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"Gewalt hat ein Geschlecht". So plakativ diese Aussage auch klingen mag und so sehr sie seit ihrer Erkenntnis und Analyse durch die feministische Forschung seit den 1970er-Jahren von einer patriarchal-normativen Allgemeinheit bis zum heutigen Tag auch abgewehrt wird, die Kriminalstatistiken geben ihr Recht: Gewalt wird überwiegend von Männern ausgeübt.
Männliche Wissenschafter - Soziologen, Biologen, Psychologen, Pädagogen, Männerforscher und Kriminologen untersuchten den rasanten Anstieg von Gewaltverbrechen in Europa, speziell in Deutschland, und kamen alle zum gleichen Ergebnis: "Verantwortlich dafür sind zum größten Teil männliche Täter", wie es der Biologe und Spiegel-Journalist Jürgen Neffe ausdrückt.

Foto: Reuters/RADU SIGHETI

"Verbrechen ist männlich", schreibt Dieter Otten, Sozialwissenschafter an der Universität Oldenburg, in seinem Buch "MännerVersagen. Über das Verhältnis der Geschlechter im 21. Jahrhundert" (Verlag Lübbe): "Nicht Gewalt und Kriminalität bedrohen unsere Gesellschaftsordnung, sondern Männer". Denn während die Anzahl männlicher Straftäter in den vergangenen zwanzig Jahren überproportional mit über 300 Prozent angestiegen sei, sei die der weiblichen um 1,4 Prozent sogar leicht gesunken. Für seine Untersuchung hat Otten einzelne Bereiche der Kriminalität nach Geschlechtern differenziert analysiert und herausgefunden, dass es nicht einen einzigen Kriminalitätsbereich gebe, "in dem Frauen eine nennenswerte Rolle spielen". Sogar bei harmlosen Delikten, so genannten Ordnungswidrigkeiten, gebe es "nahezu überhaupt keine weiblichen Beteiligungsquoten". Dazu einige Beispiele: Bei Sexualdelikten betrage das Verhältnis von männlichen zu weiblichen Tätern 99,99 zu 0,01 Prozent, bei Raub 99,9 zu 0,1 Prozent, bei Betrug 99 zu 1 Prozent. Sogar bei Verkehrsdelikten sind die Männer nach der Otten'schen Analyse mit 98,8 Prozent führend. Dass Frauen mit 11,4 Prozent bei den Gesamtdelikten aufscheinen, liege hauptsächlich am Faktor Ladendiebstahl. Wobei auch hier zu berücksichtigen sei, dass Frauen sehr viel häufiger einkaufen als Männer - und: die Gefahr eines männlichen Einkäufers für Warenbestand, Kasse oder MitarbeiterInnen des Geschäfts sei in etwa so groß wie jene von 25 bis 30 Frauen, schreibt Otten.

Im Bild: Dieter Otten, Sozialwissenschafter

Foto: idw-online.de

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"Im Kern des Anwachsens männlicher Kriminalität steckt das Grundübel Männergewalt", schreibt Jürgen Neffe im Artikel "Risikofaktor Mann" (taz, März 2003). "Seine Spur durchzieht den gesamten Zivilisationsprozess, nistet mehr oder weniger tief im Gewebe aller Gesellschaften: Krieg, Bürgerkrieg und Terrorismus bilden nur die spektakuläre Spitze eines ewigen Eisbergs, der ohne männliche Aggression längst dahinschmelzen würde." Darunter befinde sich ein breites Fundament alltäglichen Wahnsinns: die Züchtigung wehrloser Kinder und  erzwungener Sex, in der Familie, im internationalen Mädchen- und Frauenhandel, Pornografie im Internet und per Video. Und all das trage eine männliche Handschrift, "ist ein rein männliches Phänomen".
Und auch die Gewalt von Jugendlichen spreche eine deutliche Sprache, meint Neffe. Obwohl die Jugendkriminalität in Deutschland in den letzten zehn Jahren leicht zurück gegangen sei, habe sich die Brutalität verstärkt und gehe vor allem auf das Konto von Burschen.

