Otto Penz: "Schönheit als Praxis. Über klassenspezifische und geschlechtsspezifische Körperlichkeit."
Campus Verlag, Frankfurt am Main 2010
EUR 29,90, ISBN 978-3-593-39212-7

Die Artikel und Interviewauswertungen stammen von: David Loibl, Augusta Dachs, Christian Hirst, Barbara Rothmüller, Philip Thom.

Foto: Campus Verlag

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Wie wir uns fesch machen ist nicht nur eine Frage des Geschlechts. So stellt der Film "Coco Chanel - Igor Stravinsky" ProtagonistInnen der Oberschicht dar.

Foto: AP/Regine Abadia/Eurowide Productions

Wir haben es ja schon geahnt. Reich und schön ist in den meisten Fällen keine schicksalhafte Fügung, sondern ist schlicht und einfach eine Sache der Klassenlage respektive des sozialen Milieus. Fitness, Haare schneiden, schminken, cremen, epilieren und rasieren - die Unterschiede im Umgang mit Schönheitspraxen sind aber vorwiegend entlang der Differenz Mann/Frau Thema. SpontansoziologInnen wird dennoch nicht entgangen sein, dass sich in verschiedenen Gebieten in Österreich, in Bezirken oder Lokalen, in den unterschiedlichen Berufsgruppen oder Universitäten die jeweilige Klientel irgendwie ähnelt. 

Der Soziologe Otto Penz und eine Gruppe Studierender haben sich mit den Unterschieden der Attraktivitäts-Aktivitäten über geschlechtsspezifische Differenzen hinaus beschäftigt und den Zusammenhang zwischen den Schönheitspraxen und den unterschiedlichen sozialen Klassen fokussiert. Ergebnis ist das Buch "Schönheit als Praxis", das nach einem theoretischen Abschnitt und einer Skizze der Schönheitsdiskurse im 21. Jahrhundert im zweiten Abschnitt anhand Tiefeninterviews die These aufstellt, dass es einen engen Zusammenhang zwischen der Sicherung von privilegierten sozialen Positionen und Schönheit gibt.

Eine Frage des Geschmacks? 

Penz orientiert sich an der Forschungsarbeit des französischen Soziologen und Philosophen Pierre Bourdieu (1930 - 2002), der schon in den 80ern anhand zahlreicher Studien mit dem Mythos des "guten Geschmacks" aufräumte, demnach der "Geschmack" auf individuelle "Feinsinnigkeit" und "Stil" zurückzuführen sei. Laut Bourdieu wählen Menschen aus einem bildungsnahen, ökonomisch gut situierten Elternhaus nicht bestimmte Literatur oder Filme, weil sie "Qualität" im Gegensatz zu Kultur-KonsumentInnen aus weniger privilegierten Schichten erkennen, vielmehr geht es auch bei Fragen des Geschmacks um die Verteidigung und Rechtfertigung der eigenen sozialen Position. So hat die Wahl bestimmter Speisen, Filme oder Möbel den Zweck, der eigenen "symbolischen Herrschaft" Sichtbarkeit zu verleihen. Und wenn das schon bei diesen Bereichen so ist, warum sollte es dann beim körperlichen Erscheinungsbild anders sein? 

Ist es auch nicht. Vor dem Hintergrund Bourdieus Theorie buchstabiert Otto Penz entlang von klassen- und geschlechterspezifischen Differenzen das Thema Schönheit aus, die Arbeit daran und was sich als "schön" durchsetzt. In diesem Zusammenhang kritisiert Penz die allzu große Bedeutung von evolutionstheoretischen Erklärungsversuchen, nach denen eine ästhetische Selektion deshalb stattfindet, weil schöne Menschen einen "Fortpflanzungsvorteil" versprechen würden. In populärwissenschaftlichen Dokus wird Schönheit auch gern mit Merkmalen wie reiner Haut oder symmetrischen Gesichtszügen in Verbindung gebracht, Darstellungen, die "kulturkritische Betrachtungsweisen übertönen", so Penz.

