Wien – Obwohl die Zahl der Anzeigen wegen Vergewaltigung in Österreich in den letzten Jahren leicht gestiegen ist, ist die Zahl der Verurteilungen gesunken. Das geht aus einer aktuellen Studie im Rahmen eines EU-Daphne-Projektes zur Strafverfolgung von Vergewaltigung in allen EU-Ländern hervor, die am Freitag in Wien vorgestellt wurde.

"Dieses Ergebnis beunruhigt uns sehr, denn das bedeutet, dass nicht einmal jede fünfte Anzeige zu einer Verurteilung führt und dass Vergewaltigung ein Delikt ist, das überwiegend straffrei bleibt", so Rosa Logar von der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie.

Nur 17 Prozent verurteilt

Liz Kelly und Corinna Seith von der London Metropolitan University haben für ihre Studie "Different systems, similar outcomes? Tracking attrition in reported rape cases in eleven countries" je hundert Strafakten in elf Ländern, darunter auch Österreich, ausgewertet: Die Zahl der Verurteilungen in Österreich sank von durchschnittlich 22 Prozent in den letzten fünf Jahren auf 17 Prozent im Jahr 2006.

Nur etwa eine von zehn Vergewaltigungen angezeigt

Dabei müsse auch die niedrige Anzeigenrate berücksichtigt werden: "Nur etwa eine von zehn Vergewaltigungen wird angezeigt", berichtete Kelly. Während Schweden auf 100.000 EinwohnerInnen 46,5 Anzeigen verzeichnet, werden hierzulande statistisch gesehen 8,5 Vergewaltigungen gemeldet. "Die betroffenen Frauen fürchten, dass ihnen nicht geglaubt wird oder dass ihnen sogar die Schuld zugeschoben wird, daher schrecken sie vor einer Anzeige zurück", weiß Logar aus der langjährigen Erfahrung in der Beratung mit Opfern. Frauen scheuen sich in Österreich vor allem dann, eine Vergewaltigung anzuzeigen, wenn der Täter der Partner oder Ex-Partner ist.

"Fremdtäter"-Anteil hoch

"Es ist sehr auffallend, dass in Österreich der Anteil der Fremdtäter mit 41 Prozent viel höher liegt als in anderen Ländern. Hier müssen noch Anstrengungen unternommen werden, um die Erstattung einer Anzeige, die nicht dem Stereotyp des Überfalls durch einen Fremdtäter entspricht, zu erleichtern", so Seith. Dazu gehörten verstärkte Aufklärung und Bewusstseinsbildung, etwa in Form von Kampagnen.

Geringe Aufklärungsrate

Die genaue Untersuchung von Wiener Strafakten ergab auch, dass ein großer Teil der Täter, nämlich vier von zehn, nicht ausgeforscht werden konnte. Hier stelle sich die Frage, ob nicht noch größere Anstrengungen zur Aufklärung von Vergewaltigungsfällen unternommen werden müssten, meinen die Autorinnen. Europaweit zeige sich bei den Tätern "ein relativ junges Altersprofil".

Anklagerate und Verurteilung

Von den hundert untersuchten Strafakten wegen Vergewaltigung in Wien kam es nur in 30 Fällen zu einer Anklage (mit 18 Fremdtätern und zwölf Partnern/Ex-Partnern als Täter). In 18 Fällen erfolgte eine Verurteilung, in elf Fällen ein Freispruch, ein Fall war bei Fertigstellung der Studie noch anhängig. Auffallend sei auch, dass von den 18 Fremdtätern 15 verurteilt wurden, bei den 12 Vergewaltigungen, die durch Partner/Ex-Partner verübt wurden, kam es aber nur zu drei Verurteilungen. Dies könne ein Indiz dafür sein, dass Vergewaltigung vor allem dann als gravierend gesehen wird, wenn sie durch fremde Täter erfolgt. Eine größere Chance auf eine Verurteilung bestand auch dann, wenn Waffen im Spiel waren oder das Opfer nachweislich verletzt wurde.

Fehlende Beweissicherung und gerichtsmedizinische Gutachten

Gründe für die niedrige Anklage- und Verurteilungsrate dürften fehlende Beweise und fehlende Beweissicherung sein. Die Studie ergab, dass in nur 45 Prozent der Fälle ein gerichtsmedizinisches Gutachten vorlag. Die Beweislage sei bei Vergewaltigungen oft schwierig, die Aussage des Opfers alleine reiche oft nicht und meist gäbe es keine ZeugInnen. Daher kommt den Sachbeweisen – dazu gehören DNA-Spurensicherungen und weitere gerichtsmedizinische Untersuchungen – eine besondere Bedeutung zu: "Wir wünschen uns, dass in jedem Fall von Vergewaltigung und auch bei anderen schweren Gewaltdelikten sofort eine gerichtsmedizinische Untersuchung durchgeführt wird, wenn die Betroffenen das wollen", appellierte Logar. Dies müsse schnell geschehen, da viele Spuren später nicht mehr verfügbar sind. "Wir ersuchen die zuständigen StaatsanwältInnen, im Bedarfsfall sofort den Auftrag für ein gerichtsmedizinisches Gutachten zu geben, damit Spuren nicht verloren gehen", so Logar.