Im Bild: Plakat der "White Ribbon"-Initiative gegen Männergewalt

Foto: APA/White Ribbon Österreich

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"Wir haben kein Jugendgewaltproblem", betont der Kriminologe Christian Pfeiffer, ehemaliger Justizminister von Niedersachsen, "wir haben ein Jungengewaltproblem". Das müsse endlich gesagt werden. Gewalt komme zumeist von Gewalt, also negativer Vorbildwirkung in der Familie. Hier zeige sich jedoch ein deutlicher Unterschied: Während Mädchen die "elterliche Partnergewalt" als Symbol für Ohnmacht und Unterwerfung erfahren, würden Buben das männliche Rollenmodell übernehmen und mehr zu erhöhter Gewaltbereitschaft neigen. Christian Pfeiffer meinte übrigens einmal: "Als Kriminologe wird man zum Feministen".

Im Bild: Christian Pfeiffer, Kriminologe und ehem. Justizminister Niedersachsen

Foto: Reuters/Fabrizio Bensch

Wenn es keine Gewalt von Männern gebe, hätte eine ganze Reihe von staatlichen und privaten Einrichtungen kaum etwas zu tun. Polizei und Staatsanwaltschaften, Einsatzkommandos, Betrugsdezernate, Mordkommissionen, Straf- und Verkehrsgerichte, Gefängnisse, Spezialisten im Kampf gegen erzwungene Prostitution und Pornografie, Frauenhäuser usw. - sie alle "beschäftigen sich fast ausschließlich mit den Folgen männlichen Fehlverhaltens", schreibt Jürgen Neffe.
Der Soziologe Walter Hollstein hat sich den materiellen Schaden für die Schweiz ausgerechnet: Durch "fehlgeleitetes Ausleben traditioneller Männlichkeit" schätzt er die jährlichen Kosten auf 15 Milliarden Euro. Von den immateriellen Schäden ganz zu schweigen.

Im Bild: Walter Hollstein, Soziologe

 

Foto: www.walter-hollstein.ch

Wie würde nun eine Gesellschaft aussehen, in der sich das Verhalten der Männer gegenüber ihren Mitmenschen und der öffentlichen Ordnung nicht wesentlich von jenem der Frauen unterscheidet? Jürgen Neffe nennt es Utopie: "Die Zahl der Toten und Verletzten im Straßenverkehr ginge auf einen Bruchteil der gegenwärtigen Anzahl zurück; die Prämien für Versicherungen gegen Einbruch und Vandalismus würden lächerlich klein; die Gefängnisse kämen mit weniger als fünf Prozent der heute vorhandenen Plätze aus; Frauen, Mädchen, aber auch kleine Jungen wären von der Angst vor Übergriffen durch Peiniger, Schläger und Vergewaltiger befreit; Eltern könnten ihre Kinder ohne Sorge vor Entführung und Misshandlung aus dem Haus lassen; niemand müsste sich fürchten, nachts allein auf die Straße zu gehen; ausländische Mitbürger und Gäste könnten sich nahezu sicher in Deutschland bewegen; Lehrer und Schüler könnten einander unbeeinträchtigt von Einschüchterungen zum Zweck des gemeinsamen Unterrichts begegnen. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen".

Im Bild: Jürgen Neffe, Biologe und Journalist

Foto: Der Standard

Um die Gesellschaft in eine friedvolle Richtung zu lenken, müsste viel geschehen. Der Feminismus kann dies genauso wenig leisten wie einzelne Frauen, die mit Verständnis, Geduld und Liebe ihren Söhnen und Männern gegenüber treten. Der Wille der Männer selbst und eine totale Neuorganisation des Gesellschaftssystems wären dringend von Nöten.

"Wir Männer", meint der Männerforscher Erich Lehner, " brauchen keine verständnisvollen Frauen, sondern Frauen mit Durchsetzungsfähigkeit".

Im Bild: Erich Lehner, Psychoanalytiker und Männerforscher

Foto: Der Standard

"Der Feminismus hat die Gesellschaft nachhaltig verändert. Profitiert haben davon vor allem die Männer", weiß Peter Hajek.

Im Bild: Peter Hajek, Meinungsforscher

(dieStandard.at, 29.11.2009)

Foto: derStandard.at/rasch