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Gelb, weiß, rot, grün, mit Teddybären, Vogelnestern oder kleinen Elefanten - in vielen Designs leuchten die Verpackungen der Säuglingsnahrung aus den Regalen der Super- und Drogeriemärkte. Ob Prenahrung oder Folgemilch, besondere Wirkung und Inhaltsstoffe sowie Vorteile für das Baby stehen auf den Etiketten - und der Zu-Satz: "Stillen ist die beste Ernährungsweise."

Die "Konkurrenz" zwischen Muttermilch und industrieller Babynahrung ist beinahe so alt wie die Muttermilchersatzprodukte selbst es sind. "Es ist zweifellos wichtig, dass es Flaschennahrung in guter Qualität gibt, weil sich nicht alle Mütter aussuchen können, ob sie stillen möchten", unterstreicht Stillberaterin Annemarie Kern. "Was man aber nicht braucht, ist die Werbung dafür, um den Eindruck zu erwecken, industrielle Babynahrung sei etwas ganz Besonderes."

Die ersten industriell gefertigten Produkte kamen bereits Ende des 19. Jahrhunderts als so genannte "Kindermehle" auf den Markt, um die damals hohe Säuglingssterblichkeit einzudämmen. Ins Kreuzfeuer der Kritik geriet die Babyfertignahrung jedoch in den 1970er-Jahren, als die Marketing- und Werbemethoden großer Babynahrungskonzerne zu einer sinkenden Stillrate in Entwicklungsländern und in Folge, durch die Zubereitung der Nahrung mit verunreinigtem Trinkwasser, zu einer erhöhten Säuglingssterblichkeit führten. Herstellern wurde unter anderem vorgeworfen, die Mütter zu verunsichern, indem sie durch massive Werbung und durch Gratisproben suggerierten, dass Fertigprodukte besser für das Baby seien als die Muttermilch.

WHO-Kodex als Leitfaden

Als Reaktion auf diese Entwicklung verabschiedete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 1981 den "Internationalen Kodex für die Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten", der von 118 WHO-Mitgliedstaaten, darunter auch Österreich, unterschrieben wurde. Dieser Kodex stellt Regeln für den kommerziellen Umgang und die Bewerbung von industriell gefertigter Säuglingsnahrung (Pre- oder Anfangsnahrungen, Folgenahrungen 1 + 2/ab Geburt bzw. 6. Monat, Spezialnahrungen) sowie für Getränke (Babywässer, Tees), Beikost, Babyfläschchen und Sauger dar und soll Herstellern, aber auch Gesundheitseinrichtungen als Leitfaden und Empfehlung im Umgang mit Werbung und Marketing für die genannten Produkte dienen. Die Überwachung der Anwendung des Kodex obliegt den Regierungen der Unterzeichner-Staaten. Auch innerhalb der EU gibt es Richtlinien für die Werbung von Muttermilchersatzprodukten, die durch nationale Gesetze umgesetzt werden.

Obwohl es in Österreich solche gesetzlich vorgeschriebenen Regeln für die Vermarktung von Babynahrung gibt, wird jedoch auch hierzulande immer wieder Kritik gegenüber den Werbestrategien der Hersteller laut, werden Verstöße gegen den WHO-Kodex bekannt. Darüber hinaus wird allgemein kritisiert, dass Inhaltsstoffe wie Zucker und Stärke in Babynahrung zu Übergewicht bei Kindern beitragen, beziehungsweise Allergien und andere Folgeerkrankungen auslösen können. Verboten bzw. stark eingeschränkt ist im österreichischen Gesetz die Werbung für Pre- und Folgenahrung 1, also jene Produkte, die in direkte Konkurrenz zur Muttermilch treten könnten. In stillfreundlichen Krankenhäusern und in den Spitälern des Wiener Krankenanstaltenverbunds wird auch keine Werbung für Folgenahrung 2 gemacht, allerdings legen Hersteller in den öffentlichen Bereichen der Krankenhäuser häufig Anforderungskarten für Probepackungen von Stufe-2-Nahrungen und Beikost aus, was gesetzlich aber nicht unter Werbung fällt, da die Produkte von den KonsumentInnen selbst angefordert werden.

"Werbung erschwert Überwachung des Kodex"

Für Folge-Milchnahrung 2 und andere Beikostprodukte gibt es auch keine gesetzlichen Werbeverbote, was StillbefürworterInnen wie der Verband der Still- und Laktationsberaterinnen (VSLÖ) missbilligen: „Alleine in den ersten sechs Monaten erhalten Mütter, die die Anforderungskarten zurückschicken, zwölf 'Geschenkspackungen' von Firmen", ist auf der Website des Verbands zu lesen. "Die Informationsinhalte und die Produktproben dieser Geschenke widersprechen nicht nur dem Kodex, sondern sind vielfach auch von zweifelhafter Qualität - so erhalten Mütter zwischen dem 3. und 4. Lebensmonat bereits 2er-Nahrungen als Produktprobe." Nicht zu unterschätzen seien auch "jene Informationen die (...) über das Internet die Mütter erreichen": "Immer neue Werbestrategien machen eine Überwachung des Kodex schwierig, die nur halbherzige Umsetzung im österreichischen Gesetz ist eine sehr unbefriedigende Situation", zeigt sich der Verband unzufrieden.

