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Geht es nach dem deutschen Jugend- und Bildungsforscher, müssen auch Buben ermutigt werden, die traditionellen Geschlechterrollen zu verlassen.

Foto: AP/Christof Stache

Wien - Seit Jahren lassen Mädchen die Burschen in puncto Bildung immer weiter hinter sich. Junge Männer seien auf der Verliererspur des Bildungssystems, attestiert der deutsche Jugend- und Bildungsforscher Klaus Hurrelmann. Er plädierte Montagabend in Graz für einer geschlechtersensiblere Pädagogik. "Wir müssen uns um beide Geschlechter gezielt kümmern", so der Experte.

In Statistiken und Studien sei es erkennbar: "In hoch entwickelten Ländern fallen junge Männer im Sektor der schulischen Erfolge mehr und mehr zurück - und zwar in allen Stufen des Bildungssystems", schilderte Hurrelmann. Er hat zuletzt in der sogenannten "World Vision"-Studie an sechs- bis elfjährigen Kindern erhoben, dass Mädchen bei gleicher sozialer Ausgangsposition ehrgeizigere Pläne schmieden als Buben. Auch im Freizeitverhalten gebe es deutliche Unterschiede: Mädchen hielten sich mehrheitlich an "vielerlei Aktivitäten, die alle Sinne ansprechen", wohingegen Buben sich "für viele Stunden am Tag an elektronische Medien klammern" würden. "Das sind keine guten Voraussetzungen für die intellektuelle Entwicklung", so der deutsche Sozialwissenschafter.

"Frauen verlassen traditionelles Rollenbild"

Laut Hurrelmann habe sich in den vergangenen drei Jahrzehnten die Lebensperspektive der beiden Geschlechter deutlich verschoben, wobei die jungen Frauen männliche Bastionen einreißen konnten und die jungen Männer "irritiert" seien und auf der Stelle treten: "Junge Frauen haben das traditionelle Rollenbild verlassen. Sie wollen im Beruf erfolgreich sein und und eine intensive Beziehung zu ihren Partnern und Kinder. Das ist ein sehr ehrgeiziges Vorhaben". Bei jungen Männern erkenne er hingegen mehrheitlich "keine Bereitschaft, sich über die Tradition hinaus zu bewegen": Burschen würden nicht genug ermutigt, raus aus der traditionellen Geschlechterrolle zu kommen, warnte der Bildungsexperte und sprach in diesem Zusammenhang von einem "Rollengefängnis", in dem sie sich befänden.

"Unterschiede in der natürlichen Disposition"

"Wir brauchen eine gezielte Förderung von Buben in den Bereichen, in denen sie ihre Schwächen haben", sagt Hurrelmann, der davon ausgeht, dass es fundamentale Unterschiede in der natürlichen Disposition von Mann und Frau gibt. Männer würden beispielsweise ihre Umwelt "erobern" wollen, während Frauen beispielsweise die besseren Netzwerkerinnen und Kommunikatorinnen seien. "Die jungen Männer müssen ermuntert werden, sich auch um die anderen Bereiche zu kümmern und über ihre eigene Rolle nachzudenken. Hier sei u.a. auch die Tatsache, dass Buben in Betreuungseinrichtungen und der Grundschule nahezu nicht mehr mit Männern in Kontakt kämen, problematisch. Die für eine gesunde Entwicklung notwendigen männlichen Vorbilder würden fehlen. "In den Kollegien muss der Männeranteil schnellstens erhöht werden, und sei es durch Quotierung", so Hurrelmann.

Kritik: "Falsche Generalsierung"

Der Bildungspsychologe Tim Rohrmann konstatiert, dass sich der Bildungserfolg in Richtung Mädchen verschoben hat, dass aber Mädchenförderung hierfür nicht ausschlaggebend ist. Von den Buben generell als Bildungsverlierern zu sprechen, ist laut Tim Rohrmann jedoch eine "falsche Generalisierung". Für einen Teil der Buben treffe das Prädikat wohl zu, das sei allerdings nichts Neues. Der Anteil an Schulversagern und -verweigerern sei unter diesen schon immer höher gewesen, durch die verstärkte Bildungsteilnahme der Mädchen in den vergangenen Jahrzehnten seien diese Defizite lediglich sichtbarer geworden, meinte der Experte im Gespräch mit der APA.

Buben als "Problemgruppe": Zwei Phänomene

Rohrmann sieht zwei Phänomene, aufgrund derer Buben seit einigen Jahren der Stempel "Problemgruppe" aufgedrückt wird: Ein Teil von ihnen gehört tatsächlich zu den Bildungsverlierern, was, wie er hervorhebt, aber nicht mit dem Geschlecht zusammenhänge. Es sei vielmehr erklärbar durch zusätzliche Faktoren wie die Herkunft aus bildungsfernen Milieus oder Migrationshintergrund.

Der zweite Grund ist laut dem Forscher, der an der Uni Innsbruck am Institut für Erziehungswissenschaften an einem Projekt zum Thema "Männer in der pädagogischen Arbeit mit Kindern" arbeitet, die Änderung des Systems: "Die Leistungserwartungen haben sich verändert und tendenziell kommen die Mädchen in bestimmten Schulformen anscheinend besser damit zurecht." Dabei könne auch mitspielen, dass Mädchen aufgrund ihrer typischen Sozialisierung öfter in die Rolle des "braven" Schülers passen. (APA)