Pusch: "Die feministische Sprachkritik hat die Grammatik tatsächlich verändert."

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Die Zeiten, in denen sich Frauen durch die Verwendung des Maskulinums auch angesprochen fühlen mussten, sind vorbei. Ob Selbstverständlichkeit oder Ärger über die "Umständlichkeiten", Thema ist die sprachliche Repräsentation von Frauen allemal und das schon ziemlich lange.

Die häufigsten Formen sind die Doppelformen (Freundin und Freund), die Schrägstriche (Freund/in) oder das Binnen I (FreundInnen). Darüber hinaus gibt es noch Methoden wie das Sternchen statt Endungen, wie "er" "in" (statt Liebe Leserin, Lieb* Les*), oder den Unterstrich, der einen Leerraum zwischen der männlichen und der weiblichen Form markiert (Leser_innen).

Im deutschsprachigen Raum ist die Sprachwissenschafterin Luise F. Pusch eine der wichtigsten Wegbereiterinnen für feministische Sprachpolitik. Beate Hausbichler sprach mit der feministischen Sprachkritikerin der ersten Stunde über die Entwicklungen der letzten Jahre, über mögliche Unterschiede in den deutschsprachigen Ländern und eine "Neutralisierung" der Sprache in ferner Zukunft.


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dieStandard.at: Frau Pusch, welche Verbesserungen - oder Verschlechterungen - konnten Sie in den letzten dreißig Jahren beobachten? Sind Frauen sprachlich heute besser repräsentiert?

Luise F. Pusch: Die feministische Sprachkritik hat die Grammatik tatsächlich verändert. Das Maskulinum ist nicht mehr das, was es mal war. Es wurde ja fraglos bis in die 60iger und 70iger Jahre als geschlechtsneutral akzeptiert. Keiner und keine hat daran etwas ausgesetzt, ich ja auch nicht. Dann kam die Sprachkritik aus den USA zu uns, wir schauten uns unsere Sprache an und waren entsetzt. Die daraufhin gemachten Vorschläge wurden dann auch recht bald umgesetzt.

Natürlich ist die Handhabung in den verschiedenen Gesellschaftskreisen unterschiedlich, aber es wissen doch mittlerweile alle, dass diese Kritik existiert und dass es als unhöflich gilt, eine gemischte Gruppe - ob auf dem Papier oder direkt - nur mit dem Maskulinum anzuherrschen.

dieStandard.at: Wie erklären Sie sich den weit verbreiteten Ärger, oder auch den Hohn und Spott, über feministische sprachpolitische Maßnahmen?

Luise F. Pusch: Das hat verschiedene Gründe. Die Verbesserung in Richtung mehr Gerechtigkeit in der Sprache führt zu unterschiedlichen Schwierigkeiten. Diese Schwierigkeiten, etwa, dass es vielleicht unbequem ist, gefallen den Leuten natürlich nicht. Das ist so, wie wenn sie plötzlich mehr Steuern zahlen müssten, zwar für einen guten Zweck, den sie auch als wichtig erachten, aber dennoch gefällt es ihnen nicht.

Ich erkläre das auch oft so: Stellen Sie sich eine Familie vor, zwei Kinder, zwei Erwachsene. Die kaufen sich ein Auto, einen Zweisitzer. Dann fällt ihnen ein, 'ach da sind ja noch die Kinder, die müssen ja auch noch irgendwie rein'. In diesem Auto wird es natürlich sehr eng und unbequem. Das kann aber nicht den Kindern vorgeworfen werden, sondern die Eltern haben nicht richtig nachgedacht. So ist das mit der Männergesellschaft, die völlig übersehen hat, dass da auch Frauen sind.

