Klaar: "Damit sich also die Männer lieber um die Kinder kümmern, musste man ihnen trotz Scheidung die Obsorge lassen."

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Im September wurde beschlossen, dass Kinder bei Scheidungen einen Rechtsbeistand bekommen sollen und im Jänner 2010 werden einige Neuerungen im Familienrecht in Kraft treten. Die Familienrechtsnovelle soll den Handlungsspielraum für Betroffene im Falle einer Scheidung vergrößern, die Politik will sich so auf veränderte Lebensrealitäten einstellen.

Fakt ist, dass nach wie vor Frauen zum größten Teil die Erziehungsarbeit leisten. Manche Männer fühlen sich allerdings von der Justiz in Familienrechtsfragen diskriminiert, oft gar aufgrund ihres Geschlechtes. Bewältigt das Familienrecht die aktuellen Lebensrealitäten oder spielt es dem immer öfter auftretenden Bild des "Scheidungsopfers Mann" in die Hände? Darüber sprach dieStandard.at mit Familienrechtsexpertin Helene Klaar.

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dieStandard.at: Im September wurde beschlossen, dass im Falle einer Scheidung auch Kinder Anspruch auf einen Rechtsbeistand haben. Ist diese Maßnahme nötig?

Helene Klaar: Natürlich nicht. Es ist aber auch nicht vorgesehen, dass es so einen Beistand in allen Fällen gibt, sondern nur bei besonders heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Eltern bestellt das Gericht einen Kinderbeistand.

dieStandard.at: Warum halten Sie nichts davon, in so einem Fall einen Kinderbeistand zu bestellen?

Klaar: Wer soll dieser Kinderbeistand sein? Das wird ein weiterer Kinderpsychologe oder Sozialarbeiter sein, der in seinen Amtsstunden ein paar Mal das Kind empfängt. Es ist reichlich anmaßend zu glauben, dass der besser erkennt, was das Kind braucht, als derjenige Elternteil, der das Kind ständig betreut, das wird in den überwiegenden Fällen die Mutter sein. Das ist eine weitere Maßnahme zur Unterdrückung und Demütigung der Mütter.

Man muss bedenken, was es heißt, dass der Beistand bei einem heftigen Verfahren eingesetzt wird: Wenn ein Pflegschaftsverfahren beginnt, bei dem sich die Eltern nicht einigen können, wird in der Regel der Akt an das Jugendamt geschickt. Dort redet der zuständige Sozialarbeiter mit Eltern und Kindern, wenn das zu keinem Ergebnis führt, wird der Jugendamtspsychologe hinzugezogen. Wenn die Eltern die Empfehlung des Jugendamtes nicht akzeptieren, wird ein Sachverständiger bestellt und wenn das Kind älter als zehn ist, muss es vom Richter gehört werden. Da haben wir jetzt schon mal vier ExpertInnen, bei denen das Kind einen Spießrutenlauf absolviert. Dann soll jetzt noch der Kinderbeistand dazukommen. Zudem gibt es unterschiedliche Verschwiegenheitspflichten. Alles, was das Kind dem Sachverständigen erzählt, kann im Gutachten Niederschlag finden. Der Kinderbeistand hat hingegen eine Verschwiegenheitspflicht. Das ist für Kinder schwer zu unterscheiden; wer ist der Sachverständige, der alles ins Gutachten schreibt, wer der Beistand. Da wäre ich nicht gerne Kind.

dieStandard.at: Gewinnt die in Österreich zwar nicht sehr große, aber zumindest existente Väterrechtsbewegung Einfluss auf solche familienrechtlichen Maßnahmen?

Klaar: Ich bin mir nicht sicher, ob die Väterbewegung sehr glücklich über den Kinderbeistand ist. Die dort organisierten Väter können sich wahrscheinlich auch vom Kinderbestand nichts für sie förderliches erwarten.

dieStandard.at: Sie nannten den Kinderbeistand eine weitere Maßnahme zur Entmündigung der Mütter. Inwiefern wurden Mütter bisher bereits entmündigt?

