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"Mein ganzes Leben ist ein Kampf gewesen, und ich habe mich schließlich damit abgefunden, dass es wohl bis zum Ende so weitergehen wird", schrieb Judy Chicago 1982 im Nachwort ihres Buches "Durch die Blume. Meine Kämpfe als Künstlerin": "Für mich zählt nur, dass ich weiter arbeite und durch meine Arbeit weiter für die Freiheit der Frauen kämpfe". Dieser Entschluss, der viele Jahrzehnte des Lebens und Werkes von Judy Chicago geprägt hat, ist bereits recht früh aus ihren leidvollen Erfahrungen, als Künstlerin und Frau in der patriarchalen Gesellschaft diskriminiert zu werden und fortwährend Hindernissen ausgesetzt zu sein, erwachsen.

Künstlerin Judy Chicago vor ihrer Installation "The Dinner Party"

Foto: AP

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Obwohl die als Judy Gerowitz am 20. Juli 1939 in Chicago Geborene in einem politisch linken und progressiven Elternhaus aufgewachsen ist, in dem sie gelernt hatte, als Mädchen gleichwertig zu sein und alles erreichen zu können, musste sie während ihres Kunststudiums erkennen, dass Geschlechteregalität nicht existiert. Die vorwiegend männlichen Professoren und Studenten sahen in den wenigen Studentinnen "nicht ernst zu nehmende Gänse" und auch die Inhalte und Techniken, die vermittelt worden sind, waren an der männlichen Kunstgeschichte orientiert, in der Berichte über Künstlerinnen und spezifische weibliche Kulturtechniken nicht vorkommen.

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Nachdem Judy Chicago keinesfalls für eine "dumme Gans" gehalten und eine "ernsthafte Künstlerin" werden wollte, schlug sie sich quasi auf die Seite der Männer. Die einzige Möglichkeit sah sie damals nur darin, ihre eigene Weiblichkeit zu rationalisieren und so zu tun, als wäre sie "anders": "Ich versuchte, mein Frausein dadurch zu kompensieren, dass ich ständig zu beweisen versuchte, ich sei so hart wie ein Mann. Ich begann meine Arbeit so zu verändern, dass ich von den Männern akzeptiert wurde".

Ceramic Goddess #3

Foto: Brooklyn Museum

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Ausschlaggebend waren die Reaktionen der Dozenten von der Prüfungskommission, die extrem irrationale Einwände gegen ihre Bilder vorgebracht hatten. "Es waren biomorphe Formen, und sie erinnerten an Phallus, Vagina und Hoden, an Bäuche, Herzen, Eierstöcke und andere Körperteile". Diese Formen hätten ihre Gefühle und Weiblichkeit unverhüllt gezeigt. Die Reaktion der Professoren verwirrten sie sehr, "doch eine Botschaft war unüberhörbar: Ich trug etwas in meine Arbeiten hinein, das dort nicht sein sollte ... ich dachte, ihnen gefielen vielleicht keine Bilder, die zu weiblich waren", schrieb Judy Chicago.

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Allmählich begriff sie, dass ihre Arbeit nur dann ernst genommen würde, wenn nicht zu erkennen war, dass sie von einer Frau stammte. In dieser Zeit eignete sie sich "männliche" Techniken an: sie benützte Werkzeuge und Maschinen, die sie bislang nicht gekannt hatte, zimmerte riesige Sperrholzplatten, arbeitete mit Metall, Plexiglas und Spritzpistole und auch als sie an der Kreissäge fast eine Brust verloren hätte, machte sie weiter. Sogar äußerlich versuchte sie - bestiefelt, Zigarre rauchend und Motorradrennen anschauend - sich dem Bild eines Mannes zu nähern, um in der androzentrischen Kunstwelt anerkannt zu werden. Eine Rechnung, die nicht aufging

Judy Chicago: Peeling Back, Lithografie 1974

Foto: AP

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Denn je besser ihre Arbeiten wurden, umso stärker wurde sie angefeindet, sowohl im Kunstbetrieb als auch privat. Ein "Mannweib" wäre sie, eine, die Männer kastriert etc. Und viele der Kuratoren und Galeristen, mit denen sie zu tun hatte, interessierten sich mehr für sie als sexuelles Wesen, denn als Kunstschaffende. Schmerzlich musste sie erkennen, dass diese Diffamierungen systemimmanent, ein gesellschaftliches Problem waren: "Ich wusste inzwischen, die Ablehnung auf die ich stieß, ging darauf zurück, dass ich eine Frau war".

