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Kreisky wollte den Abtreibungsparagraphen obsolet machen, war er deshalb ein Abtreibungsgegner?

Foto: APA/Jaeger Robert

In Österreich wird - wieder einmal - über die Fristenlösung diskutiert. Dieses Mal steht die Dialogbereitschaft zweier Herren im Zentrum des Geschehens, die sich bereitgefunden haben, miteinander Fragen der reproduktiven Gesundheit von Frauen zu diskutieren.

Glaubt man dem Schönborn-Sprecher, so wird sich das Gespräch zwischen dem Hüter von katholischer Moral und Ordnung und dem zeitgenössischen Sozialdemokraten aber nicht um die Fristenlösung drehen, sondern um die vielzitierten "flankierenden Maßnahmen", die ein anderer honoriger Herr, der ehemalige Bundeskanzler Bruno Kreisky, den FristenlösungsgegnerInnen bereits anno 1974 "zugesichert" habe.

Letzterer, so scheint es, ist in der jüngsten Diskussion überhaupt zur zentralen Referenz der FristenlösungskritikerInnen avanciert. Warum?, fragt man sich, hat doch Kreisky 1973 dank der absoluten Mehrheit im Parlament und gegen den Wunsch von ÖVP und Kirche die Straffreiheit der Abtreibung in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten durchgesetzt. Erst kürzlich verwies etwa Familienbischof Küng in einem Presse-Interview auf Kreisky, um "Reformen" bei der Fristenlösung einzufordern und auch Kardinal Schönborn erinnerte in seinem Häupl-Brief an das Bekenntnis der sozialdemokratischen Helden-Figur zu flankierenden Maßnahmen.

Historischer Irrtum

Die aktuelle Strategie der AbtreibungsgegnerInnen scheint es zu sein, Kreisky als einen Politiker zu stilisieren, der in Wirklichkeit - und konträr zu seiner politischen Haltung - ein Gegner der Fristenlösung war. Die damalige Diskussion auf die Position eines Entscheidungsträgers zurückzustufen würde es zudem ermöglichen, das Projekt "Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs" als historischen Irrtum zu betrachten.

Vollkommen ausgelassen wird bei einer solchen Betrachtung allerdings die Bedeutung der Frauenbewegung, von Johanna Dohnal und den vielen anderen engagierten Aktivistinnen der Szene, die einen selbstbestimmten Umgang für Frauen mit ihrem Körper forderten und damit neue Standards im gesellschaftspolitischen Konsens setzten. Darüber hinaus ist es eine Tatsache, dass die Sozialdemokraten bereits in den 1920ern für die Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruches plädierten, es also nicht ein Hirngespinst von Kreisky war, den Schwangerschaftsabbruch zu legalisieren.

Was sind die flankierenden Maßnahmen?

Dennoch versprechen sich Kirche und ÖVP offenbar viel davon, Kreisky als einen von ihnen ins Licht zu setzen. Nicht zuletzt verleiht sein Name ja auch Autorität bei der Einforderung jener flankierenden Maßnahmen, die in einem Entschließungsantrag zeitgleich mit dem Fristenlösungsgesetz 1973 beschlossen wurden. Mit den Stimmen von ÖVP und SPÖ wurde damals die verstärkte Aufklärung über Empfängnisverhütung, der Ausbau von Familienberatungsstellen, die Erleichterung von Adoptionsmöglichkeiten, die Erhöhung der (inzwischen abgeschafften) Geburtenhilfe, die Erhöhung des Karenzgeldes, der Ausbau der Kindergärten und die Schaffung von modernen Sozialhilfegesetzen von der Regierung als flankierende Maßnahmen zur Fristenlösung gefordert. Nicht darin enthalten war die Trennung von beratendem und ausführendem Arzt sowie eine dreitägige Bedenkfrist, wie von katholischer Kirche und auch ÖVP des öfteren irreführend dargelegt.

Streitpunkt Schwangerenberatung

Seit dem Gesetzesbeschluss wird die Umsetzung der flankierenden Maßnahmen von FristenlösungskritikerInnen immer wieder ins Feld geführt, tatsächlich wurden aber die meisten Punkte der Liste bereits umgesetzt. Zankapfel ist bis in die Gegenwart die Beratung von Schwangeren, doch auch darum hat man sich grundsätzlich gekümmert: Heute gibt es österreichweit 390 Beratungseinrichtungen (zum Teil auch von katholischen Trägervereinen betrieben), die vom Familienministerium unterstützt werden und Schwangere betreuen.

Allein: Die Erfahrung von Abtreibungskliniken zeigt, dass viele ungewollt Schwangere das Angebot einer zusätzlichen Beratung ablehnen. Obwohl sie dort kostenlose Beratung bekommen würden, treffen sie ihre Entscheidung unabhängig oder eben gemeinsam mit ihrem Partner und/oder FreundInnen. ÖVP und katholische Kirche wollen Frauen aber zu einer extra-Beratung zwingen - und das im Jahr 2009.

Kreisky zitiert

"Man muss alles tun, um im Bereich der Politik diesen ganzen Paragraphen so obsolet zu machen, wie dies mit den Mitteln der Politik, der Psychologie und auch der Moral nur geht, um die Frau zu veranlassen, dass sie dann, wenn sie empfangen hat, das Kind behält," hat Kreisky an jenem Tag im Parlament gesagt, als die Fristenlösung von seiner Partei beschlossen wurde. Damit betonte er noch einmal die Bedeutung sozialpolitischer Regelungen, die es Frauen ermöglichen sollten, ihr Kind zu behalten. Ob er sich damit zum Kritiker der Fristenlösung qualifizierte, sei dahingestellt.

Für die heutige Diskussion spielt die persönliche Meinung von Kreisky ohnedies nicht mehr die ausschlaggebende Rolle. Die kirchliche Exegese von Kreisky-Zitaten mutet dabei nur als weiteres skurriles Detail in einer politischen Diskussion an, in der mittlerweile drei honorige Männer (wobei einer schon längere Zeit tot ist) Krisensitzung über das körperliche Selbstbestimmungsrecht von Frauen halten. Auf die Ergebnisse dieser Diskussion können wir jetzt schon gespannt sein. (freu, dieStandard.at, 31.8.2009)