Auch die Aktion Leben wird von radikalen AbtreibungsgegnerInnen belästigt. Kronthaler dazu: "Wir kommentieren das in der Öffentlichkeit nur aus dem Grund nicht, weil ihr ihnen kein Forum bieten wollen."

Foto: Rupprecht

Die Aktion Leben ist eine der größten und ältesten Beratungseinrichtungen für Schwangere in Österreich. Ihre Geschichte im Umgang mit Abtreibungsfragen gestaltete sich allerdings wechselvoll: 1974 initiierte sie ein Volksbegehren gegen die geplante Fristenlösung, seit gut 20 Jahren akzeptiert die Organisation die rechtliche Lage, wie Martina Kronthaler, Generalsekretärin von Aktion Leben Österreich gegenüber dieStandard.at betont. KritikerInnen werfen ihr aber weiterhin vor, ideologisch zu nah an der katholischen Kirche zu stehen, um ergebnisoffene Beratung anbieten zu können. Im Gespräch mit dieStandard.at nimmt Martina Kronthaler zu den Vorwürfen Stellung und erläutert das Verhältnis von Aktion Leben zur katholischen Kirche. Schwangeren in Not Hilfe anzubieten, müsse durch öffentliche Gelder abgedeckt werden, lautet eine ihrer Forderungen.

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dieStandard.at: Sie sehen sich in der Öffentlichkeit - zu unrecht - als kirchennahe Einrichtung beschrieben. Was stört Sie daran eigentlich?

Martina Kronthaler: Weil es einfach nicht richtig ist. Die Aktion Leben ist ein überkonfessioneller und überparteilicher Verein, das ist uns ganz wichtig vor allem in Bezug auf die Beratung, die wir anbieten. Sie ist offen für alle Frauen, die zu uns kommen möchten. Es ist für manche Frau vielleicht schwieriger in eine katholische Beratungsstelle zu gehen, wenn sie in einem Konflikt steht.

dieStandard.at:  Sie benutzen aber Räumlichkeiten der Erzdiözesen, etwa in Graz, Linz und Klagenfurt ... Und erhalten auch Spendengelder von der katholischen Kirche.

Martina Kronthaler: Wir haben eine sehr eigene Struktur. Die Aktion Leben Österreich bekommt von der katholischen Kirche keinen Cent. Die anderen Stellen in den Bundesländern sind eigenständige Vereine. Vier von ihnen dürfen die Infrastruktur und zum Teil die Räumlichkeiten der Diözesen benützen. Die Aktion Leben Oberösterreich etwa sitzt in Räumlichkeiten des katholischen Pastoralamtes und sie nutzt die Infrastruktur. Diese Unterstützung ist historisch so gewachsen, aber das ist in jedem Bundesland verschieden. 

dieStandard.at: Woraus setzt sich denn Ihre Finanzierung zusammen?

Martina Kronthaler: Wir finanzieren uns hauptsächlich über private Spenden. Ein geringer Prozentsatz macht die öffentliche Förderung für unsere Beratungsstelle (Familienministerium) aus. Auch Verkäufe tragen zu unserem Budget bei.

Von der katholischen Kirche bekommt der Verein Aktion Leben Österreich nichts. Im Rahmen unserer sozialen Projekte für Schwangere verwenden wir jedoch auch katholische Mittel. Es gibt den diözesanen Hilfsfond, der Schwangere in Not finanziell unterstützt. Die Gelder für diesen Fonds stammen in der Erzdiözese Wien von der Muttertagssammlung, die in der Kirche gemacht wird.

Wir als Aktion Leben können dort ansuchen und erhalten, wenn eine Betroffene in die festgelegten Kriterien passt, finanzielle Mittel für die Frau. Das sind in etwa die zwei Prozent, von denen wir sprechen. Mit den Mitteln des Fonds ist es auch möglich, Mädchen und Frauen, die noch keinen Anspruch auf Wochengeld haben, eine Anstellung zu finanzieren, womit sie dann z. B. anspruchsberechtigt für Wochengeld werden.

dieStandard.at: Trotz der Eigenständigkeit der Vereine in den Bundesländern geben Sie als Aktion Leben Österreich aber die Richtlinien für die österreichweiten Beratungsstellen vor, oder?

