"Das Verhältnis von Alltag, Normalität und Ausnahmezustand hat sich in den letzten zehn, fünfzehn Jahren verschoben. Dieser Zustand wird instrumentalisiert - auch politisch": Kathrin Röggla.

Zur Person:
Kathrin Röggla, geboren 1971 in Salzburg, lebt in Berlin. Die vielseitige Autorin schreibt Romane, Essays Theater- und Hörspiele.

Ihr neues Buch "die alarmbereiten" ist bei S. Fischer (19,50 Euro, 192 Seiten) erschienen. Am 16. April liest sie im Rahmen des Literaturfestivals "Literatur und Wein" in Stift Göttweig.

 

Foto: STANDARD / Corn

Mit Kathrin Röggla sprach Carolin Beutel.

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Das Leben, eine einzige Katastrophe, die (Um-)Welt auch. In ihrem sieben Prosastücke umfassenden neuen Buch "die alarmbereiten" schildert Kathrin Röggla eine von Finanzkrise, Klima- und Naturkatastrophen gebeutelte Welt im Ausnahmezustand, der sich zusehends auch auf die privaten Bereiche ausdehnt.

Standard: Ihr Buch heißt "die alarmbereiten", der Titel scheint Programm zu sein.

Röggla: Mich hat interessiert, wie diese ständige Katastrophengrammatik, in die wir eingespannt sind, funktioniert. Wir sind medial von Katastrophenrhetorik und Katastrophenerzählungen umgeben. Unsere Antwort darauf ist Alarmbereitschaft. Wir scheinen die Alarmbereiten zu sein, weil man uns als Alarmbereite anspricht. Das ist insofern merkwürdig, weil wir gleichzeitig das Gefühl für politisches Handeln verloren haben oder zu verlieren drohen. Die Alarmbereitschaft verbindet sich nicht mit dem Gefühl, dass wir die Welt gestalten können, sondern ist eher eines der Überwältigung.

Standard: Ihre These lautet, dass die Alarmbereitschaft Dauerzustand in der Gesellschaft ist.

Röggla: Das Verhältnis von Alltag, Normalität und Ausnahmezustand hat sich in den letzten 10, 15 Jahren verschoben. Sicher war der 11. September ein Katalysator für diesen Prozess. Dieser Zustand wird instrumentalisiert, auch politisch. Gesetzesänderungen wurden durchgesetzt - Stichwort "innere Sicherheit" und "Sicherheitsarchitektur der Länder". Zu diesem Thema gibt es eine breite Diskussion: Bürgerrechte, Freiheitsrechte vs. Sicherheit ...

Standard: Wie sieht es mit dem Einfluss der Medien auf die Alarmbereitschaft der Bevölkerung aus?

Röggla: Das ist, glaube ich, ein Prozess, der schon lange im Gang ist, wir vertrauen immer mehr auf die Medien, leben in einer Mediengesellschaft, die kein vernünftiges Umgehen mehr mit den realen Katastrophensituationen kennt. Ich glaube, es ist gar nicht so untypisch, dass Medien über Katastrophen schreiben, weil das im Grunde etwas ist, was immer viele Leser gebracht hat, auch schon vor 200 Jahren. Es ist nur so, dass es jetzt möglich ist, diese Art des Sprechens auf alles auszudehnen, immer eine Art Ausnahmezustand zu postulieren, eine Art Krisenmechanik, die alles erfasst.

Standard: Diese Krisenmechanik treiben die neuen Medien weiter voran. Jeder kann nun, beispielsweise mithilfe Twitters, zum vermeintlichen Experten werden und seine Meinung kundtun.

Röggla: Das stimmt: Der "Mann von der Straße", dessen Meinung man einholt, spielt auch in der Tagesschau mittlerweile eine Rolle - so wird in den Medien eine scheinbare Demokratie erzeugt. Jeder kann etwas sagen, sich äußern. Das ist im Grunde keine Information, die irgendwie relevant ist, es wird aber so getan, als würde man alle mitbeteiligen. Es handelt sich um eine Scheinebene.

