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Mädchen sind in Indien besonders benachteiligt. Plan International mit seiner Zweigorganisation setzt hier speziell auf die Förderung des Schulbesuchs, die Einrichtung von Jugendgruppen für Mädchen, Ausbildungskurse und den Kampf gegen die Abtreibung weiblicher Föten. Oft sind die unmittelbaren Resultate kaum bemerkbar, doch es geht um künftige Generationen.

Foto: APA/WOLFGANG WAGNER

New Dehli/Uttarkashi - "Eine Tochter ist ein Jammer." Dieser Satz findet sich bereits in einer der alten Schriften der Hindus - Rig-Veda - aus dem 7. Jahrhundert vor Christus. Im 21. Jahrhundert ist Indien in Konsequenz dieser kulturellen Diskriminierung mit einem erwarteten Problem unerhörter Sprengkraft konfrontiert: Der gesellschaftlich erzwungenen Abtreibung ungeborener Mädchen. Mit einem Buben-Überhang von zwölf bis 15 Prozent in der Bevölkerung.

"In der von uns betreuten Region in und um Uttarkashi kommen auf 942 Mädchen im Alter bis zu sechs Jahren 1.000 Buben. Im Gebiet von Bhatwari sind es nur noch 903 Mädchen auf 1.000 Buben", sagte Tanushree Soni, Regionalbeauftragte der Hilfsorganisation "Plan India", bei einem Besuch österreichischer und deutscher JournalistInnen in Nordindien.

Die Zahlen für ganz Indien sprechen eine ähnliche Sprache: 1901 kamen in der Gesamtbevölkerung laut der damals erfolgten Volkszählung auf 1.000 Männer 963 Frauen. Im Jahr 2001 lag die Relation bei 1.000 zu 933.

Abtreibung die billigere Variante

"Man zahlt 500 Rupien (etwas mehr als 8,2 Euro) für eine Ultraschalluntersuchung zur Bestimmung des Geschlechts eines Ungeborenen. Und dann 500 Rupien für einen Schwangerschaftsabbruch. Das ist 'günstiger' als später 50.000 Rupien (820 Euro) für die Mitgift", sagte Vijay Rai, Koordinator des "KOPAL" ("Sprössling"-Projekt der Hilfsorganisation). 50.000 Rupien sind derzeit die Mitgift-Untergrenze, in reicheren Gesellschaftsschichten kann das auch eine Million Rupien (3.200 Euro) sein.

In den Köpfen festgesetzt

Auf dem Subkontinent soll über Bewusstseinsbildung die derzeitige Praxis als inakzeptabel propagiert werden. Doch die Ablehnung von weiblichem Nachwuchs hat uralte Hintergründe. "Eine Tochter groß ziehen, das heißt, den Garten des Nachbarn bewässern." "Einen Lehrer für die Buben, eine Schwiegermutter für die Mädchen." "Trommeln erklingen bei der Geburt eines Sohnes, aber nur Messingteller bei der Geburt einer Tochter." So heißt es im Volksmund in Indien.

Männermacht

Dahinter stecken mehrere gesellschaftliche, kulturelle und religiöse Gründe. Der "Plan India"-Mitarbeiter: "Der Name der Familie wird nur über die männlichen Mitglieder weiter gegeben. Die Erbschaft läuft über den Sohn. Und wenn die Eltern sterben, muss der Sohn die letzten Riten vollziehen."

Noch ein anderer Grund dafür, dass die indische Gesellschaft noch immer auf männlichen Nachwuchs fixiert ist, so Roland Angerer, Landeschef der Hilfsorganisation: "Die wichtigen Entscheidungen in der Familie werden von den Männern getroffen. Der Hausfrau bleibt der Haushalt. Die ins Haus kommende Schwiegertochter ist die einzige Person, der die Hausfrau etwas anschaffen kann." Sie ist bestenfalls die Hilfskraft, auf die gezählt wird.

Buben-Überzahl

Ehemals lief die grausame Selektion auf männlichen Nachwuchs zum größten Teil erst nach der Geburt ab. Mädchen wurden vernachlässigt - oft bis zum Tod. Die moderne Technik mit dem Ultraschall - in Indien ist der Verkauf der Geräte auch ein großes Geschäft - hat die Sache buchstäblich in den Mutterleib vorverlegt. Das Ergebnis: Für die nächsten 20 Jahre wird in Indien bereits ein Überschuss an Burschen von zwölf bis 15 Prozent vorhergesagt.

Tabuisiert

Die Hilfsorganisation "Plan India" versucht beispielsweise in 49 Distrikten in vier nordindischen Bundesstaaten über Frauen- und Kinder-Initiativen das Problem des Fetozids an die Öffentlichkeit zu bringen. Offen darüber geredet, wird in der Gesellschaft kaum.

Bauna, 49, langjähriges Mitglied des Panchayat-Distriktrates in Mustiksour bei Uttarkashi, allerdings nahm sich auch im Gespräch mit Journalisten kein Blatt vor den Mund: "Wenn wir bemerken, dass ein Ehepaar eine Abtreibung planen könnte, versuchen wir, es davon abzubringen. Aber natürlich können wir längst nicht immer wissen, warum ein Ehepaar plötzlich in die Stadt fährt."

Verboten

In Indien sind Abtreibungen bis zur 14. Schwangerschaftswoche aus medizinischen Gründen erlaubt. Geschlechts-selektive Abtreibungen und die Durchführung von Pränataldiagnostik allein aus diesem Grund sind seit 1994 gesetzlich verboten.

Gelingt es nicht, dem Problem Einhalt zu gebieten, könnte das viele ernste Konsequenzen für die indische Gesellschaft haben: Noch frühere Verheiratung der Mädchen, mehr Gewalt gegen Frauen, Menschenhandel.

Dagegen arbeiten

"Wir sind 50 bis 55 Jahre und haben noch immer keine Frauen", beklagt sich ein indischer Mann in einem Informations-Video der Hilfsorganisation. Dieses Schicksal könnte in Zukunft auf dem Subkontinent häufig werden, auch wenn in "Plan"-Mädchen-Gruppen und in den Panchayats - diese Bezirksversammlungen müssen in Indien laut Gesetz zu 50 Prozent aus Frauen als Abgeordnete bestehen - bereits dagegen gearbeitet wird. (APA)