Klaar: Von 1978 bis 2001 hatten wir folgende Rechtslage: Wenn die Eltern getrennt lebten, hatte der- oder diejenige die volle Obsorge, bei dem oder der das Kind im Haushalt betreut wurde. Das war natürlich eine kleine ideelle Kompensation für alleinerziehende Frauen, dass bei ihnen zumindest die gesamte Machtbefugnis über die Kinder lag. Das wurde schon 2001 durch die Obsorge beider nach der Scheidung unterminiert, denn die führt ja nicht dazu, dass sich beide um das Kind kümmern, sondern nach wie vor erziehen die Mütter allein. Die Väter hätten sich darüber, dass sie nach Trennungen keine Obsorge mehr hatten so gekränkt, dass sie in ihrem Schmerz die Kinder nicht mehr besucht haben. Damit sich also die Männer lieber um die Kinder kümmern, musste man ihnen trotz Scheidung die Obsorge lassen. Das heißt, die Frauen haben noch immer die ganze Arbeit, aber nur mehr die Hälfte der Rechte. In Wirklichkeit ist das ungeheuerlich, denn es war nicht geschlechtsspezifisch: Wenn ein Mann seine Kinder in seinem Haushalt betreut hat, dann hatte er die alleinige Obsorge.

dieStandard.at: Dennoch fühlen sich Väterrechtler in Familienrechtsfragen als Opfer der Justiz und sie sehen sich aufgrund ihres Geschlechts in Familienrechtsfragen benachteiligt.

Klaar: Das sind sie nicht, das ist Blödsinn. Wenn ein obsorgewilliger Vater daherkommt, ist die Frau schon abgemeldet. Die Frauen werden diskriminiert, denn das oberste Ziel der Erziehung muss jetzt offenbar sein, dem Vater möglichst viel Besuchsrecht einzuräumen.

Ich habe ein Lieblingsbeispiel von einer Klientin, die mit einem Mann ein Kind hat, der ihr gegenüber gewalttätig war und dafür auch strafgerichtlich verurteilt wurde. Die Frau lehnte Besuchskontakte ab. Der Vater kann keinen Unterhalt zahlen, die Mutter muss somit voll arbeiten, das Kind ist dennoch eine sehr gute Schülerin und überall beliebt. Dann wurde ein Gutachten eingeholt, weil der Vater immer wieder Anträge auf Besuchsrecht eingebracht hat. Der Gutachtensauftrag bestand darin festzustellen, ob die Mutter durch die Verweigerung des Besuchsrechtes das Wohl des Kindes schädigt. Die Kosten für das Gutachten konnte der Vater nicht bezahlen, das hat die Mutter übernehmen müssen. Das Gutachten hat schließlich ergeben, dass meine Klientin das Wohl des Kindes schädigt. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Sie hat eine so tolle Erziehungsarbeit geleistet, war voll berufstätig weil der Vater nichts zahlt und muss sich mit dem von ihrem Geld bezahlten Gutachten bescheinigen lassen, dass sie das Wohl des Kindes schädigt.

dieStandard.at: Wie kann ein Vater seine Obsorgewilligkeit darlegen? Indem er beispielsweise die Arbeitszeit verkürzt?

Klaar: In dem eben gebrachten Beispiel war die Mutter auch voll berufstätig. Arbeitszeit, Arbeitsweg, Arbeitsort - das muss man sich halt organisieren. Das schaffen zigtausende Mütter in Österreich.

Um für die Obsorge in Frage zu kommen, muss der Vater eine gute Beziehung zum Kind haben und in die Alltagsbetreuung eingebunden sein. Meist schießt die Vaterliebe erst nach der Trennung ein. Solange die Beziehung aufrecht ist, gehören die Kinder der Mutter und der Vater geht mit ihnen am Sonntag Enten füttern. "For Show" wissen die Väter wie man Windeln wechselt und wie man stillt und sie können der Frau auch erklären, was sie falsch macht. Aber grundsätzlich ist die Kinderbetreuung noch immer fest in den Händen der Mütter. Wird die Ehe geschieden, weiß der Vater nicht, zu welchem Zahnarzt das Kind geht und welche Kleidung es am liebsten trägt. Wenn einer das alles weiß und kann, und es sich beruflich einteilt und das auch möchte, hat er durchaus gute Chancen.

dieStandard.at: Welche rechtlichen Regelungen können die Weichen stellen, dass sich auch im Falle einer Trennung beide Elternteile gleichermaßen für das Kinder verantwortlich fühlen?