Standard: Die jeweiligen Erzähler der Geschichten werden in Ihrem Buch permanent von den Gesprächspartnern in den Hintergrund gedrängt.

Röggla: Die Ich-Erzähler kommen in den ganzen Texten eigentlich überhaupt nicht zu Wort. Das ist auch ein ganz wichtiges, zentrales Moment, dass sozusagen das Ich, das eigentlich das Zentrum einer Ich-Erzählung darstellt, im Grunde hinausgedrängt wird und nur noch eine Projektion oder Vehikel ist. Auf eine Weise hat das Buch etwas sehr Psychologisches, insofern, dass ich mich gefragt habe: Wie fühlt es sich an, als wer wird man angesprochen in dieser Katastrophengrammatik?

Standard: Wenn man sich Ihre Arbeiten ansieht, scheint es, als sei das Ihr Thema: Katastrophen, Krisen, wie sie dargestellt werden und wie wir damit leben.

Röggla: Es gibt in meiner Arbeit zwei Stränge. Zum einen Ökonomie und Arbeit, zum anderen Katastrophen und Ausnahmezustand, manchmal verbinden sich diese Stränge auch. Die "Ausnahmezustandfrage" beschäftigt mich schon lange, nicht erst seit dem 11. September. Das hat einen biografischen Hintergrund, mein Vater hat in Krisengebieten gearbeitet. So war von Kindheit an dieses Thema da, und durch den 11. September hatte ich dann den Anlass, darüber zu schreiben, auch über die Verschiebung, dass es immer normaler wird, in diesem Ausnahmezustand zu leben. Das ist aber sicher nicht getrennt zu sehen von dem zweiten Strang, von der Ökonomie, die ja - Naomi Klein hat das "Katastrophenkapitalismus" genannt - eine bestimmte Form von Katastrophen erzeugt.

Standard: Bilden wir uns vielleicht einige Katastrophen nur ein, wie Sie in einer Passage über den Klimawandel schreiben?

Röggla: Man muss schon immer unterscheiden: Wir sind nicht an Katastrophen gewöhnt, wir sind an die Erzählung von Katastrophen gewöhnt. Wenn wir jetzt hier Situationen wie in Usbekistan oder in Teilen Afrikas hätten, wo der Klimawandel heute faktisch stattfindet, wo Seen austrocknen, ganze Landwirtschaften nicht mehr funktionieren - das haben wir hier nicht. Das macht es dann auch schwierig zu reagieren, weil man nicht selbst betroffen und quasi nur am Rande spekulativ dabei ist. Das ist mit der Finanzkrise genauso. Wir waren nicht in London oder in Island oder in den USA und haben in Zeltstädten wohnen müssen, sondern uns geht's ja noch relativ gut, es ist noch kein Staatsbankrott in Sicht.

Standard: Dann gehören wir noch gar nicht zu den Betroffenen?

Röggla: Das kann sich schnell ändern und ist auch das Heikle an diesem Thema, denn es gibt ja reale Katastrophen, auf die man reagieren muss. Wir leben in einer Zeit, die massiv Katastrophen produziert. Das wird seltsamerweise immer gerne vergessen, obwohl es bei der Finanzkrise und beim Klimawandel offensichtlich ist, dass diese von Menschen produziert werden. Aber auch wenn sie sozusagen natürlich sind, wie zum Beispiel beim Hurrikan "Katrina", entsteht die eigentliche Katastrophe dadurch, dass man keine Vorsorge getroffen hat. Das ist ja auch etwas, das man gesellschaftlich verhandeln muss. Genau dies wird durch die mediale und politische Katastrophenrhetorik paradoxerweise verhindert. In meinem Buch ging es mir aber weniger darum, Lösungswege aufzuzeigen, als die Probleme erst mal in ihrer Drastik zu veranschaulichen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6.4.2010)