Nun wollen Frauen auch zu Wort kommen und jetzt schimpfen sie alle. Das Unbequeme ist aber nicht unsere Schuld. Ich finde, die Männer sollten froh sein, dass wir nicht einfach den Spieß umdrehen und nur mehr im Femininum reden, sondern uns die Mühe mit dieser Doppelform machen.

dieStandard.at: Die Methoden sind inzwischen vielfältig: Das Sternchen, der Unterstrich usw. Der Unterstrich will z.B. auch auf die Sichtbarkeit von Transgender-Personen aufmerksam machen. Was bedeuten diese Bestrebungen für die feministische Sprachkritik?

Luise F. Pusch: Das bedeutet, dass die Kritik an der Sprache lebendig und kreativ ist. Seit bereits zwanzig Jahren bekomme ich diese Vorschläge, die besonders von Männern kommen. Das mit dem Sternchen kam auch schon vor zwanzig Jahren. Das Sternchen kann man aber nicht aussprechen, das ist nur eine schriftliche Lösung. Und es ändert auch überhaupt nichts an dem männlichen Erscheinungsbild. Insofern ist diese Sache mit dem großen I am unbeliebtesten, weil es stark an das Femininum erinnert. Das mögen die Männer sehr ungern.

Es ist ein kreatives Gerangel und ich würde sagen, dass sich das schon irgendwie zurechtentwickelt. Gut ist, dass die Diskussion da ist. Persönlich meine ich, dass es entscheidend ist, Frauen sichtbar und hörbar zu machen. Das "in" und "innen" ist im Deutschen gegeben und daran können wir anknüpfen, längerfristig bin ich aber für die Abschaffung des "in". Ich bin also für folgende Art von Neutralität: die, der und das Antiquar (Anm. statt die Antiquarin).

dieStandard.at: Sie plädieren also für eine völlige Neutralisierung der Sprache?

Luise F. Pusch: Ja, aber wie gesagt: nicht sofort. Also ungefähr in ein paar hundert Jahren, wenn sich die Menschheit daran gewöhnt hat, dass es auch Frauen gibt. Das muss intensiv in die Gehirne eingeimpft werden, mit viel Gebrauch von "in" im Deutschen.

Selbst bei Personen, von denen wir das Geschlecht nicht kennen, wird von einem "er" ausgegangen: 'was macht der da vorne im Auto', obwohl wir nicht sehen, wer da drinnen sitzt. Dagegen müssen wir wirklich vielfältig andenken und ansprechen.

dieStandard.at: Für den jetzigen Zeitpunkt ist für Sie aber das große I die beste Lösung?

Luise F. Pusch: Für den schriftlichen Gebrauch, ja. Noch besser finde ich jedoch das umfassende Femininum, das erfordert aber natürlich Mut und lässt sich in Zeitungen, die meistens von Männern beherrscht sind, nicht durchsetzen. Aber in Frauenkreisen benutzen wir das fleißig, die Männer sind natürlich immer mitgemeint.

Zentral in meinem Denken ist, dass eine Neutralisierung aber erst der zweite Schritt ist, der möglicherweise in zweihundert Jahren stattfinden kann.

dieStandard.at: Häufig wird eine "reale Benachteiligung" einer "symbolischen" Benachteilung - wie eben über Sprache - gegenübergestellt. Nach dem Motto: "Wir müssen es uns ja leisten können, über so was nachzudenken...". Ist die Auseinandersetzung mit geschlechtergerechter Sprache ein Luxus?

Luise F. Pusch: Das ist sehr kurzschlüssig gedacht, denn eine symbolische Benachteiligung ermöglicht erst eine reale Benachteiligung. Zumindest greift es ineinander. Frauen sind sprachlich als Menschen zweiter Klasse definiert und werden auch "real" so behandelt. Denken Sie an die Parallele "schwarze SklavInnen und ihre Besitzer". Ein Sklave, nennen wir ihn Jim, hieß nach seinem Besitzer, sagen wir Smith. Wurde Jim an Mr. Irving verkauft, hieß er Jim Irving. Und so wechseln auch die meisten Frauen mit dem Besitzer, pardon: Ehemann, den Nachnamen.

