Sükran Moral: Galatasaray Hamam, Istanbul 1997

Foto: Sükran Moral

Berlin - 24 Stunden im Istanbuler Bordell. 24 Stunden steht Sükran Moral wie auf einer Bühne in einem zur Straße hin offenen, ebenerdigen Schaufenster. Trägt ihr Fleisch zu Markte. Die türkischen Männer schauen hin, verlegen, prüfend, lüstern. Einige kommen mit. Tatsächlich ist diese Begegnung eine Inszenierung und eine Dokumentation zugleich. Die Künstlerin hält die Szenen mit ihrer Videokamera fest. Als Darstellerin macht sie vor ihrem eigenen Körper nicht Halt. Voller ästhetischer Kraft und inhaltlich radikal steht Sükran Moral nicht alleine in der Istanbuler Kunstszene. Das zeigen sie und 16 andere türkischen Künstlerinnen in der Berliner Ausstellung "Boden unter meinen Füßen, nicht den Himmel". 

Hommage an türkische Frauenbewegung

Den Titel hat die Istanbuler Kuratorin Beral Madra ihrer Schau verliehen. Sie versteht ihn als Hommage an die türkische Frauenbewegung. Unter diesem Motto zogen 1987 Demonstrantinnen durch die Stadt am Bosporus. Sie begehrten gegen eine Tradition auf, die die Frau nur als Mutter vergöttert. Das türkische Sprichwort, das den mit beiden Beinen im Himmel stehenden Müttern huldigte, stellten sie auf den Kopf. Zwanzig Jahre später sind die Forderungen immer noch aktuell.

Auf ganz individuelle Weise aber gehen die Künstlerinnen aus drei Generationen heute noch weiter. Sie greifen globale Themen wie Nationalität, Religion, Gewalt und das Leben in den Städten auf: Spielerisch, bunt, nie dogmatisch. Die meist akademisch gebildeten, berufstätigen Frauen agieren offen und selbstbewußt.
Bei Nazan Azeri, 1953 geboren, flattert in einem Video minutenlang das an einem Ast gebundene weiße Hochzeitskleid ihrer Mutter im Wind. Das Kleid windet sich, Kräfte zerren an ihm. Gül Ilgaz, 1962 geboren und bereits durch mehrere internationale Ausstellungen bekannt, schreibt sich eine andere Rolle zu. Sie montiert digital ihren Kopf, eine Hand und einen Fuß in die Athene des Pergamonaltars. Der Kampf wurde eigens für die Berliner Ausstellung geschaffen. Ausgerechnet: Denn das berühmte antike Denkmal, einst als "Geschenk" nach Berlin gekommen, ist auch ein Streitpunkt im deutsch-türkischen Verhältnis. Andere Künstlerinnen sticken, zeichnen oder fotografieren. Es ist eine lebendige überraschende Mischung. Die BetrachterInnen bleiben nicht unbewegt von solch klaren Positionen.

Drei Stationen in Berlin

Die Istanbuler Künstlerinnen präsentieren sich nicht irgendwo in Berlin. Nein, es ist die Akademie der Künste am prominenten Pariser Platz. Das Haus ist eine von drei Berliner Adressen der Schau "Istanbul Next Wave: Gleichzeitigkeit-Parallelen-Gegensätze". Die drei Stationen bieten den derzeit wohl umfassendsten Überblick zur zeitgenössischen türkischen Kunst in Mitteleuropa. Anlass ist die 20-jährige Städtepartnerschaft zwischen Berlin und Istanbul. Die drei türkischen KuratorInnen konnten aus dem Vollen schöpfen: Die private Sammlung Istanbul Modern Collection wird im Martin-Gropius-Bau partiell gezeigt. Die drei verantwortlichen türkischen KuratorInnen ordnen 80 Werke aus den Jahren 1928 bis 2008 historisch ein. Im Haus der Akademie der Künste am Hanseatenweg sind Sechs Positionen kritischer Kunst aus Istanbul zu sehen. Wer Lust hat, trifft dort auch wieder auf die provokante Sükran Moral. (Von Gastautorin Gisela Mohr, dieStandard.at, 30.12.2009)