Martina Kronthaler: Ja, alle Vereine sind unserem Leitbild verpflichtet, was natürlich vor allem die Beratung betrifft. Darin steht klipp und klar, dass die Beratung ergebnisoffen geführt werden muss. Der Fachbegriff ist non-direktiv. Jede Beraterin, die bei uns tätig ist, hat eine Ausbildung als Sozialarbeiterin oder Psychologin und damit auch eine Berufsehre zu vertreten. Für uns ist es unverständlich, wie jemand glauben kann, dass eine Beratung nicht non-direktiv sein kann, weil das ja das Wesen einer Beratung ist.

dieStandard.at: In wesentlichen Fragen, wie etwa der Forderung nach einer Bundesstatistik zu Abtreibungen, oder auch bei der Rezeptfreiheit der Pille danach sind Sie mit der katholischen Kirche einer Meinung. Man könnte also zumindest sagen, dass sie mit ihrer Einrichtung ein christliches Weltbild vertreten?

Martina Kronthaler: Ja, das kann man sagen. Der Gedanke des Lebensschutzes ist aber ein sehr universaler. Aus dem Buddhismus kommt etwa die Haltung der Achtsamkeit vor dem Leben und da sehen wir sehr viele Gemeinsamkeiten.

Wir haben auch viel Zuspruch von nicht-religiösen Menschen, die wollen, dass mit dem Leben achtsam und verantwortungsvoll umgegangen werden soll. Aber es gibt auch viele Fragen, wo wir mit der katholischen Kirche überhaupt nicht einer Meinung sind, das ist z.B. der ganze Verhütungsbereich. Und das ist ganz wichtig  in der Prävention.

dieStandard.at: Sie betonen, dass Ihre Schwangerenberatung ergebnisoffen ist. Auf ihrer Homepage liest man dann Sätze wie 'Das Recht auf Leben ist ein absolutes, in keiner Phase des Lebens gibt es weniger oder mehr Recht auf Leben.' Wenn das Recht auf Leben ein absolutes ist, wie können Sie dann Frauen zu einem Abbruch raten?

Martina Kronthaler: Wir raten zu gar nichts. Das würde dem Wesen der Beratung vollkommen widersprechen! Beratung heißt nicht, Ratschläge zu geben. Wir sind der Ansicht: Das Recht auf Leben hat jede und jeder. Bei einem Schwangerschaftskonflikt steht nun Leben gegen Leben. Jede schwangere Frau weiß, worum es da geht.

Ich denke, keine Frau wünscht sich einen Schwangerschaftsabbruch und trotzdem ist es halt manchmal der einzige Ausweg. Der Lebensschutz gilt ja genauso für die Frau. Manche Einrichtungen sehen nur das Kind, andere Einrichtungen sehen nur die Frau und wir als Aktion Leben wollen beide Seiten berücksichtigen. Darum arbeiten wir auch sehr viel gesellschaftspolitisch. Wir wissen, es gibt gewisse Umstände, frauenfeindliche Strukturen, usw. Wenn man für Lebensschutz eintritt, dann muss man auch an den Strukturen und Rahmenbedingungen arbeiten, dann muss man auch die Männer in die Pflicht nehmen.

dieStandard.at: Interessanterweise kommen ihre stärksten Kritiker ja aus den katholischen Reihen. Auf dem radikal-katholischen Online-TV-Sender "Gloria.TV" wird ihnen beispielsweise vorgeworfen, mit ihrem Beratungsangebot die Werte der katholischen Gemeinschaft verraten zu haben.

Martina Kronthaler: Hier sehen sie unser Problem: Die ergebnisoffene Beratung, die wir anbieten, wird uns von den Radikalen immer vorgeworfen und von der anderen Seite wird uns oft nicht geglaubt.

Diese Herrschaften verfolgen uns seit Jahren, weil wir die Fristenregelung nicht bekämpfen, ergebnisoffene Beratung haben und für Verhütung eintreten. Der Gesundheitspsychologe Dr. Josef Preßlmayer ist ja wegen uns in Hungerstreik gegangen, der Ärmste. Wir haben schon überlegt, ob wir ihm Kuchen bringen sollen - aus Lebensschutzgründen (lacht). Wir kommentieren diese Aussendungen in der Öffentlichkeit nur nicht, weil ihr ihnen kein Forum bieten wollen.

Diese Leute haben uns eine Spionin geschickt, die eine Bestätigung über eine Beratung wollte. Doch die ganze Aktion ist ein Blödsinn in sich, weil es diese Bestätigung in Österreich ja gar nicht für einen Abbruch braucht. Die psycho-soziale Beratung ist in Österreich Gott sei Dank, und dazu stehen wir, freiwillig.

dieStandard.at: Ihre Forderung nach Statistiken und eingehender Motivforschung stößt bei anderen Beratungsstellen auf wenig Freude. Die Gründe für Abbrüche seien bereits hinreichend bekannt, meinen sie.