Ein weiteres Argument dagegen, dass das alles nichts bewirkt oder unwichtig sei, ist: Wir wissen, dass Sprache sehr viel bewegt, denn wenn wir den Spieß umdrehen und nur mehr im Femininum sprechen, halten das die Männer überhaupt nicht aus. Wenn das alles nichts bewirkt, dann sollte es ja kein Problem sein, nur im Femininum zu reden.

dieStandard.at: Können Sie den Eindruck bestätigen, dass geschlechtergerechtes Sprechen in Deutschland weniger verbreitet ist als in Österreich? Beobachten Sie Unterschiede zwischen den deutschsprachigen Ländern?

Luise F. Pusch: Diese Frage ließe sich nur beantworten, wenn eine große Studie gemacht worden wäre, dafür gibt es aber kein Geld. Insofern kann ich Ihnen nur antworten, was mein Eindruck ist. In Österreich ist tatsächlich zurzeit das Bewusstsein ziemlich lebendig. Dieses Bewusstsein wird auch durch dieStandard.at mitgeprägt, eine Zeitung, die doch eine schöne Online-Präsenz hat und bekannt ist. Früher war es umgekehrt, da war Österreich völlig uninteressiert und in Deutschland kochte das Thema, noch mehr aber in der Schweiz. Das kann daran liegen, dass sie dort mit ihren vielen Sprachen sprachsensibler sind. In Deutschland und der Schweiz ist die Debatte aber nicht mehr so lebhaft, in Österreich hingegen, wo das Thema zuletzt aufgegriffen wurde, ist sie es noch immer.

dieStandard.at: Wie könnte "feministisches Sprechen" aus feministischen Kreisen in den Mainstream hinausgetragen werden?

Luise F. Pusch: Viele bemühen sich emsig und jede einzelne Tat trägt dazu bei, wie beim Widerstand im Allgemeinen. Anders geht es wohl kaum. Das Thema ist ja immer noch da und beunruhigt die Gemüter. Ich weiß keine andere Möglichkeit, außer natürlich die Top-Down- Methode. Das Dumme ist nur, dass Frauen an der Spitze oft nicht ankommen und wenn, dann sind das eher so Thatcher-Typen, die solche Themen nicht wichtig finden. Aber manchmal haben wir Glück und eine feministische Frau kommt oben an. Ich erinnere mich zum Beispiel an Yvette Roudy, das ist auch schon wieder zwanzig Jahr her, die als Innenministerin in Frankreich die Feminisierung der französischen Personenbezeichnungen durchgesetzt hat. Da gab es auch endlosen Widerstand. Der US-amerikanische Kongress hat im Januar übrigens geschlechtergerechte Sprache für all seine Verlautbarungen offiziell vorgeschrieben - top-down!

Ich persönlich bin auch wieder durch meine Glossen viel tätiger geworden. In den Neunzigern schrieb ich pro Jahr eine, jetzt haben wir das Internet und ich mein eigenes Sprachrohr. Meistens lasse ich mich bei den Glossen sprachlich inspirieren. Von dieser Art Gesellschaftskritik im Gewande der Sprachkritik sind schon zwei Bände erschienen. Jene Glossen, die ganz speziell Innovationen und feministische Neologismen vorschlagen und vorstellen, kommen im Herbst gesondert als Buch heraus.

dieStandard.at: Wie werden Sie den Frauentag verbringen? Werden sie ihn feiern?

Luise F. Pusch: Also ich neige sowieso wenig zum Feiern, ich bin zu faul zum Feiern. Das macht oft viel mehr Stress als Freude. Am 8. März bin ich zufällig bei meiner Familie, die stehen dem Feminismus recht fern, er ist für sie nicht so wichtig. Aber ich werde auf den 8. März bestimmt ein Glas Wein - oder mehrere - trinken.

(Beate Hausbichler, dieStandard.at, 7.3.2009)