Emotionale Kompetenz, oder emotionale Intelligenz, wie es die Ratgeberliteratur nennt, scheint schon seit längerem unabdingbar, privat wie beruflich. Welche Funktionen solche "Soft-Skills" haben, aus welcher Tradition sie kommen und wie sie die kapitalistische, westliche Gesellschaft für sich nutzt, diesen und ähnlichen Fragen geht Eva Illouz in ihrem neuen Buch „Die Errettung der modernen Seele" in einer soziologischen, kulturtheoretischen Herangehensweise, die sie auch mit Prämissen der Cultural-Studies kombiniert, nach.
Zur emotionalen Kompetenz gehört die Fähigkeit, über sich Sprechen zu können und das Reflektieren über Beziehungen, was Illouz in einem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang als "therapeutischen Diskurs" beschreibt. Er ist der "Slang unserer Kultur" zitiert Eva Illouz den amerikanischen Kulturkritiker Lionell Trillings, der es damit auf den Punkt bringt. Unter dem Begriff des "therapeutischen Diskurses" untersucht Illouz die im vergangenen Jahrhundert mit Freud aufkommenden kulturellen Praktiken, die wir in Talkshows im Nachmittagsprogramm oder im Fortbildungsseminar beobachten können.
Zuerst "Liebe" und "Gefühle"
Die Analyse über den therapeutischen Diskurs in "Die Errettung der modernen Seele" ist bereits die dritte Etappe eines theoretischen Projekts von Illouz, dem schon Bücher über Liebe und Emotionen bzw. Gefühle vorangegangen sind. In dem viel beachteten Buch "Der Konsum der Romantik" (2003) ging Illouz der Durchdrungenheit der romantischen Liebe von Konsum und umgekehrt auch der Romantisierung von Konsum und Waren nach.
Ihre Analyse der Ökonomisierung der Romantik und der Romantisierung der Ökonomie wurde als "theoretisches Ereignis" gefeiert. 2006 legte Illouz nach. In "Gefühle in Zeiten des Kapitalismus" weitete sie das Feld der romantischen Liebe auf "Gefühle" und "Emotionen" bzw. den Diskurs darüber aus. Der Umgang und Einsatz von Gefühlen in einer kapitalistischen Gesellschaft als relativ neuer "emotionaler Stil" ist somit für Illouz schon lange Thema. In ihrem neuen Buch vertiefte und erweiterte sie ihre Thesen noch mal, so widmete sie etwa in "Die Errettung der modernen Seele" ein ausführliches Kapitel ("Vom Homo oeconomicus zum Homo communicans") dem modernen Imperativ des Kommunizierens. Illouz behandelt sprachliche Kompetenz als Kapital, das inzwischen aus der Arbeitswelt genauso wenig wegzudenken ist wie aus Beziehungen, oder besser, aus der Beziehungsarbeit.
Von ihren vorangehenden Büchern über die romantische Liebe und über Gefühle und Emotionen landet Illouz nun also beim therapeutischen Diskurs und somit greift sie auch wieder die Rolle von Frauen und die des Feminismus als wichtige politische Bewegung des 20. Jahrhunderts auf. Schon in "Gefühle in Zeiten des Kapitalismus" beschäftigte sich Illouz mit der engen Verbindung von Psychologie und Feminismus. Die Themen des Feminismus waren und sind eng mit Bereichen des Privaten, mit Familie und anderen Beziehungsstrukturen und mit Sexualität verbunden, was auch wichtige Themen für den therapeutischen Diskurs sind. Dieser Verbindung zwischen Feminismus und therapeutischen Diskurs geht Illouz nun auch in "Die Errettung der modernen Seele" nach.
Der vom Feminismus vorgenommene Transfer von privaten Erfahrungsbereichen in die öffentliche, politische Sphäre stellt Illouz als ein Beispiel vor, bei dem im öffentlichen Diskurs eine neue Art von Reflexivität gefordert wurde. Der Feminismus teilt mit dem therapeutischen Diskurs "die Idee und Praxis der Umwandlung privater Erfahrung in öffentliche Rede", so Illouz schon in "Gefühle in Zeiten des Kapitalismus".
Auch diffus und informell
Die Fähigkeit, sich im therapeutischen Diskurs zurechtzufinden, beschreibt Illouz als mittlerweile ernorm wichtigen sprachlichen Habitus, der - wie sie mit dem Beispiel des Feminismus gezeigt hat - auch in politischen Debatten gefragt ist. Unter therapeutischen Diskurs fasst die Soziologin sowohl die wissenschaftliche Disziplin der Psychologie, als auch eine diffuse, informelle Praktik. Diese Praktiken zeigen sich in kulturellen Phänomenen, wie die schon erwähnten Talkshows, die Ratgeberliteratur oder einer "durchemotionalisierten" Sprache, wie sie sich am Arbeitsplatz durchsetzte. Vor allem in vermittelnden, kontrollierenden Berufen, die von einem ausgeprägten Selbstmanagement und von einer gelingenden Kooperation mit anderen abhängt.
Was leisten soziale Praktiken?
Dennoch: Illouz betont in ihrem neuen Buch, dass sie sich an einer "Kritik der Moderne", wie sie etwa Michel Foucault vorgebracht hat, der auch schon den therapeutischen Diskurs analysiert hat, aber als Wissenssystem mit starkem Griff bis in unser Innerstes, nicht beteiligen will. Eine solche Kritik wäre auch nichts Neues. "Ich möchte weder die verderblichen Folgen des therapeutischen Diskurses dokumentieren noch dessen emanzipatorisches Potential diskutieren", so Illouz über ihr Vorhaben in den einleitenden Passagen. Sie will Kultur untersuchen, ohne sich anzumaßen "schon im vorhinein zu wissen, wie soziale Beziehungen aussehen sollten", ein Anspruch, den Illouz mit ihrem unvoreingenommenen Stil spielend durchhält. Illouz interessiert sich nicht dafür, wie soziale Praktiken sein sollten, sondern warum sie sind, wie sie sind und warum sie als solche kulturelle Praktiken für Menschen "etwas leisten".
Die thematischen Brücken die Illouz in "Die Errettung der modernen Seele" schlägt, sind enorm. Von den ersten Schritten des therapeutischen Diskurses durch Freud, den ersten Verflechtungen zwischen Psychologie und Populärkultur bis zum nützlichen emotionalen Habitus, der vielleicht zu neuen "sozialen Schichtungen" beiträgt. Dazu kommen äußerst spannende Analysen und empirisches Material, von dem Illouz in den verschiedenen Kapiteln eine aufschlussreiche Auswahl vorlegt. Und einmal mehr bearbeitet Illouz das Verhältnis von Psychologie und Feminismus auf interessante Weise, eine Verbindung die nach Illouz mit der Thematisierung der Psychologie von gegensätzlichen Eigenschaften wie "Fürsorge" und "Autonomie" entstand, Themen, mit "denen die Feministinnen zu kämpfen hatten, um die neue Frau zu entwerfen."
Die Reflexionen von Eva Illouz über kulturelle Praktiken brauchen weder den erhobenen Zeigefinger noch Kulturpessimismus. So legt sie einen Einblick über die Entwicklung des therapeutischen Diskurses von den Anfängen des 20. Jahrhunderts bis zu Oprah Winfrey vor. Ein weiterer Text von Eva Illouz, der in einer Deutlichkeit und Anschaulichkeit verfasst ist, dass es einmal mehr eine Freude ist. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 24.5.2009)