In dieselbe Kerbe schlägt auch Professor Karl Zwiauer, Vorsitzender der Österreichischen Stillkommission und Leiter der Kinder- und Jugendambulanz am Landesklinikum St. Pölten: „Ich bin kein fanatischer Stillbefürworter und auch kein Verteufler der Industrie, aber es ist wissenschaftlich deutlich erwiesen, dass es für Säuglinge nichts Besseres als das ‚Weiße Gold' Muttermilch gibt. Den Begriff ‚Muttermilchersatzprodukte' an sich halte ich deshalb für nicht korrekt, weil sich die Muttermilch eben nicht ersetzen lässt."

"Werbung in Prime Time zeigt Wirkung"

Der Effekt von Werbung auf das Stillen sei keinesfalls zu vernachlässigen: „Die permanente Werbung für Babynahrung zur Prime Time hat sicher ihre Wirkung, denn was beworben wird, ist auch mehr im Bewusstsein. Die Konzerne streng für Verstöße gegen den WHO-Kodex zu kritisieren, ist wichtig, um den Wert der Muttermilch und des Stillens zu schützen - Kritik ist auf jeden Fall besser, als die Firmen zu verteufeln." In Österreich sei die Werbung jedenfalls wesentlich subtiler als in Entwicklungsländern, von wo regelmäßig massive Verstöße gegen den WHO-Kodex gemeldet werden: „Die aggressive Werbung wirkt dort natürlich mehr, weil die Mütter weniger Zugang und Möglichkeiten zu Aufklärung und Information haben."

Zum potenziellen Interessenskonflikt zwischen MedizinerInnen und den materiellen Zuwendungen durch die Herstellerfirmen meint Zwiauer: „Für die Fortbildung von Ärzten ist die Unterstützung durch die Industrie sicher wichtig, ohne sie gäbe es keine Kongresse, aber es muss eine strikte Trennung zwischen Information und Werbung geben. Die Wissenschaft muss sich genau überlegen, wie sie sich von den Konzernen unabhängig machen kann - das ist vergleichbar mit der Unterstützung durch die Pharmaindustrie. Die Mütter zu informieren, was das Beste ist für ihr Kind, ist sicher gut, aber auch das sollte nicht vonseiten der Industrie, sondern durch Ärzte, Pflegepersonal und Stillberaterinnen passieren."

"Ungerecht, Hersteller so herb zu kritisieren"

In den vergangenen Jahren gab es vonseiten mancher Stillbefürworter international immer wieder Boykottaufrufe gegenüber Firmen, die gegen den WHO-Kodex verstoßen haben. Ein betroffener Konzern ist etwa Nestlé, einer der führenden Hersteller von vorgefertigter Säuglingsnahrung. Im Gespräch mit dieStandard.at betont Nestlé Österreich, auf dem heimischen Markt viel zu tun, um den Wert der Muttermilch und des Stillens hochzuhalten: "Wir versuchen, in all unseren Info-Broschüren proaktiv das Stillen zu fördern und darüber zu informieren", sagt Eva Nikendei, Category Manager Babynahrung bei Nestlé Österreich. "Ich finde es ungerecht, wenn man die Hersteller so herb kritisiert und ihnen vorwirft, sie wollen die Mütter vom Stillen abhalten. Es gibt nun einmal auch Mütter, die nicht stillen können oder wollen und es ist doch nur ein Vorteil, wenn auch diese Babies eine Nahrung bekommen, mit der sie so gut wie möglich aufwachsen können."

"Boykott-Aufrufe wollen provozieren"

Zu den Boykott-Aufrufen gegen Nestlé meint die Marketingexpertin: "Es gibt immer wieder Menschen, die sich durch unsere Werbung, durch Fakten oder Marketingmethoden angesprochen, verletzt oder verärgert fühlen. Boykottaufrufe gegen unseren Konzern stehen natürlich jedem frei, sie beruhen in den meisten Fällen aber auf einer Fehlinformation oder wollen provozieren."

Die Problematik, dass Werbung und Information vonseiten der Hersteller nicht immer klar getrennt werden, ist der Marketing-Expertin bewusst: "In der Diskussion verschwinden oft die Grenzen zwischen Werbung und Information. Für mich ist es aber schon ein Unterschied, ob ich sage 'Nehmen Sie Produkt A, das ist super!' oder 'Produkt A enthält diese und jene Inhaltsstoffe und wirkt auf diese und jene Art.' Man kann behaupten, das sei versteckte Werbung, aber letztendlich ist es auch Information und die finde ich nicht negativ, im Gegenteil. Abgesehen davon suchen die Mütter die Informationen auch selbst, zum Beispiel im Internet, da haben wir gar keinen Einfluss darauf."

