"Love me or leave me. Liebeskonstrukte in der Populärkultur", Hg. Doris Guth, Heide Hammer, Campus Verlag, 2009

Mit Beiträgen von: Doris Guth, Heide Hammer, Eva Illouz, Eitan Wilf, Andrea B. Braidt, Ruby Sica, Diedrich Diederichsen, Angelika Baier, Gabriele Resl, Stephanie Kiessling und Sissi Szabó

 

 

Cover Campus Verlag

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Liebesinzenierungen sind überall, ob in der Lieblingssoap oder in Skandalromanen, wie etwa in Michel Houellebecqs "Ausweitung der Kampfzone". 

Foto: AP/Univision

Wo die Liebe hinfällt? Ganz so einfach ist es nicht. Ist das Konzept der romantischen Liebe zwar nicht das einzig existierende, so genießt es innerhalb westlicher Kulturen dennoch eine Alleinherrschaft, die von den Liebenden selbst meist heldInnenhaft verteidigt wird. Wer möchte schon gerne die Liebe zum/zur Liebsten als "kulturelle Praxis" sehen, innerhalb derer sich die Wahl unserer Liebesobjekte und die Gestaltung der Liebesbeziehung nicht als frei darstellt, sondern als eine Reaktion auf kulturelle Kontexte. Auch der Gedanke, vielleicht Männer - respektive Frauen - zu begehren, weil einer/einem die "heterosexuelle Matrix" mit all ihren normativen Effekten schon von Geburt an im Nacken sitzt, ist wenig reizvoll. 

Ob sie nun wirken oder nicht, Fakt ist jedoch, dass Inszenierungen von Liebe überall sind. Das im November letzten Jahres erschienene Buch "Love me or leave me", herausgegeben von Doris Guth und Heide Hammer, nimmt diese Inszenierungen genauer in den Blick. Die Beiträge von SoziologInnen, KulturwissenschafterInnen oder PhilosophInnen legen den Fokus auf vermittelte Liebesentwürfe in populärkulturellen Texten, Bildern oder Musik. Die Texte in "Love me or leave me" analysieren die verschiedensten popkulturellen Ereignisse in der Tradition der Cultural Studies und analysieren "sowohl kulturelle Institutionen und Industrien einerseits und individuelle wie kollektive Praktiken andererseits", so die Herausgeberinnen in ihrem Vorwort.

Mutter oder Geliebte

Der erste Beitrag des Buches stammt von Eva Illouz und Eitan Wilf. Die Soziologin Illouz hat in den letzten Jahren die Themen "Gefühle" und "Emotionen" innerhalb der Sozialwissenschaften prominent platziert und dabei dem Feminismus stets eine tragende, wenn auch nicht immer eine sehr glorreiche Rolle, zugeschrieben. So hätten wir laut Illouz die zunehmende Forderung nach Kommunikationsfähigkeit in Bezug auf Emotionen oder Gefühle, die als emotionales Kapital eingesetzt wird, nicht zuletzt dem Selbstverwirklichungsdiskurs der Frauenbewegung der 60er und 70ger Jahre zu verdanken. 

In dem aktuellen Text in "Love me or leave me" fragen Illouz und Wilf, welches Rollenbild für Frauen in kommunitaristischen bzw. kapitalistischen Gesellschaften vorherrschend ist: "Mutter" oder "Geliebte"? Illouz und Wilf werfen dafür einen kritischen Blick auf jene feministischen Ansätze, für die die romantische Liebe eine stramme Unterstützerin des Patriarchats ist. So verdanken wir etwa laut der jüdisch-kanadischen Feministin Shulamit Firestone die Vormachtstellung der Männer der "schier unerschöpflichen weiblichen Liebe". Und für Simone de Beauvoir war mit der aufblühenden Liebe bei Frauen deren Selbstaufgabe auch nicht mehr weit. Illouz und Wilf wollen in ihrem Beitrag hingegen zeigen, dass es keine Ideologie der romantischen Liebe per se gibt. Wie sich Liebesideologien in verschiedenen patriarchalen Gesellschaften unterscheiden können und welche "Hauptrollen" für Frauen dabei vorgesehen sind, zeigen sie in einem empirischen Vergleich zwischen einer kapitalistischen Gesellschaft (USA) und einer kommunitaristischen Gesellschaft (Ende der 40er bis in die 70 Jahre in Israel).