Klaar: Keine, das Besuchsrecht ist ein Recht und keine Pflicht. Da gibt es jetzt nette neue Entscheidungen. Beispielsweise wollte ein Kind seinen Vater kennenlernen. Der Vater hat sich geweigert und hat bis zum obersten Gerichtshof Recht behalten: Er muss das Kind nicht kennenlernen, wenn er nicht will. Man kann einen Mann dazu nicht zwingen, man kann es ihm mit Rechten schmackhaft machen. Auch geht man dazu über den Unterhalt zu kürzen, wenn ein Vater über das übliche Besuchsrecht hinaus das Kind betreut. Man setzt Incentives, damit sich Desinteressierte um ihre Kinder kümmern.

dieStandard.at: Unterhaltszahlungen werden oft als existenzgefährdend eingestuft. Wie ist der Unterhalt geregelt?

Klaar: Natürlich haben all diese Dinge ein Körnchen Wahrheit. Diese Problematik hängt mit der Mehrkindfamilie zusammen. Mehrere Kinder zu haben ist eigentlich eine Sache für ganz Reiche und ganz Arme. Für den sogenannten Mittelstand geht die Mehrkindfamilie sehr ins Geld. Bei ganz armen Familien, wo die Kinder mit 14 oder 15 Hilfsarbeiten nachgehen, sind die Unterhaltspflichten nicht so drückend. Für die Mittelstandsfamilie, in der vielleicht drei Kinder studieren und bis 26, 27 erhalten werden müssen, ist das ein Wahnsinn. Das ist bei aufrechter Ehe so und warum sollte das bei einer Scheidung anders sein. Hingegen sieht bei aufrechter Ehe der Vater die Kosten ein und nach der Scheidung sagt er, dass ihm nichts bleibt.

Man zahlt für ein Kind über fünfzehn 22 Prozent des durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommens - einschließlich 13. und 14. Gehalt - Unterhalt. Das heißt, auf das monatliche Gehalt bezogen ist das dann schon mehr als 22 Prozent. Für jedes weitere Kind kürzt sich das zwar um zwei Prozent, aber bei drei Kindern sind das 18 Prozent pro Kind, insgesamt 54 Prozent. Für jene, die besonders viel verdienen, gibt es eine Obergrenze. Aber der besser verdienende Durchschnittsbürger kommt voll zum Handkuss, derjenige, der das Dreifache verdient, zahlt womöglich genau das gleiche. Das ist natürlich ein Problem. In den letzten Jahren ist viel geschehen, um den sehr gut verdienenden Vätern das Leben zu erleichtern. Beispielsweise wird zur steuerlichen Entlastung die Familienbeihilfe auf den Unterhalt angerechnet, das heißt, wenn der Vater sehr gut verdient und in der höchsten steuerlichen Progressionsklasse ist, wird ihm faktisch die ganze Familienbeihilfe vom Unterhalt abgezogen. Jemand der wenig verdient und nicht viel Steuern zahlt wird weniger begünstigt.

dieStandard.at: Was würde die Situation nach Trennungen verbessern?

Klaar: Es sollte für beide eine dreißig Stunden-Woche geben. Dann könnten sich beide Elternteile um die Kinder und Haushalt kümmern, es könnten beide ihren Berufen nachgehen und eine Trennung wäre keine solche Katastrophe. Das größte Problem für die Familien ist die kapitalistische Produktionsweise. Die Leute schieben sich gegenseitig den schwarzen Peter zu, in Wirklichkeit kann aber niemand 40 Stunden oder mehr arbeiten und sich gleichzeitig um die Kinder kümmern, ohne Verlust jeglicher Lebensqualität. Unzufriedenheit und völliges Desinteresse an Sex sind die Folgen, da kann die Partnerschaft schnell den Bach runter gehen. (Die Fragen stellte Beate Hausbichler, dieStandard.at, 11.10.2009)