Die wichtigsten Informationsquellen für Mütter seien zuerst meist Hebamme und Kinderkrankenpersonal, aber "das nur für den relativ kurzen Zeitpunkt der Entbindung". Dann hätten sie hauptsächlich das Material der Industrie: "Es kommt natürlich darauf an, wie diese Information aufbereitet ist, aber da bemühen wir uns sehr, sie möglichst klar, neutral und wissenschaftlich darzustellen und in erster Linie über die 'Empfehlergemeinde' der Kinderärzte, -schwestern und Hebammen zu verbreiten."

"Mütter sind eigenverantwortlich"

Die Entscheidung, was sie mit der Information mache, treffe jede Mutter aber letztendlich selbst, so Nikendei. Diese Eigenverantwortung und Selbstbestimmung gelte ebenso für die Anforderung von Probepackungen oder die Anmeldung beim "Babyservice" der Hersteller, eine Informations-Plattform, die wegen dem direkten Kontakt der Firmen zur Mutter häufig kritisiert wird: "Es stimmt, dass wir die Mütter auf diesem Weg direkt erreichen, aber es steht jeder Mutter frei, ob sie sich dafür anmelden möchte", sagt Nikendei. "Wir haben Kontakt über Mailing, aber wir teilen das nicht einfach zu, sondern die Mütter treten an uns heran, das ist das Entscheidende. Gerade hier informieren wir aber besonders am Anfang sehr stark übers Stillen. Alle Aussagen, die wir in den mit dem Babyservice zusammen-hängenden Materialien treffen, berücksichtigen außerdem die aktuelle Gesetzeslage und den WHO-Kodex."

"Geld fließt in die Forschung"

Zur Frage, wie hoch der jährliche Werbeetat für Babynahrungsprodukte in Österreich bzw. In Entwicklungsländern sei, wollte sich Nestlé nicht äußern, allerdings, so Nikendei: "Wir sehen es als unsere Verpflichtung, den Großteil unseres Geldes in die Forschung zu stecken, darum wird unser Marketingetat nie so groß sein wie das unserer Mitbewerber."

Firmenpolitik in Entwicklungsländern

Auch in Entwicklungsländern betreibe Nestlé keine direkte Kommunikation bezüglich Babynahrung, heißt es auf dieStandard.at-Anfrage aus der Nestlé-Konzernzentrale in der Schweiz. Weder gebe es Sponsoring für MitarbeiterInnen im Gesundheitswesen noch Babyabbildungen auf den Verpackungen, die Etiketten seien in der jeweiligen Landessprache beschriftet, und es sei dort zu lesen, dass Stillen die beste Nahrung für das Baby ist.

Nestlé sei zudem „das einzige Nahrungsmittelunternehmen in den Entwicklungsländern, das keine Gratisproben von Babynahrung an Krankenhäuser verteilt und keine Werbung für Babynahrung betreibt". Für öffentliche Einrichtungen wie Waisenhäuser oder bei bestätigtem sozialen Bedarf würden "auf Anfrage beschränkte Mengen zur Verfügung gestellt bzw. ein oder zwei Kartons an Ärzte zur Evaluierung ausgegeben. Diese Gaben sind nicht nur streng limitiert, sondern auch strengen Kontrollen unterzogen. Nestlé-interne Richtlinien - das WHO Code Management System - überprüfen all diese Prozesse und auch interne Audits checken jährlich jeweils neun Länder auf Einhaltung der Prinzipien und ein Zuwiderhandeln wird sogar in den Vorstand reported. Dieses System kann als 'best in class' bezeichnet werden", heißt es aus der Nestlé-Zentrale.

"Unglaubliches Geschäft"

Für Stillberaterin Annemarie Kern sind Muttermilchersatz-produkte trotz allem auch ein "unglaubliches Geschäft": "In Österreich gibt es 80.000 Geburten pro Jahr, weniger als die Hälfte aller Kinder bis zum sechsten Monat werden derzeit ausschließlich gestillt. Ein Baby von Geburt an mit der Flasche zu ernähren, kostet etwa 75 Euro pro Monat. Würde man die Stillrate nur um einen Monat pro Kind verlängern, dann würde das für die Hersteller einen monatlichen Verlust von rund sechs Millionen Euro bedeuten. Für die Einzelne ist es natürlich eine persönliche Entscheidung, ob sie stillt oder nicht, aber gesamtgesellschaftlich gesehen bedeutet weniger zu stillen ein gutes Geschäft für die Industrie." (Isabella Lechner/dieStandard.at, 24.8.2009)