Martina Kronthaler: Die sind nicht hinreichend bekannt. Ich verstehe diese Widerstände nicht, denn in einer modernen Gesellschaft ist es doch wichtig zu wissen, wie Entscheidungen getroffen werden. Man erforscht das auch in vielen anderen Bereichen. Man kann auch annehmen, dass sich die Gründe für einen Abbruch verändern. Wenn jetzt von einer Zunahme an ungewollten Schwangerschaften bei Jugendlichen zu hören ist, dann würde mich doch interessieren, woran liegt das genau. Die mangelnde Sexualerziehung kann es nicht allein sein, denn die war ja noch nie so, wie wir sie uns gewünscht hätten.

Ungewollte Schwangerschaften nur darauf zurückzuführen, dass die Verhütung fehlgeschlagen hat, trifft es auch nicht immer. Das ist eine sehr komplexe Geschichte, wie eine ungewollte Schwangerschaft entsteht. Manchmal gibt es auch einen ambivalenten Kinderwunsch, der dann dazu führt, dass man doch nicht so sorgsam verhütet. Auch Partnerschaftsgeschichten spielen mit hinein ... Wenn also z.B. ersichtlich würde, dass vieles auch an der Partnerschaft hängt, an der Fähigkeit zur Kommunikation, dann kann ich mir als PolitikerIn vornehmen mehr Bubenarbeit zu leisten, die Kommunikationsfähigkeit überhaupt zu stärken. Man könnte viel zielgerichteter in der Prävention tätig sein.

dieStandard.at: Geht es den Staat überhaupt etwas an, wie die Kommunikation in Partnerschaften aussieht? Was könnte er da überhaupt ausrichten?

Martina Kronthaler: Kommunikationsfähigkeit kann man ganz wunderbar in Schulen stärken. Wir beginnen in Vorträgen an Schulen damit, dass die Kinder lernen, ihre Gefühle auszudrücken, Ich-Botschaften zu senden, über sich selber sprechen können.
Bei manchen Frauen, die zu uns in die Beratung kommen, merkt man ganz genau, dass sie sich für sich nichts fordern trauen. Sie trauen sich auch nirgends nein zu sagen. Da könnte man schon ganz früh präventiv arbeiten.

dieStandard.at: Bei der Pille danach äußern sie sich gegen die Rezeptfreiheit - warum?

Martina Kronthaler: Das hat medizinische Gründe. Es gibt in Österreich die Notfallsverordnung, die noch nicht ausreichend umgesetzt wurde. Wir fänden es besser, die gynäkologischen Ambulanzen auch in der Nacht erreichbar zu halten. Man sollte ja auch umfassend dazu informiert werden, weil viele glauben, sie sind für den gesamten Zyklus abgesichert.

dieStandard.at: Ist es nicht zumutbar, einfach den Beipackzettel zu lesen - auch als 15-Jährige?

Martina Kronthaler: Ich kenne wenige, die das in einer Paniksituation wirklich machen. Die Pille danach ist ja auch eine Hormonbombe, mit der man nicht sorglos umgehen sollte.

dieStandard.at: Die Rezeptfreiheit führt zu einer Abnahme von ungewollten Schwangerschaften, wie z.B. für Frankreich nachgewiesen wurde (1). Wäre das also nicht eine Maßnahme, die sie gerade wegen ihrem präventiven Ansatz unterstützen müssten?

Martina Kronthaler: Wir sind für alle Formen der Empfängnisverhütung. Bei der Pille danach sind wir der Ansicht, dass es eine Notfallverhütung bleiben sollte. Bei den Studien bin ich skeptisch: Man kann nicht sagen: Pille danach einführen und zack weniger Abbrüche. Ob sie den gewünschten Effekt bringt, da hört man permanent unterschiedliche Dinge. So sind etwa in Schweden die Abbruchzahlen im Europavergleich enorm hoch (20,2 je 1000 Frauen) (2). Vor einer Rezeptfreigabe wäre in Österreich noch so viel zu tun. Das Vorhandene ausbauen ist meine Devise.

dieStandard.at: Weiters fordern Sie eine Trennung von beratendem und abtreibendem Arzt/Ärztin.

Martina Kronthaler: Ja, das war früher eine Forderung von uns, aber wir wissen, dass das in der Praxis oft nicht möglich ist. Bei der Bedenkzeit ist es ähnlich: Aus der Praxis denken wir, es wäre gut, sich in diesem ersten Schock auch einmal zu entspannen und die Zeit zu haben in Ruhe nachzudenken und vielleicht eine Beratungsstelle aufzusuchen, mit einer Freundin zu reden, was auch immer.

dieStandard.at: Sie bieten seit kurzem eine einzigartige Weiterbildung zur/m "LebensschutzpädagogIn" an. Was hat Sie dazu bewogen, diesen Bildungszweig ins Leben zu rufen?

