Verena Stefan:
Häutungen. Autobiografische Aufzeichnungen
Frauenoffensive München 1975 (Fischer 1994)
ISBN-13: 978-3596118373

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Verena Stefan bei einer Lesung 2008

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"Die soziologische Pyramide besteht fort: Die Spitze ist weiß, heterosexuell und männlich. Alles andere ist weniger wert", brachte Verena Stefan die aktuelle Situation der patriarchalen Gesellschaftsordnung in einem taz-Interview vom 10. Mai 2008 auf den Punkt. Ein Zustand, den die Autorin bereits dreiunddreißig Jahre zuvor in ihrem Buch "Häutungen" angeklagt hat.

"Ob Krieg oder Frieden, wie leben im Ausnahmezustand"

In diesem ersten deutschsprachigen literarischen Text einer Feministin der Neuen Frauenbewegung analysiert sie aus der Perspektive der Ich-Erzählerin die männerdominierten heterosexuellen Herrschaftsverhältnisse als allumfassendes Konstrukt, in dem die Normativität des "zu einem Mann Gehörens" einem "angelernten Suchtverhalten" entspreche, das den Interessen der Männer diene und ihre Vorherrschaft erst ermögliche. Die Frauen blieben sowohl sich selbst als auch einander in diesen Mann-Frau-Gefügen fremd. Eine Entfremdung, für die es aufgrund der "Aufenthaltsbedingungen in der Welt der Männer" nur eine Lösung gäbe: den Aufbruch in die "Welt der Frauen".

"Sexismus geht tiefer als Rassismus als Klassenkampf"

Verena Stefan beschreibt in "Häutungen" ihren eigenen Aufbruch, wie sich ihre Häute verändern, überlagern, puzzeln. Erst in einer lesbischen Beziehung fühlt sie sich ganz, bei sich, intakt und sie erfährt nach und nach die Dekonstruktion ihrer bisherigen Denk- und Lebensweise. Das Buch entstand in einer Zeit, als die ersten Frauengruppen gegründet wurden und die Feministinnen begannen, patriarchale Strukturen genauso zu hinterfragen wie ihre privaten Beziehungen zu Freunden, Ehemännern und linken Genossen. Mit Sicherheit ist dieser Text zur richtigen Zeit erschienen. In acht europäische Sprachen übersetzt, wurde er in Kürze zum "Kultbuch" der Frauenbewegung und hat bis heute – leider – nicht an Aktualität verloren.

"Also, sag mal Mädchen, wo hast du denn deine Brust hängen?". Ausgangspunkt des Textes ist die Pöbelei eines fremden Mannes, "einfach so", aus dem Nichts. Ein Übergriff, wie ihn Frauen kennen. "Eine alltägliche Behandlung einer Kolonisierten in einer Stadt der ersten Welt", in der jeder Mann jede Frau auf irgendeine Weise missbrauchen kann, schreibt sie. "Mich springen die Blicke der Männer an, krallen sich in die Jeansfalten zwischen meinen Beinen, wenn ich die U-Bahntreppe hinuntergehe. Pfiffe und schnalzende Rufe setzen sich auf mir fest. Die vielen Spuren des Tages abends unter der Dusche unter der Haut ... eine Frau allein, immer noch Gast, immer noch Allgemeinbesitz". Die Übergriffe an ihr bei Tag und bei Nacht sind unzählbar: "Dies ist nicht meine Welt. Ich will neben keines Mannes Verkümmerung gleichberechtigt stehen".

"Ich brauchte ihn, weil ich mich nicht hatte"

Die Frauen würden sich nicht gehören, sich erfahren als definiert über die Männer, egal ob es um die "ideale" Form der Brüste geht, um die hinter sich zu bringende "Defloration", um endlich eine "Frau zu werden", die Aussage des männlichen Gynäkologen, der sagt: "Das bisschen Schmerz werden WIR ja wohl aushalten", ... Die Frauen würden sich als Besitz der Männer erfahren, als an deren Bedürfnisse angepasste Eigentümer sie sich ganz und gar nach ihm richten sollten. Jede Abweichung von dieser Erwartung gelte als abnormal, frigide, verrückt, als männerfeindlich. Während den Frauen suggeriert würde, sich selbst entfremdete Objekte in einer männlichen Welt zu sein, in der sie auf "Mittelsmänner" von klein auf konditioniert würden, sei es in Wirklichkeit so, dass Männer Frauen brauchen.

