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Die hohe Verantwortung, die Hebammen tragen, schlägt sich nicht in der Entlohnung nieder. In Deutschland droht ein Versorgungsnotstand, weil viele freiberufliche Geburtshelferinnen sich die Ausübung ihres Berufes nicht mehr leisten können.

Foto: dpa/Waltraud Grubitzsch

"Ich arbeite seit 17 Jahren als freiberufliche Hebamme. Existenzangst ist mittlerweile mein ständiger Begleiter, weil ich nicht mehr weiß, wie ich mit meiner Arbeit meinen Lebensunterhalt sichern soll. Für den Lohn, für den wir arbeiten, würde ein Handwerker nicht mal ins Auto steigen. Ich muss mir noch Geld nebenher verdienen, indem ich die nächsten Wochen Spargel verkaufe. Nur so kann ich mir das 'teure Hobby Hebamme' leisten."

Solche und ähnliche Beiträge landen derzeit im Forum der Protest-Website des Deutschen Hebammenverbandes (DHV). Der Verband startete im Sommer 2009 eine breit angelegte Protest- und Unterschriftenaktion, um auf die prekäre Situation freiberuflicher Hebammen in Deutschland aufmerksam zu machen. Steigende Haftpflichtprämien bei stagnierenden Einnahmen bedrohen die Existenz der dortigen Geburtshelferinnen und in Folge die flächendeckende Versorgung der Gebärenden in Deutschland. In ländlichen und grenznahen Gebieten ist der Hebammenmangel schon jetzt zu spüren.

Versorgungsnotstand in Sicht

Die Einzahlung der Haftpflichtprämie ist Voraussetzung, um den Beruf ausüben zu dürfen. 1992 machte diese umgerechnet noch 180 Euro aus, 2007 bereits 1200 Euro. Durch die jüngste, erneute Anhebung des Versicherungsbeitrages auf mindestens 3689 Euro pro Jahr spitzt sich die Situation nun zu: "Wir steuern auf einen Versorgungsnotstand zu", bestätigt Verbandspräsidentin Martina Klenk gegenüber dieStandard.at. "Ab dem 1. Juli 2010 erreichen die Haftpflichtprämien der Hebammen eine Höhe, die befürchten lässt, dass viele aus der außerklinischen Geburtshilfe und Wochenbettbetreuung aussteigen." Die aktuelle Erhöhung der Haftpflichtprämie sei nicht etwa auf einen Anstieg der Schadensfälle, sondern auf die massiv angestiegenen Pflegekosten der Geschädigten zurückzuführen, so Klenk. "Diese hohen Schadensaufwendungen dürfen nicht den Hebammen aufgebürdet werden", kritisiert die Verbandspräsidentin.

Den Prämiensteigerungen stehen niedrige Stundenlöhne und Gebühren gegenüber: "Das zu versteuernde Einkommen einer Hebamme liegt bei durchschnittlich 14.500 Euro im Jahr - ein Teilzeitgehalt bei Vollzeitarbeit", so Martina Klenk. Für die Betreuung einer Geburt, inklusive acht Stunden davor und drei Stunden danach, bekommt eine freiberufliche Hebamme in Deutschland laut Hebammenverband 237 Euro bei einer Geburt im Krankenhaus, 445 Euro im Geburtshaus und 537 Euro bei einer Hausgeburt. Für einen Hausbesuch im Wochenbett erhält sie 26,52 Euro; nach Abzug aller Kosten bleiben davon durchschnittlich 7,50 Euro pro Stunde. "Der Schlüsseldienst am Wochenende verdient in zehn Minuten mehr als ich bei einer 12-Stunden-Geburt", bringt es eine Hebamme im Forum auf den Punkt.

Mehrere Jobs

Die schlechte Verdienstsituation zwinge viele Hebammen, daneben noch anderen Beschäftigungen nachzugehen, so der Verband. Aus demselben Grund sind auch nur etwa 30 Prozent der Hebammen in Deutschland in Vollzeit tätig. Bei einer Vollbetreuung in Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Stillzeit betreut eine in Vollzeit arbeitende, klinisch tätige Hebamme jährlich etwa 30 bis 40 Frauen, außerklinisch etwa zehn. Hebammen, die Hausgeburten durchführen, in 24-Stunden-Rufbereitschaft sind und ab der 37. Woche bis hin zu acht Wochen nach der Geburt zur Verfügung stehen, können aus Zeitgründen maximal 30 Frauen pro Jahr betreuen.

Eine Anstellung in einem Krankenhaus sei aufgrund des verstärkten Personalabbaus keine sichere Alternative zur Freiberuflichkeit, sagt Martina Klenk: "Zehn Prozent der Hebammen-Planstellen wurden in den letzten Jahren abgebaut, geburtshilfliche Abteilungen an Kliniken werden aus Rentabilitätsgründen zunehmend geschlossen und wenn eine Stelle frei ist, so werden die Verträge meist nur mehr auf ein Jahr ausgestellt - alles auch zum Nachteil von Frauen und ihren Neugeborenen."