Martina Kronthaler: Die Aktion Leben hat immer schon Bildungsarbeit gemacht. Der Hauptgrund war, dass wir unseren ReferentInnen, die ja auch an Schulen mit Vorträgen und Workshops aktiv sind, eine hochqualitative Ausbildung geben wollten.

Der Lehrgang besteht aus vier Modulen, man kann diesen innerhalb von vier Monaten absolvieren. Wer für uns als ReferentIn tätig sein will, macht als erstes den Lehrgang, dann bei uns eine Prüfung und anschließend arbeitet sie oder er ein Stundenbild aus. Diese Woche beginnt der neue Lehrgang und wir haben 24 Anmeldungen. Mit dabei sind StudentInnen, LehrerInnen, KindergärtnerInnen aber auch Privatpersonen. Pro Jahr machen wir sicher 100 Vorträge und Workshops auf Anfrage von Lehrenden an Wiener Schulen.

dieStandard.at: Stört es Sie nicht, dass der Begriff des "Lebensschutzes" in der Öffentlichkeit für radikale AbtreibungsgegnerInnen steht?

Martina Kronthaler: Also, wir stehen nach wie vor zu diesem Begriff. Lebensschutz beschreibt einfach am besten in einem Sammelbegriff, was wir tun. Uns ist noch kein besserer Begriff eingefallen.
Aktion Leben war die erste Lebensschutzbewegung in Österreich und leider kamen in den 1980ern und 1990ern diese radikalen Gruppierungen dazu und haben diesen Begriff sehr negativ besetzt. Wir hoffen, dass es uns gelingt, diesen Begriff wieder positiv zu besetzen. Wir machen jedenfalls mit HLI niemals gemeinsame Sache, sind in keinem gemeinsamen Arbeitskreis oder ähnliches.

dieStandard.at: Ihre Organisation hat 1974 ein Volksbegehren gegen die Einführung der Fristenlösung initiiert. Heute sagen Sie, dass Sie die Fristenlösung nicht mehr bekämpfen. Wie kam es zu diesem Wandel innerhalb ihrer Organisation?

Martina Kronthaler: Das war eigentlich genau vor 20 Jahren. 1989 hat die Aktion Leben eine Standortbestimmung herausgegeben, wo festgestellt wurde, dass sie sich für eine positive Haltung dem Leben gegenüber einsetzt, aber nicht über den Weg, die strafrechtlichen Bestimmungen gegenüber Frauen zu verschärfen. Das war damals die Ausdrucksweise. Ich selbst habe die Aktion Leben nur so kennengelernt. Diese Veränderung ist gewachsen durch die Beratung und durch die Arbeit mit den Frauen. Es ist klar geworden, dass über Gesetze und Strafen keiner Frau geholfen werden kann. Es war einfach ein Lernprozess innerhalb der Organisation.

dieStandard.at: Warum darf es dann kein Recht auf Abtreibung geben?

Martina Kronthaler: Für mich gibt es das Recht auf eine gute und sichere medizinische Betreuung, wenn eine Frau die Schwangerschaft abbricht. Das gibt es auf jeden Fall. Es kann aber kein Recht auf etwas geben, was im Prinzip gesetzeswidrig ist (die Abtreibung, Anm.)

Ich finde, wir sollten eher an den Umständen arbeiten, die einen Abbruch überhaupt erst nötig machen. Es geht ja immer auch noch um einen zweiten Menschen.
Österreich hätte soviel zu tun, die Benachteiligungen, die für Frauen erwachsen, wenn sie sich für ein Kind entscheiden, zu glätten, Müttern ein gutes Leben mit Kind zu ermöglichen.

dieStandard.at: Was wünschen Sie sich von Ihren KritikerInnen?

Martina Kronthaler: Im Prinzip geht es darum, dass man vorwurfsfrei miteinander redet. Dass wir uns alle zusammensetzen und die einzelnen Forderungen der Einrichtungen durchsprechen, ohne dem anderen gleich zu unterstellen, mit dieser Forderung in Wirklichkeit Frauen zu bevormunden - unsere Debatte ist voll von Unterstellungen. Darüber würde ich gern hinaus und das hat nichts mit der rechtlichen Lage zu tun - das Recht ist liberal.

Das viel größere Tabu ist es, Frauen, die ihr Kind eigentlich bekommen wollen, Hilfe anzubieten. Eine Geburt ohne Krankenversicherung kostet beispielsweise an die 3.500 Euro. Das wird politisch nicht behandelt, es gibt keine öffentlichen Gelder dafür. Das ist nur ein Beispiel von vielen Notlagen, die durch eine Schwangerschaft entstehen können. Deshalb steht die Aktion Leben auch für einen staatlichen Hilfsfonds für Schwangere. (Die Fragen stellte Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 19.11.2009)