Bild nicht mehr verfügbar.

Der Glamour klebt am dünn sein: "Thinspiration" nicht auf einer Pro-Ana-Webseite, sondern in zahlreichen Magazinen.

Foto: REUTERS/Eric Thayer

"Seit 3 Tagen nur 600 kcal gegessen. Es läuft alles super. Nie wieder ess ich mehr", freut sich eine junge Bloggerin, die überlegt: "Ich esse ja nur aus Langeweile, um das abzustellen, denk ich, ich fange an zu rauchen." Der Alltag von Frauen (meist junge Frauen), die unter das Krankheitsbild der Anorexie passen, ist vielfach auf Webseiten nachzulesen, in denen sie sich über ihre Magersucht austauschen und diese auf den sogenannten "Pro-Ana"-Seiten (Ana steht für Anorexie) auch als "Lebensstil" zelebrieren. Dazu gehört nicht nur die ausführliche Verständigung über das dominante Thema des "Nicht-Essens", sondern auch das dazupassende Sozialverhalten, wie oft frau sich wiegen soll, wie Nahrungsaufnahme vorgetäuscht werden kann, usw.

Die Betreiberin der Seite fasst auch noch "Ana-Gesetze" zusammen, eine Mischung aus Mainstream-Schlankheitstipps, die auch jeder versierten Diätlerin bekannt sein dürften und Ratschlägen nur für Hartgesottene. Zum Beispiel: "Kleine Teller nehmen" ist gefolgt von "das Essen darf nicht genossen werden, sondern muss langsam gegessen und gehasst werden".

"Thinspiration"

Auf einer anderen Homepage gibt es eine Reihe von "Thinspiration"-Bildern mit privaten Fotos von dünnen Mädchen und Models. Zum Gustieren wird auch eine Fotostrecke mit Bildern einer Victoria Secret Modeschau angeboten, womit die Bloggerin die verschwommenen Grenzen zwischen Glamour und Elend gut - wenn auch unbeabsichtigt - illustriert. Eine relativ große Gruppe jener unzähligen Stimmen, die sich zum Thema Anorexie im Netz äußern, präsentiert sich nicht als Opfer einer Krankheit, was laut MedizinerInnen auch zum Krankheitsbild gehört. Mitgefühl und Bedauern wird in den Kommentaren auf den Seiten nicht wegen der Anorexie ausgesprochen, sondern wegen diversen Problemen im sozialen Umfeld der Mädchen, wegen dem Freund oder Schwierigkeiten in der Familie. Vielmehr wird auf den Seiten die Möglichkeit, den Körper durch die eigene Willenskraft so zu formen, wie es einer gefällt, als Schutz gegen andere Probleme gehandelt.

Gesetzliche Maßnahmen?

Rufe nach Verboten von Pro-Ana-Seiten setzen die Stimme der Anorektikerinnen im Netz in ein direktes Verhältnis mit den steigenden Zahlen von Magersüchtigen. In Frankreich wurde 2008 ein Gesetzesvorschlag verabschiedet, der Seiten "die zur Magersucht anstiften" unter Strafe stellt. Bis zu drei Jahren und 45.000 Euro Geldstrafe gibt es nun dafür, einen Menschen dazu zu bringen, eine exzessive Magersucht anzustreben. Auch aus Italien wurden im Frühjahr dieses Jahres Pläne gemeldet, dass "Anstiftung zur Magersucht" künftig strafrechtlich verfolgt werden soll. In Deutschland wurde zuletzt vom deutschen Philologenverband, laut dem es allein im deutschsprachigen Raum 1.000 Pro-Ana-Seiten geben soll, ein Verbot aufs Tapet gebracht. Der Verband argumentiert, die Seiten würden nur von selbst erkrankten Jugendlichen betrieben werden, die keinerlei Hilfe anbieten, sondern vielmehr "missionieren" wollen.