Kaloriencheck plus Liebes-Dossier

Was Liebe ist, wie frau sich eine zugelegt und "worauf es wirklich ankommt" - für diese Fragen fühlen sich Lifestyle-Zeitschriften zuständig. Doris Guth beschäftigte sich in ihrem Beitrag mit der Repräsentation der romantischen Liebe in Lifestyle-Zeitschriften. Als Basis des Modells der romantischen Liebe nennt Guth unter anderem die Betonung der Individualität des/der Einzelnen, Treue oder die Gegenseitigkeit der Liebe. Obwohl sich schon erahnen lässt, ob sich eher Lifestyle-Zeitschriften für Frauen oder für Männer vorwiegend der Liebe annehmen, überraschen die Ergebnisse dennoch. So ist das Thema Liebe zwar erwartungsgemäß in Zeitschriften für Frauen vertreten, die Unterschiede zwischen den verschiedenen Zeitschriften für Frauen sind aber ebenso bemerkenswert, wie die in Männerzeitschriften "beinahe 'hysterische' Fokussierung auf Heterosexualität und das Objekt Frau", wie es Guth treffend formuliert.

E-Mail für dich

Ein Auge auf politische Haltungen und romantische Versprechen bei den SchriftstellerInnen Juli Zeh, Michel Houellebecq oder Daniel Glattauer werfen Heide Hammer und Gabriele Resl in ihrem Beitrag. Houellebecq rechnete in seinen Büchern (zum Beispiel in "Ausweitung der Kampfzone", 1994) mit der sexuellen Revolution oder mit der Unmöglichkeit der Koexistenz von romantischer Liebe und Kapitalismus in einer Radikalität ab, die schockierte. Eine Abrechnung, die aber ohne das Ideal "der als letzte Gemeinschaftsbastion idealisierten Ehe" gar nicht möglich wäre, so Hammer und Resl. Hinter den Skandalromanen Houellebecqs versteckt sich also eher ein konservatives Liebesideal als widerständige Kritik.

Erfolgsautor Daniel Glattauer ("Gut gegen Nordwind") muss hingegen erst gar nicht als Romantiker entlarvt werden. "Der politische Anspruch wird auf das Glück des persönlichen Lebensentwurfes reduziert, dabei sind Emmi und Leo weitgehend politisch korrekte ProtagonistInnen und Angehörige derselben Klasse", so die Autorinnen über die E-Mail Liebesgeschichte, in der alternative Liebesentwürfe gänzlich fehlen. 

Auf den popkulturellen Konsum von etwas anderen Liebesentwürfen macht Andrea B. Braidt mit ihrer Analyse der US-Serie "The L-Word" Lust. Das deutschsprachige Fernsehen hatte mit der Serie, in der queeres Leben und Lieben im Zentrum steht, nur ein kurzes Intermezzo. Obwohl "The L-Word" zwar Erholung für das hetero-geschädigte Fernsehauge verspricht, ortete Braidt auch hier den einen oder anderen Konnex zum "Diktat der romantischen Liebe".

Mit geschärftem Blick

Die Dominanz einiger weniger Vorstellungen von Liebesverhältnissen und wie diese Kulturgüter durchsetzen, ist sowohl bei Braidt, als auch bei den meisten anderen Beiträgen aus "Love me or leave me" das durchgängige Thema. Leider erschließen sich einer/einem nicht alle Beiträge und Analysen, ohne auch die besprochenen Kulturprodukte zu kennen. Falls man dieser aber kundig ist, vermögen die Texte den Blick für Liebesinszenierungen zu schärfen, meistens ohne einer/einem die Lust an den Serien, der Musik oder den Büchern madig zu machen. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 28.2.2010)