Gold Work

Foto: AP

Ihr Kontakt mit der Ende der 1960er-Jahre entstandenen Frauenbewegung war ihre Rettung, es war, so schrieb sie, ein Aufbruch ihrer Isolation. Endlich hatte sie eine Alternative gefunden für die "Zurückweisung, Verachtung und Ablehnung, die ich erlebt hatte". Sie wurde zu Vorträgen eingeladen und sprach darüber, was sie als Künstlerin und Frau durchmachen musste. Daraufhin verfolgte sie die Angst, für das "Unaussprechliche", das sie gesagt hatte, bestraft zu werden. Dass man in ihr Atelier einbrechen könnte, ihre Bilder zerstören und ihr selbst physische Gewalt zufügen, sie ermorden könnte.

Judy Chicago "Primordial Goddess Plate", Detail aus der Serie "The Dinner Party"

Foto: Der standard

Doch kurz darauf wusste sie, an einem neuen Ort angekommen zu sein: ein Bewusstsein eines neuen Aufbruchs und einer neuen Identifikation aufgrund der Frauenbewegung. Und in diesem Zustand änderte sie ihren Namen auf Judy Chicago, um sich "als unabhängige Frau" zu erkennen zu geben.

Eines von 39 Gedecken der "Dinner Party"

Foto: Brooklyn Museum

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Es folgte eine intensive Beschäftigung mit den Werken von Frauen in allen Bereichen und mit der zum Teil überlieferten bzw. gefälschten Geschichtsschreibung über Frauen. Mit dem wachsenden Wissen über die patriarchal unterdrückte und deformierte weibliche Kultur, verstärkte sich ihr Wunsch, mit anderen Frauen zusammen zu arbeiten und Kunst zu schaffen, die diese Mängel und Verzerrungen ans Licht bringen sollte.

Weiteres Motiv eines Gedeckes

Foto: AP

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Anfang der 1970er-Jahre verließ sie Chicago und initiierte am Fresno State College eine Kunstklasse nur für Frauen. Sie wollte den Studentinnen zeigen, wie sie sich durchsetzen und ihr Augenmerk auf ihre Kunst legen konnten. In einem eigens für diese enge Zusammenarbeit und Unterstützung geschaffenen Atelier, das von den Frauen von Grund auf in allen Arbeitsschritten selbstständig renoviert worden ist, gab es nun einen Raum für Kunst jenseits des Malestreams, die eine kritische Auseinandersetzung mit der herrschenden Geschlechterhierarchie ermöglichte.

Judy Chicago erklärt ihre Installation ReporterInnen

Foto: AP

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Nach dem Jahr in Fresno gründete Judy Chicago ein feministisches Kunstprogramm am California Institute of the Arts in Valencia. Hier wurde die Idee für "Womanhouse" geboren, das 1972 in der Nähe von Los Angeles in einem verfallenen Haus gemeinsam mit Mirjam Schapiro und vielen Studentinnen realisiert worden ist. Ähnlich wie in Fresno wurden alle Renovierungsarbeiten von den Frauen selbst gemacht und anschließend siebzehn Räume künstlerisch gestaltet. "Womanhouse wurde zum Environment, in dem Arbeiten von Künstlerinnen einen Platz fanden, die ihre Lebenserfahrungen umsetzten, und zum 'Haus' weiblicher Realität, das man betrat, um die wahren Probleme, Fakten und Gefühle im Leben von Frauen zu erleben", erklärte Judy Chicago in "Durch die Blume".

"The Dinner Party" im Brooklyn Museum New York im März 2007

Foto: AP

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Nachdem sie von 1972 bis 1974 Porzellanmalerei gelernt hatte, zeigte sie in Ausstellungen auf Porzellanplatten eine Bildsprache, welche die "weibliche Form ins Universelle" übertrug. Darunter waren viele Motive, die sich in "The Dinner Party" wiederfinden. Die Idee für das monumentale Kunstwerk als einer gedeckten Tafel war, aufgrund der verschiedenen, über Jahrtausende gewachsenen Kunst- und Handwerkstechniken das Verschweigen der Leistungen von Frauen heute und historisch abzubilden.

Judy Chicago 1974 beim Bemalen von Porzellan

Foto: AP

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"The Dinner Party", so Judy Chicago, "ist eine Neuinterpretation des Abendmahls aus der Sicht der Menschen, die jahrtausendelang gekocht haben. Die Gäste bei diesem Essen sollten durch Darstellungen auf Tellern symbolisiert werden - ein Hinweis darauf, dass die Geschichte große Frauen weniger gewürdigt als konsumiert hat".

Details der Installation

Foto: AP

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Über 400 Frauen und einige Männer hatten vier Jahre und drei Monate an diesem Kunstwerk, das in einem zweibändigen Buch dokumentiert ist, gearbeitet. Alleine bei der ersten Ausstellung 1979 in San Francisco kamen 5.000 Menschen.
Weitere Informationen über das Gesamtwerk von Judy Chicago finden sich auf ihrer Website: www.judychicago.com.
(dabu/dieStandard.at, 19.07.2009)

Feministinnen unter sich: Judy Chicago (li), Gloria Steinem (Mitte) und Elizabeth Sackler (re)

Foto: AP