Katrin Draxl vom Institut für Menschen mit Essstörungen "sowhat" würde ein Verbot von Webseiten vom Problembewusstsein der BetreiberInnen abhängig machen: "Webseiten, bei denen ein Austausch stattfindet sind etwas anderes, als Seiten, die Regeln darüber aufstellen, wann und wie man am besten Erbrechen soll". Ich-Botschaften, die von dem anstrengenden Alltag mit Anorexie berichten, sollten von so einem Verbot ausgenommen sein. Ein Verbot von Pro-Ana-Seiten, die nicht-dünne Menschen als "ekelig" oder "unkontrolliert" bezeichnen, hält Draxl allerdings für begrüßenswert.

Auf einigen Seiten ist aber keine klare Trennung von "Anstiftung" und einem Austausch, der vielleicht hilfreich sein kann, auszumachen. So gibt es beispielsweise Webseiten, die durchaus die von Draxl erwähnten dogmatischen Sichtweisen vertreten, diese werden aber wiederum durch KommentatorInnen kritisiert und bieten somit zumindest eine andere Perspektive, die auch nicht von TherapeutInnen, ÄrztInnen oder Eltern kommt.

Sigrid Rosenberger, Sprecherin des Gesundheitsministeriums: "Natürlich sind solche Seiten aus gesundheitspolitischer Sicht nicht vertretbar. Die Chance auf ein tatsächliches Verbot ist aber als sehr gering einzuschätzen, es ist gerade im Netz einfach, Verbote zu unterlaufen". Rosenberger sieht daher Handlungsoptionen nicht in gesetzlichen Maßnahmen gegen Pro-Ana-Seiten, sondern in Kampagnen und anderen Maßnahmen, die eine andere Sozialisation für Mädchen ermöglichen.

Bilder überall

Angesichts des Umgangs mit Frauen und ihren Körpern in unserer Gesellschaft verwundert es nicht allzu sehr, dass von den Mädchen und Frauen kein überschäumendes Vertrauen in die Welt der "Normal- Essenden" kommt. ÄrztInnen oder TherapeutInnen, die für ihre PatientInnen ein "gesundes" Verhältnis zum Körper und zum Essen erreichen wollen, haben es angesichts zahlreicher Doppelbödigkeiten nicht leicht. Urteile darüber, was zu dünn ist, sind oftmals reine Willkürakte und unterliegen in diverseren Frauenzeitschriften oder Starmagazinen einzig einer Laune, die eine Frau genüsslich zu pathologisieren, während eine andere als wunderschön-zarte Elfin dargestellt wird. Passt beispielsweise der klapperdürren deutschen TV-Moderatorin Frauke Ludowig die Figur eines Stars nicht, gibt es von ihr sogleich betroffene Blicke und spontanpsychologische Analysen. Für KonsumentInnen populärer Sendungen, Magazine, Filme, Serien oder Musik ist das täglich Brot. Der heuchlerische Umgang im öffentlichen Diskurs lädt vielleicht gerade dazu ein, sich in Blogs mit Sätzen wie "du bist nie zu dünn!" von dieser Heuchelei distanzieren zu wollen.

Daniela Kern, Geschäftsführerin vom Institut für Frauen- und Männergesundheit "FEM", sieht verschiedene Kräfte am Werk, dass es zu einer ernsthaften Essstörung kommen kann. "Auslöser können Probleme in der Familie, im Freundeskreis oder in der Schule sein", so Kern. Auch die Medien und die dort vertretenen Körperbilder sieht die Gesundheitspsychologin als mitverantwortlich. Pro-Ana-Seiten allein sind ihrer Meinung nach nicht im Stande zur Magersucht zu verleiten, "so etwas muss schon auf fruchtbaren Boden fallen". Anstatt eines Verbotes derartiger Webseiten sollte beispielsweise in der LehrerInnen- oder Elternarbeit mehr getan werden. Ein Verbot würde laut Kern das Problem nicht lösen, ungesunde Tipps "können sich Mädchen ebenso gut auf dem Schulhof geben". (beaha, dieStandard.at, 2.8.2009)