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Kate Millett

Foto: Archiv

Kate Millett auf dem Cover des Times Magazine im August 1970.

Cover: Times Magazine

Kate Millett: Sexual Politics
University of Illinois Press, 2000
ISBN-13: 978-0252068898
424 Seiten

Foto: University of Illinois Press

"Wenn ein System einmal an der Macht ist, hat es nicht mehr nötig, laut über sich zu sprechen". So umschrieb Kate Millett in ihrem feministischen Klassiker "Sexual Politics" aus dem Jahr 1970 das Patriarchat: Gemeint war damit nicht nur die Selbstverständlichkeit, mit der Männer ihre Vorherrschaft gegenüber Frauen ausübten, sondern auch die Strategie, diesen Umstand als "natürlich" darzustellen.

Dieses lang vermisste "Sprechen" übernahm schließlich Millet in ihrer Untersuchung. In "Sexual Politics", das wenig später unter dem Titel "Sexus und Herrschaft" auf deutsch erschien, benannte sie einige dieser Machtmechanismen sehr genau und hatte damit durchschlagenden Erfolg - nicht nur in der Frauenbewegung, sondern auch auf den Bestsellerlisten. Als eloquente und extravagante politische Aktivistin rief sie das Times Magazin 1970  als "Mao Tse-Tung der Frauenbewegung" aus und widmete ihr eine Titelstory (siehe Bild links). Am 14. September feiert Kate Millett ihren 75. Geburtstag.

Werdegang

1935 in St. Paul im Bundesstaat Minnesota geboren, wuchs Millett als Tochter in einer gläubigen katholischen Familie auf. Ihr Vater, der als Ingenieur immer wieder weit entfernt arbeitete, verließ die Familie, als Millet 14 Jahre alt war. Für die Tochter wurde die Literatur in dieser Zeit zum zentralen Ventil. Nach einem ausgezeichneten Studienabschluss in englischer Literatur in Oxford zog sie 1959 nach New York, kurz darauf weiter nach Tokio, um dort Bildhauerei zu studieren und sich als Möbel-Designerin einen Namen zu machen.

Als Frau des japanischen Bildhauers Fumio Yoshimura kehrte Millett 1965 in die USA zurück und schloss sich dort der Frauenbewegung an. Jobs an Universitäten und Vorträge folgten. Ihrem Ehemann widmete sie zwar ihr Hauptwerk "Sexual Politics", doch führte sie zu diesem Zeitpunkt bereits offene Beziehungen zu Frauen. Neben der Frauenbewegung engagierte Millett sich wie viele andere Feministinnen auch in der Bürgerrechtsbewegung und erhob für politische Häftlinge ihre Stimme.

Manifest der neuen Frauenbewegung

Manchen männlichen Kollegen war die Lektüre von "Sexus und Herrschaft", zugleich auch Dissertation der Literaturwissenschafterin, in etwa so angenehm, wie "mit den Hoden in einem Nussknacker zu sitzen". Nicht weniger enthusiastische Fans erkannten darin das Manifest einer Bewegung, die es seit Jahren gab, der es aber noch an Theorien und aktualisierten Argumenten fehlte, auf die frau verweisen konnte. "Sexus und Herrschaft" lieferte all das: eine historische Aufarbeitung der Wurzeln des Patriarchats, eine Theorie der Sexualpolitik, die bis in die Gegenwart die Vormachtstellung von Männern erklärte und eine empirische Untersuchung der Effekte dieser Herrschaft in den Ergüssen der männlichen Literatur: die Werke von Henry Miller, D.H. Lawrence und Norman Mailer standen auf dem Prüfstand einer feministischen Literaturwissenschafterin, die deren Hetero-Sex-Darstellungen als Effekt einer patriarchalen Kultur demaskierte und damit auch die Ansätze in der Literaturwissenschaft erweiterte: Kontext und Kultur mussten in die Auseinandersetzung mit literarischen Werken miteinfließen, forderte Millett, die sich damit gegen die ehrerbieterische Haltung ihrer Disziplin auflehnte.