Immer wieder hatte sie von Männern gehört, dass diese lieber mit Frauen zusammen seien, weil sie einfühlsamer, spannender, aufgeklärter, die "besseren Menschen" seien. Warum also sollte sich ein Mann mit seinen Geschlechtsgenossen beschäftigen? "Du kannst nicht verlangen, dass ich mich auch noch privat mit einem Man befasse!", lässt Verena Stefan Samuel in ihrem Text empört ausrufen und dreht die Frage um: "Warum kann MANN das dann von einer Frau verlangen?". Es seien also Männer, die sich männerfeindlich gebärden.

Liebe verwechselt Begehrtsein und Vergewaltigtwerden

Sie macht sich auf die Suche nach den Zusammenhängen der Zwangsheteronormativität, in der kein gegenseitiges Erkennen der Geschlechter möglich sei. In der Liebe ortet sie eine "Schreckreaktion", einen möglichen Umgang mit der enttäuschten Vorstellung einer brutalen Wirklichkeit, die sich durch Liebe eine Weile vertuschen lasse. Liebe sei eine tausendfache Verwechslung von Begehrtsein und Vergewaltigtwerden: "Ein Mann, der im Allgemeinen bedrohlich ist, soll im Einzelnen liebenswert sein. Ein männlicher Körper, der im Allgemeinen gefährlich ist, soll im Einzelnen lustvoll werden". Diesen Schizophrenien wären Frauen unterworfen und sie könnten lediglich unter der Schirmherrschaft eines einzelnen Mannes die Bedrohlichkeit der anderen für eine Weile vergessen. Doch auch dies nicht immer und nicht zur Gänze, wohnt doch der Vergewaltiger zumeist im gleichen Haus.

Mit wachsender Einsicht in die Zusammenhänge der Frauenunterdrückung und die Diskrepanzen zwischen den Geschlechtern verlässt die Protagonistin zuerst den einen Mann und dann den anderen. Die Männer werfen ihr vor, nicht mit ihnen solidarisch zu sein, worauf sie sich fragt: "Wann war ich solidarisch mir selbst gegenüber gewesen?" Sie macht sich auf eine Reise der Abnabelung, auf der sie "die Sucht, Teil eines Paares zu sein", abstreifen will wie eine alte Haut, um in eine neue schlüpfen zu können. Die Veränderung dauert lange, aber dann haben sich neue Häute gebildet, die ein Muster mit der alten bilden: "Wer kann bunte Haut lesen?".

Die Relevanz des Buches heute

Auch mehr als drei Jahrzehnte nach Erscheinen dieses Buches hat sich an den von Verena Stefan geschilderten Mann-Frau-Beziehungen leider nur wenig geändert. Obwohl auf politischer und juristischer Ebene die Gleichstellung der Frau mittlerweile fest geschrieben ist und ebenso auf gesellschaftlicher Ebene ein gewisser öffentlicher Konsens darüber besteht, dass die Frau gleichwertig ist und ihr eben solches Ansehen und eine adäquate Behandlung zustehen, haben sich das Miteinander und Verständnis der Geschlechter bis auf wenige Ausnahmen nicht verbessert. Im Gegenteil erfahren Frauen heute verstärkt Diskriminierungen und Sexismen, die sich jedoch desöfteren unter subtilen Vertuschungsmechanismen zu verbergen suchen. So können Frauen gegenwärtig relativ selbstbestimmt über ihr Leben verfügen, ökonomisch unabhängig sein und sind nicht mehr angewiesen, Teil eines Paares zu sein. Auf der symbolischen Ebene – und diese wirkt logischerweise auf die reale Wirklichkeit – erweisen sie sich nach wie vor als nachrangig gedachte Geschlechtsklasse, was sich speziell in den so genannten "privaten" Beziehungen zu Männern, in Liebe und Sexualität auswirkt. Denn in der Porno-Gesellschaft ist das Wollen der Männer nur zu oft auf Sex und weniger auf Verstehen fixiert. Ein einander Erkennen ist bis dato nicht möglich. (Dagmar Buchta/dieStandard.at, 16.05.2010)