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Die Fußball-WM polarisiert angeblich die Gemüter - Doch jenseits von Emotionen gibt es auch einige philosophische Gedanken.

Foto: AP/Shuji Kajiyama

+++Pro

Da gibt es einen Arbeitskollegen. Ich sehe ihn seit mehr als zwei Jahren beinahe jeden Tag. Mindestens fünf Mal wöchentlich stehen wir gemeinsam vor dem Büro und rauchen süchtig unsere Zigaretten. Noch nie haben wir uns unterhalten - kein Wort, außer dem üblichen Gruß. Seit sich die Männer in Südafrika jedoch einen abrennen und abtribbeln, reden wir. Wir reden. Wir reden über Fußball. Und: alle tun das. Auch die, die Fußball hassen, reden darüber wie sehr sie es hassen und was sie daran hassen. Die anderen, die, die Fußball so sehr lieben, reden sowieso darüber - nun eben immer.

Das Fußballspiel beobachtend ergeben sich als feministische Beobachterin zwei wunderbare Bilder. Wenn sich die Fußballspieler ihre Leiberl vom Körper reißen und sich gegenseitig bekörpern und umschlingen, per Po-Klapps ihre Bestätigungen verabreichen, wird der sonst so homophobe Fußball (zu oft wird in Österreichs Stadien "Schwule Sau" gesungen, auch haben homosexuelle Fußballer bekannterweise Probleme im Team, so sie noch Teil dieses sind) zum homoerotischen Mega-Event. Je mehr Tore, desto besser. 

Das Publikum, die gröhlenden Männer liegen sich unterdessen voller Emotionalität, weinend, lachend wie ein vergrupptes Häuflein in Harmonie mit aufgepeitschten Gefühlen in den Armen. So geballte Gefühle unter den vorwiegend männlichen Protatgonisten in Südafrika tun einer feministischen Beobachtung, die die angebliche Gefühlsbetonung des weiblichen Geschlechts kritisch hinterfragt, wahrlich gut. Je mehr Tore, desto besser. (eks)

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Contra---

Zuallererst: wenn angeblich alle über Fußball reden, dann stelle ich - und es soll mir recht sein - eine Ausnahme. Weder verschwende ich meine Zeit damit, darüber zu sprechen, noch sind mir zu diesem Thema irgendwelche wie auch immer gearteten Emotionen inne, schon gar kein Hass. Denn warum sollte ich etwas hassen, das mir absolut gleichgültig ist? Dass ich an dieser Stelle über Fußball schreibe, begründet sich ganz simpel darauf, dass ich darum ersucht wurde. Und dieses Ersuchen um ein Contra wiederum auf der Vermutung, ich sei eine Fußball-Gegnerin. 

Ich serviere Ihnen also weder Gehässiges noch Gegnerisches, sondern lediglich einige rein kognitive Überlegungen, die ich mit Fragezeichen garniere. Wenn der olympische Gedanke seit der Antike darauf zielt, die verschiedenen Nationen friedlich zusammen zu führen, dann könnte gefragt werden, warum dies im sportlichen Wettkampf zu geschehen habe. Warum es überhaupt eines, wenn auch spielerischen, Wettkampfes zur angeblichen Friedenssicherung bedürfe? Wenn der Wettkampf im Spiel schon gegnerisches Denken und Aggressionen heraufbeschwört, was kann dann im Ernstfall noch erwartet werden? Und um die ernsthafte Realität geht es doch in Wirklichkeit, sie ist doch die wesentlichste Überlegung, oder etwa nicht?

Ob sportlich-spielerischer Wettkampf oder todernste kriegerische Auseinandersetzung, die Grundvoraussetzungen - oder Grundübel - sind die gleichen: ein dichotomes Weltbild von einander als ausschließend verstandenen Gegensätzen jenseits verbindender Gemeinsamkeiten, von Siegern und Verlierern. Ob Bälle in Tore knallen oder Bomben in sogenannte Kriegsgebiete, erweist sich im abstrahierten Gedankenprozess als symbolisch interessante Fragestellung, finde ich jedenfalls.
(dabu/dieStandard.at, 29.06.2010)