Unterschiede sichtbar machen

In dem Buch "Schönheit als Praxis" stehen genau diese Betrachtungsweisen im Vordergrund. So wird etwa deutlich, warum die durch den Kapitalismus stärker werdenden Individualisierungstendenzen nicht in einem autonomen Design des Selbst münden: Mit dem ökonomischen Aufschwung der 50er Jahre wurden auch die unterprivilegierten Klassen ins "Schönheitsspiel" integriert, schreibt Penz. Die Folge davon ist kein kreativer, emanzipatorischer Umgang mit der Gestaltung des eigenen Körpers, vielmehr muss nun - mehr oder weniger unbewusst - darauf geachtet werden, dass man sich durch Schönheitspraktiken von den anderen sozialen Schichten unterscheidet. "Die Abstände zwischen den oberen und unteren Klassen müssen auf neuartige Weise sichtbar gemacht werden im Kampf um die Definitionsmacht des guten Geschmacks und der Schönheit," so Penz. Dies oder das zu tragen, Sportarten oder die Wahl der kosmetischen Maßnahmen zeugen von einer Verinnerlichung der sozialen Stellung. 

Obgleich soziale Unterschiede eine sehr große Rolle spielen, vernachlässigt das Buch dennoch die geschlechterkritische Perspektive nicht, denn unabhängig von der sozialen Schicht gelten Frauen als das "schöne Geschlecht", was mit einem Kompliment herzlich wenig zu tun hat. Denn als die Vernunftehe zunehmend durch die Liebesheirat abgelöst wurde, musste für Frauen die Kapitalsorte Schönheit auf den Plan treten. Das ökonomische Kapital war hingegen den Männern vorbehalten und die Konzentration von Frauen auf ihr Äußeres stand mit der eigenen existenziellen Absicherung in Verbindung.

Stärke versus Fragilität

Durch die wachsende ökonomische Unabhängigkeit von Frauen werden aber zunehmend auch Männer in die Pflicht genommen, schön zu sein. Schönheitspraktiken von Männern, wie die Entfernung von Körperhaaren oder auch Diäten haben allerdings nichts mit dem Wunsch, weiblicher zu werden, zu tun, so Penz. Das Gegenteil ist der Fall, denn körperliche Charakteristika wie Muskelkraft werden verstärkt in Szene gesetzt. Die Ausweitung von Schönheitspraxen auf Männer zeugt also nicht von einer geschlechtergerechten Verteilung gesellschaftlicher Zwänge, die geförderten körperlichen Merkmale verweisen weiterhin auf die Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen: Männer zeigen ihre Muskeln oder sportliche Ausdauer und damit ihre Autonomie, Frauen fördern ihr jugendliches Aussehen und einen Körper, der schmal und fragil sein soll und der somit auch möglichst wenig Platz einnimmt.

Nichtsdestotrotz unterliegen Männer wie Frauen den ästhetischen Anforderungen, die eben auch stark klassenspezifischen Verankerungen entsprechen. Um dies empirisch zu überprüfen wurden im Rahmen eines Seminars an der Universität Wien von Studierenden 58 Tiefeninterviews durchgeführt. Vier davon wurden als Fallbeispiele im Buch abgedruckt, sie fungieren als "Eckpunkte des symbolischen Universums mit seinen klassen- und geschlechtsspezifischen Unterschieden", schreibt Penz. Im Anschluss an diese Fallbeispiele wurden auf Basis der 58 Interviews sechs "Schönheitsklassen" definiert. Somit werden die Schönheitspraxen von Frauen und Männern der oberen Klasse, von Frauen und Männern der mittleren Klasse und schließlich von Frauen und Männern der unteren Klasse anhand von Interviews illustriert. Penz nimmt im vorderen Teil des Textes schon vorweg, "wie stark Schönheitspraxis von der beruflichen Position und den Anforderungen des beruflichen Feldes abhängig sind" und die Interviews verdeutlichen das eindrücklich. Auch zeigen sie unter anderem, dass sich Männer um einiges schwerer dabei tun, ihre Aktivitäten rund um ihr Äußeres zu legitimieren. 

Leistungswilliger Mittelstand

Die Lektüre von "Schönheit als Praxis" lässt die tägliche Arbeit am Körper zumindest kurzfristig mit etwas Distanz betrachten und ruft Beobachtungen anderer Schönheitshandlungen im näheren Umfeld in Erinnerung, was einer/einem ein unmittelbares Verständnis der vorgebrachten Theorien beschert. Das Buch lenkt den Blick nicht auf jene, die ohnehin seit Jahren im Fokus der Kritik stehen: Die, die nicht genug Sport treiben, zu ungesund essen - kurzum jene Menschen, die nicht genug tun, um sich schön und fit zu halten. Wie "Schönheit als Praxis" zeigt, wäre aber der fitnesswillige Mittelstand auch mal eine (Negativ)Publicity wert, der durch Joggen, Joga oder Pilates seine Leistungsbereitschaft und Selbstdisziplinierung zur Schau stellt und damit die kapitalistische Ordnung widerspiegelt und huldigt. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 13.6.2010)