Verhandlungen gescheitert

Verhandlungen mit den Krankenkassen um eine Anhebung der Gebühren und einen Ausgleich der Haftpflichtprämienerhöhung sind in Deutschland bisher gescheitert, schildert die Verbandspräsidentin: "Das Problem ist, dass die Kassen an eine gesetzliche Beitragssatzstabilität gebunden sind, weshalb nur eine bestimmte Steigerung der Gebühren möglich ist." Ohne eine mindestens 30-prozentige Steigerung sei es jedoch kaum möglich, den Einkommensrückstand der Hebammen auszugleichen: "Die 1,54-prozentige Erhöhung, die uns die Krankenkassen geboten haben, reicht dazu nicht aus." Mit 30 Prozent mehr wäre geholfen: "Das wäre ein Beitrag von lediglich 0,23 Prozent pro Frau, es würde die Einzelne also kaum belasten." Und auch in Sachen Haftpflichtprämie wurde nichts erreicht, denn, so Klenk: "Die Spitzenverbände der Krankenkassen sind nicht bereit, die Vergütung der Hebammen auf ein Niveau anzuheben, das der hohen Verantwortung des Berufs gerecht wird und die massiv gestiegenen Versicherungsprämien kompensieren könnte."

Erster Erfolg

Einen ersten Erfolg konnte der DHV mit seiner Protestaktion bereits verbuchen: Über 90.000 Menschen haben bisher die E-Petition unterschrieben und im November 2009 wurden 60.000 gesammelte Unterschriften an den deutschen Gesundheitsminister übergeben, weshalb sich nun der deutsche Bundestag öffentlich mit dem Anliegen befassen muss. "Das wird zwar nicht mehr vor dem Sommer geschehen, ein erster Gesprächstermin mit dem Gesundheitsminister konnte aber vereinbart werden", so Martina Klenk. Der Protest und die mediale Aufmerksamkeit hätten großen gesellschaftlichen Druck auf die Politik ausgelöst: "Die Regierung hat den Versorgungsauftrag vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende der Stillzeit zu garantieren."

Österreich ist anders

In Österreich wird eine vergleichbare Situation kaum eintreten, da die Hebammen anders organisiert sind: In Deutschland gibt es keine Dachorganisation, sondern mehrere Berufsvertretungen, in denen frau jedoch nicht Mitglied sein muss. Hierzulande sind alle Hebammen Pflichtmitglied im Österreichischen Hebammengremium als offizielle Standesvertretung, die Kammerstatus genießt. "Diese Pflichtmitgliedschaft konnte gegen den Widerstand aller Kammern bis heute beibehalten werden", sagt Gremiumspräsidentin Renate Großbichler-Ulrich im Gespräch mit dieStandard.at. "Während in Deutschland jede Hebamme selbst für ihre Versicherung Sorge trägt, bezahlt das Österreichische Hebammengremium einmal pro Jahr eine Gruppenversicherung und treibt die Beiträge dann von den Mitgliedern ein. Aus dieser Versicherung kann man nicht gekündigt werden - eine Hebamme schützt darin die andere." Im Schadensfall erhöht sich die Prämie um maximal fünf Euro.

Zum Vergleich: Während die jährliche Haftpflichtversicherung in Deutschland sich bald der 4000-Euro-Marke nähert, zahlen Hebammen in Österreich lediglich 75,66 Euro für Haftpflichtversicherung und Rechtsschutz zusammen. Die erweiterte Variante für Hebammen mit Zusatzausbildungen liegt bei 152,84 Euro. Die Gruppenversicherung habe das Hebammengremium schon vor über zehn Jahren beschlossen, zu einer Zeit als sich in Deutschland Schadensfälle häuften und die Hebammen aus der Versicherung fielen, so Großbichler-Ulrich: "Da jede Hebamme in Deutschland ihre Versicherung selbst zahlt, haben die Anbieter dort seither ein leichtes Spiel in punkto Preisabsprachen und Höhe der Prämien und verlangen Wahnsinnspreise. Ein Zusammenschluss aller Berufsverbände wäre dringend notwendig."

Die Einkommenssituation für Hebammen sei zwar auch in Österreich nicht rosig, der Beruf von den Arbeitsbedingungen her auch hier ein "Liebhaberjob", aber: "Durch die wesentlich günstigeren Versicherungsprämien und die einheitlich strukturierte Berufsvertretung mit dem Privileg des Kammerstatus wird es Probleme wie aktuell in Deutschland bei uns nicht geben." (Isabella Lechner/dieStandard.at, 30.5.2010)