Geschulte weibliche Gerichtsmediziner

Weiters wünschen sich die Opferschutzeinrichtungen, dass gerichtsmedizinische Untersuchungen unter größtmöglicher Schonung der Opfer in einem vertrauenerweckenden Ambiente und durch geschulte weibliche Gerichtsmediziner durchgeführt werden. "Wir haben hier ein Projekt mit einer Gerichtsmedizinerin, die sich auf dieses Gebiet spezialisiert hat, begonnen, und möchten dieses ausbauen," so Logar. "Für die Realisierung braucht es jedoch noch entsprechende Ressourcen und Kooperationen mit der Strafjustiz."

Positiv: Prozessbegleitung für Opfer von Gewalt

In Österreich wurden in den letzten Jahren viele positive Maßnahmen zum Schutz und zur Unterstützung der Opfer gesetzt, wie zum Beispiel die schonenden Vernehmung über Video, die Installierung von Prozessbegleitung und die Einrichtung von Sonderzuständigkeit für (sexuelle) Gewalt im Bereich größerer Staatsanwaltschaften, betonte Logar: "Wir begrüßen diese Verbesserungen und das 2006 in Kraft getretene Recht von Opfern von Gewalt auf psycho-soziale und juristische Prozessbegleitung im Strafverfahren sehr. Für sehr positiv halten wir auch, dass Opfer ab 1. Juni 2009 auch im Zivilverfahren, z.B. im Rahmen eines Antrags auf eine zivilrechtliche Schutzverfügung, das Recht auf psycho-soziale Prozessbegleitung haben werden."

Fehlende Finanzierung

Das Aber folgte jedoch auf Fuß: Für diese neue Unterstützung der Opfer seien keine finanziellen Mittel vorhanden. "Wir wünschen uns, dass die neue Bundesministerin für Justiz den positiven Weg der Prävention von Gewalt und der Unterstützung von Opfern fortsetzt und dass es ihr gelingt, entsprechende Mittel bereitzustellen. Die neue Regelung der Prozessbegleitung soll nicht totes Recht bleiben, denn nur durch die Unterstützung der Opfer von Gewalt kann ihr Vertrauen in die Behörden gestärkt werden", Logar abschließend.

Frauenministerin will Ursachenforschung betreiben

Die Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek kündigte angesichts der Ergebnisse indes Gespräche mit Justizministerin Claudia Bandion-Ortner an, um die Gründe für die sinkende Anzahl der Verurteilungen bei gleichzeitigem Anstieg der Anzeigen zu erforschen. Bei ihr "schrillen die Alarmglocken" angesichts dieses Widerspruches, so Heinisch-Hosek: "Frauen müssen sich darauf verlassen können, dass alles getan wird, damit es auch zu Verurteilungen bei Vergewaltigung kommt", betonte die Ministerin.

Grüne für Ausbau des klinisch-forensischen Ambulanz-Modells

Die Frauensprecherin der Grünen Judith Schwentner sieht im Mangel in der Spurensicherung einen Grund für die niedrigen Verurteilungsraten. "Derzeit fehlen sogar noch bundesweit einheitliche Standards für die Dokumentation von Verletzungen nach Gewaltverbrechen. Hier herrscht dringender Handlungsbedarf", urgierte sie in einer Aussendung. Der Bereich der Beweissicherung müsse schnellstmöglich optimiert und ausgebaut werden, forderte Schwentner. Eine Klinisch-Forensische Ambulanz, die auf die Sicherung von Spuren, spezialisiert ist, gibt es derzeit nur in Graz. Dieses Modell sollte ausgebaut werden und in allen Bundesländern Schule machen.

"Die Ergebnisse der Konferenz zeigen, dass die Mittel für die Prozessbegleitung von Opfern nicht unter Budgetvorbehalt stehen dürfen. Es bleibt auch weiterhin unverständlich, warum die angekündigte Prozessbegleitung im Zivilverfahren, wenn dieses an ein Strafverfahren geknüpft ist, bei der Verabschiedung des Zweiten Gewaltschutzpaketes nicht mitbeschlossen wurde", so Schwenter abschließend. (APA/red)