchgeführt?

Annemarie Rettenwander: Bei den 143 Mädchen handelt es sich um Schülerinnen - Gymnasiastinnen und Hauptschülerinnen.
Die Experimente haben wir an Schulen in Oberösterreich durchgeführt. Die Mädchen und ihre Lehrerinnen und Lehrer wurden nach der Auswertung über die Ergebnisse informiert und sie haben sich sehr interessiert gezeigt. Auf diesem Weg möchten wir uns auch nochmals sehr herzlich für ihre Teilnahme bedanken.

dieStandard.at: Warum werden Frauenzeitschriften überhaupt konsumiert, wenn frau sich danach schlecht fühlt?

Annemarie Rettenwander: Die Lektüre solcher Zeitschriften regt soziale Vergleichsprozesse an.
Menschen vergleichen sich mit Anderen - auch wenn sie sich dabei schlecht fühlen. Das Problem bei solchen Zeitschriften ist, dass man/frau sich nicht wirklich mit realen Personen vergleicht. Viele Bilder von Frauenkörpern sind graphisch bearbeitet und frau vergleicht sich daher mit Kunstfiguren, die unerreichbar sind. Aber es geht nicht nur um die Art der bildlichen Darstellungen. In Frauenzeitschriften sind auch oft diverse Tipps zu finden (z.B. zu Beziehungsgestaltung, Erfolg im Job etc.). Das Problem bei diesen Tipps ist häufig, dass sie vorgaukeln, dass alles machbar und gestaltbar ist, wenn frau nur will oder nur das "Richtige" tut oder das "richtige" Produkt kauft. In der Realität ist leider vieles nicht machbar, daher kann man sich nur als Verliererin fühlen, wenn man so was liest.

dieStandard.at: Wie kommt es von einer Unzufriedenheit mit dem Körper zu einer ernsthaften Essstörung?

Annemarie Rettenwander: Bereits Susie Orbach (Anm.: Autorin und Therapeutin) hat darauf hingewiesen, dass Essstörungen eine Form der (unbewussten) Rebellion gegen die Rollenerwartungen und Ideale sind, die an Frauen herangetragen werden. Man könnte daher sagen, dass Essstörungen eine Art Überzeichnung und Karikatur der Erwartungen an Frauen und Mädchen darstellen. Damit es von einer Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper zu einer Essstörung kommt, müssen aber mehrere Faktoren zusammenspielen. Die gesellschaftlichen Rollenerwartungen an Frauen und die (nicht zuletzt über Frauenzeitschriften) an sie herangetragenen Idealbilder schaffen jedoch die Basis dafür, dass immer mehr Frauen und Mädchen an Essstörungen erkranken, wobei man weiß, dass Mädchen in der Pubertät besonders von solchen (Pseudo-)Idealen beeinflussbar sind, weil die Adoleszenz jene Zeit ist, in der wir uns mehr als in jedem anderen Lebensabschnitt fragen: Wer bin ich? Wie möchte ich sein? Woran kann ich mich orientieren? (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 4.1.2009)