"Erwerbsarbeit ist nicht etwas, das Frauen herausnimmt aus der Geschlechterhierarchie, sondern ein Bereich, in dem permanent Vergeschlechtlichung passiert", sagt Margit Appel.

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Mascha Madörin ist "radikal gegen die Bezahlung personenbezogener Dienstleistungen, die nicht den minimalen Standards eines geregelten Arbeitsverhältnisses entsprechen".

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Allein in der unbezahlten Hausarbeit werden mehr Arbeitsstunden geleistet als in der gesamten Erwerbswirtschaft zusammengenommen, so Mascha Madörin.

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Salzburg - Die Schweizerin Mascha Madörin hat einen für WirtschaftswissenschaftlerInnen etwas ungewöhnlichen Blick auf "das, was wir Wirtschaft nennen". Sie zieht nämlich keine Trennlinie zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeitszeit. Das verschiebt die Perspektive ein wenig. Die so genannte Care-Ökonomie, also die bezahlten und unbezahlten Haushalts-, Betreuungs- und Pflegearbeiten, werden so zum "größten Wirtschaftszweig, den es überhaupt gibt", machte die feministische Ökonomin vergangene Woche bei der Tagung "Auf dem Weg in die DienstbotInnengesellschaft? Prekäre Zeiten - prekäre Verhältnisse" in Salzburg deutlich.

Frauen arbeiten zu 80 Prozent unbezahlt

Allein in der unbezahlten Hausarbeit würden mehr Arbeitsstunden geleistet als in der gesamten Erwerbswirtschaft zusammengenommen, rechnet Madörin vor - und zwar zu zwei Dritteln von Frauen. Blickt man auf die Gesamtarbeitszeit von Frauen und Männern im erwerbsfähigen Alter, so leisten Frauen im Schnitt 80 Prozent ihrer Arbeitzeit unbezahlt ab. Bei Männern sind es immerhin 50 Prozent - "wenn man das Autowaschen mitzählt".

Gegenwärtig würden zwar solche Arbeiten (von Besserverdienenden) zunehmend auf bezahlte Haushaltshilfen, PflegerInnen oder BabysitterInnen ausgelagert - das helfe der Gleichberechtigung der Geschlechter aber auch nicht weiter, kritisiert Madörin: "Prekariat, Rechtlosigkeit, Quasi-Leibeigenschaftsverhältnisse wie früher in der patriarchalen Ehe und andere diskriminierende Arbeits- und Leistungsverträge haben in diesem Dienstleistungsbereich eine lange Geschichte und werden heute teilweise durch Immigrationsgesetze reproduziert." Die Umwandlung in Erwerbsarbeit sei zwar positiv, "ich bin aber radikal gegen die Bezahlung personenbezogener Dienstleistungen, die nicht den minimalen Standards eines geregelten Arbeitsverhältnisses entsprechen".

40 Euro für 24 Stunden Arbeit

Dass es mit diesen Standards noch nicht weit her ist, verdeutlicht die Sozialwissenschaftlerin Bettina Haidinger von der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt in Wien. Man müsse im bezahlten Sektor der Haushalts-, Pflege- und Betreuungsarbeit in Österreich zwei Gruppen von Beschäftigten unterscheiden, sagte sie. Die eine Gruppe seien die etwa 30.000 bis 50.000 Rund-um-die-Uhr-Pflegerinnen, die zumeist aus der Slowakei, Polen, Slowenien, Ungarn und Tschechien stammen, 40 bis 60 Euro pro Tag bekommen und "manchmal für Tage nicht das Haus verlassen dürfen".

Die andere Gruppe sei mit bis zu 150.000 Beschäftigten weit größer: Haushaltshilfen, Putzfrauen, BabysitterInnen, Kindermädchen, die unregelmäßig in verschiedenen Haushalten arbeiten und dafür zwischen vier und zwölf Euro pro Stunde bekommen. Sie kommen aus ganz verschiedenen Staaten, oft handelt es sich um eine illegale "Übergangsbeschäftigung" von Asylwerberinnen oder Migrantinnen, die im Zuge der Familienzusammenführung gekommen sind und im ersten Jahr noch nicht legal arbeiten dürfen.

Gefahr der Ausbeutung

Neben diesem Ausschluss vom formalen Arbeitsmarkt sei gerade im Pflegebereich die schwierige Nostrifizierung von im Ausland erworbenen Qualifikationen ein Problem. Die "Unsichtbarkeit" der Arbeit in privaten Haushalten schütze einerseits vor dem Zugriff durch Arbeitsinspektorat und Fremdenpolizei, sagt Haidinger, andererseits bestehe die Gefahr der Ausbeutung.

"Permanente Vergeschlechtlichung"

"Erwerbsarbeit ist nicht etwas, das Frauen herausnimmt aus der Geschlechterhierarchie, sondern ein Bereich, in dem permanent Vergeschlechtlichung passiert", sagt die Politikwissenschaftlerin Margit Appel von der Katholischen Sozialakademie Österreichs. Im Pflegebereich zeige sich das besonders deutlich.

Prekarität "als Drohung für alle"

In der "global care chain" sei Prekarität zunehmend "als Drohung für alle zu verstehen", verdeutlicht Appel: "Die griechische Finanzbeamtin, die gerade ihre Ausbildung abgeschlossen hat und vom Staat nicht übernommen wird, kann nicht wissen, ob sie nicht demnächst in einem Haushalt in den USA oder auch im arabischen Raum personenbezogene Dienstleistungen erbringt." 

Als Gegenmaßnahmen fordert Appel eine Politik, die sich die Sicherung von existenzsichernden Einkommen und nicht unbedingt von Arbeitsplätzen auf die Fahnen schreibt. Es sei Aufgabe des Staates, für ein gewisses Maß an Umverteilung zu sorgen. Die Mittelschicht müsse "eine Steuerpolitik fordern, die den Interessen der ökonomischen Eliten widerspricht".

Kinderbetreuung: Verschiedene Konzepte

Julia Bock-Schappelwein vom Wirtschaftsforschungsinstitut macht als Mitautorin der Studie "Sozialpolitik als Produktivkraft" darauf aufmerksam, dass unterschiedliche europäische Länder durchaus unterschiedliche Ansätze im Organisieren von Kinderbetreuung haben. Während in Mittel- und Südeuropa Kinderbetreuung vorwiegend durch Mütter geleistet werde, die ganz oder teilweise zu Hause bleiben, ist sie auf den britischen Inseln und in Nordeuropa vorwiegend als bezahlte Dienstleistung organisiert.

Gleichzeitig gehören Länder wie Schweden, Dänemark oder Finnland zu jenen, in denen es die geringste Zahl von legal Beschäftigten in privaten Haushalten gebe - weil Kinderbetreuung fast flächendeckend in öffentlichen Einrichtungen stattfinde. Österreich ist von diesem Ziel noch weit entfernt: Im Jahr 2008 wurden gerade einmal 14 Prozent der Unter-3-Jährigen außer Haus betreut, das Ziel der EU für 2010 liegt bei 33 Prozent.

Professionalisierung gefordert

Wichtig sei aber, Kinderbetreuungsberufe gleichzeitig zu professionalisieren und höhere Qualifikationen zu verlangen, fordert Bock-Schappelwein. Dann könne eine Auslagerung der Kinderbetreuung nicht nur den Zugang der Frauen zum Arbeitsmarkt verbessern und qualifizierte neue Arbeitsplätze schaffen, sondern auch als Bildungsinvestition für die Kinder angesehen werden. (Markus Peherstorfer, dieStandard.at, 30.04.2010)