Zwangsouting

Innerhalb kürzester Zeit wurde Millett zum Aushängeschild der Frauenbewegung. Universitäten und Medien rissen sich um ihre Mitarbeit, das Buch "Sexual Politics" musste binnen Monaten mehrere Male nachgedruckt werden. Die Autorin selber hatte mit dem Erfolg überhaupt nicht gerechnet. Ihre Dissertation war an ein Fachpublikum gerichtet, nun hatten es die Massenmedien für sich entdeckt. Ihre Stilisierung zur Anführerin einer Bewegung war ihr selbst unangenehm, wie sie in ihrer Autobiographie "Flying" (1974) nur 38-jährig festhielt: "Es passt nicht zum Geist der Frauenbewegung." Für sie wurde damit die "repressive Hierarchie des Patriarchats" kopiert.

Probleme verschaffte ihr auch die bisherige Geheimhaltung ihrer privaten Verhältnisse. Wenige Monate nach der Veröffentlichung von "Sexual Politics" fragte eine Zuhörerin Millett am Podium, warum sie nicht offen zugebe, dass sie eine Lesbe sei. Das Zwangsouting gelangte in die Medien und ließ Zeitungen offen darüber spekulieren, ob die neue Frauenbewegung vielleicht ausschließlich aus Lesben bestehe. Später bekannte Millett öffentlich "bisexuell" zu sein.

Rückzug auf Künstlerinnen-Kolonie

Es folgte der allmähliche Rückzug Milletts aus dem Fokus der Medien, wenngleich sie ihre schriftstellerische Tätigkeit zu frauenpolitischen Themen weiter fortführte. 1971 gründete sie gemeinsam mit Freundinnen eine Künstlerinnen-Kolonie auf einer Farm in Poughkeepsie (New York). Bereits 1974 erschien dann ihre Autobiographie "Flying", in der sie vor allem über ihre starke Verbindung zu Ehemann Yoshimura schrieb, aber auch ihre Verhältnisse mit Frauen nicht ausklammerte. In "Sita" (1977) verarbeitete Millett eine dramatische Liebesbeziehung mit einer wesentlich jüngeren Frau, "Going to Iran" (1979) beschrieb ihren gescheiterten Versuch, die iranischen Frauen bei ihrem Befreiungskampf in Teheran zu unterstützen. In dem 1980 erschienen Buch "Im Basement. Meditationen über ein Menschenopfer" nahm Millett den grausamen Mord an einer Teenagerin zum Anlass, um eine prosaische Abhandlung zum Thema Gewalt gegen Frauen zu verfassen.

Nach den 1970ern, in denen sich Millett als Autorin, Künstlerin und Aktivistin verausgabt hatte, folgte in den 80ern der psychische Absturz. Mit der Diagnose manisch-depressiv wurde sie von ihrer Familie in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen und dort mit Stromstößen "therapiert". In ihrem Buch "The Loonybin Trip" (Der Klapsmühlen Trip) von 1990 verarbeitete sie ihre Erfahrungen mit der Behandlung und fand Anschluss in der Antipsychiatrie-Bewegung.

Vereinsamung und Armut im Alter

Bis heute lebt Millet in New York und auf ihrer Farm, veranstaltet Schreib- und Literaturkurse und handelt mit selbstgezüchteten Weihnachtsbäumen. In einem Artikel im "Guardian" aus dem Jahr 1999 beklagte sich Millett über ihre Vereinsamung, die Vergessenheit ihres Werkes und die Armut in ihrem Leben. Von der selbstmitleidigen Note des Artikels distanzierte sie sich später: Ziel des Essays sei es gewesen, das Ausbeutersystem der amerikanischen Universitäten anzukreiden, der Guardian hätte den Text ohne Absprache mit ihr auf jene Teile gekürzt, verteidigte sich Millett.

Trotzdem machte sich der Artikel bezahlt: Ihm ist es indirekt zu verdanken, dass die vergriffenen Bücher von Millett ab 2000 wieder neu aufgelegt wurden. Auch auf Symposien und als Autorin ist Millett wieder aktiv. 2002 erschien "Mother Millett", der zweite Teil ihrer Memoiren und eine Verarbeitung des Todes des "einflussreichsten Menschen" in ihrem Leben. Ihrem Stil, persönliche Erlebnisse mit gesellschaftlichen Verhältnissen zu verbinden, ist sich Millett in all ihren Büchern treu geblieben. Um "das Patriarchat aus den Angeln zu nehmen", hat sie nie aufgehört, seine Machtmechanismen auseinanderzunehmen. Sie gehört damit zu jenen Autorinnen, der wir verdanken, heute in einer anderen Welt zu leben als noch vor 40 Jahren. (Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 13.9.2009)