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Alexandra Kautzky-Willer, Gender-Forscherin Med-Uni Wien.

Foto: APA / HELMUT FOHRINGER

Männer und Frauen unterscheiden sich viel grundlegender als nur anatomisch. Diese Erkenntnis ist offenbar so banal, dass die Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten auf geschlechtsspezifische Unterschiede bei Diagnosen und Therapie nie besonderes Augenmerk gelegt hat. Zu Unrecht. "Frauen haben einen ganz anderen Stoffwechsel als Männer und entwickeln Krankheiten dementsprechend unterschiedlich", sagt Alexandra Kautzky-Willer, die seit Anfang des Jahres Österreichs ersten Lehrstuhl für Gender-Medizin an der Medizinischen Universität Wien leitet. Ihre Aufgaben: Neben Grundlagenforschung steht auch das systematische Durchforsten bereits existierender Studien hinsichtlich der spezifischen Geschlechterunterschiede auf ihrer Agenda. Kautzky-Willer will vor allem unter KollegInnen ein Problembewusstsein schaffen, denn Aspekte von Gender-Medizin sind in allen medizinischen Fachrichtungen relevant.

Viele offene Fragen

Gender-Medizin hat ihren Ursprung in der Kardiologie. Ein Frauenherz mit seinen viel feineren Blutgefäßen sieht nach einem Infarkt ganz anderes aus als bei Männern. "Ein gebrochenes Herz, das Broken-Heart-Syndrom, ist eine Herzschwäche nach traumatischen Erlebenissen, die fast nur bei Frauen beobachtet wird", kann Kautzky-Willer berichten und weiß deshalb von vielen Fehldiagnosen. Als Diabetologin hat sie einen über die Kardiologie hinausgehenden breiten Fragenkatalog: Warum bekommen Frauen nach der Menopause viel leichter Diabetes als Männer? Warum lässt sich der Blutzucker viel schwerer einstellen? Warum schützt Aspirin Frauen vor Herzinfarkt nicht, Männer aber schon? Warum hat ein Belastungs-EKG hinsichtlich des Herzinfarktrisikos bei Frauen keine so klare Aussagekraft wie bei Männern? Warum ist Rauchen bei Frauen so viel schädlicher als bei Männern?

Breiter Fokus

All das sind Fragen, auf die sie in den nächsten Jahren Antworten finden will. Eine Schlüsselrolle kommt dabei sicher den Sexualhormonen, allen voran Östrogen, zu, die den Körper auf vielen Ebenen stark beeinflussen - auch bei Stress. Gerade deshalb spielen psychosoziale Faktoren wie Rollenbild, Erwartungshaltung, Arbeitssituation oder Sozialstatus in der Gender-Medizin auch eine so entscheidende Rolle. "Wir orientieren uns nicht nur an biologischen Unterschieden, sondern haben einen biopsychosozialen Ansatz", so Kautzky-Willer.

Langfristig geht es aber auch darum, durch die genaue Kenntnis von Stoffwechselvorgängen differenziertere Therapien für Frauen zu finden. Medikamente werden derzeit fast ausschließlich an männlichen Probanden entwickelt. Der Grund: der Contergan-Skandal, der das Risiko im Zusammenhang mit Medikamenten für Frauen im gebärfähigen Alter für immer bewusst und Pharmafirmen vorsichtig gemacht hat. "Doch auch in der Grundlagenforschung werden im Maus-Experiment fast nur männliche Tiere verwendet", sagt Kautzky-Willer.

Langfristig will Gender-Medizin auf Basis von Evidenz-basiertem Wissen neue Behandlungsrichtlinien für Männer und Frauen schaffen. Ob es jemals Medikamente nur für Frauen geben wird? "Genaue Kenntnis über Dosierungen ist vorerst unser Ziel", sagt die Endokrinologin, die Gender-Medizin allerdings nicht als "Frauenmedizin" verstanden wissen will, "auch Alter, bestehende Vor- erkrankungen oder die Wechselwirkung von Medikamenten bei Männern und Frauen sind Themen der Gender-Medizin. (Karin Pollack, DER STANDARD/Printausgabe 8.3.2010)