Elfriede Lohse-Wächtler wurde am 4. Dezember 1899 in Dresden geboren ...

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... und am 31. Juli 1940 in Pirna ermordet.

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Dirk Blübaum, Rainer Stamm, Ursula Zeller (Hg.):
Elfriede Lohse-Wächtler - 1899-1940
Selbstbildnis "Die Absinth-Trinkerin", 1931.

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"Lissy", 1931

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"Das Vergnügen von St. Pauli", 1930

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Als in Deutschland im Zuge der "Aktion T4", des Massenvernichtungsprogramms "lebensunwerten Lebens" zwischen 1939 und 1945 etwa 250.000 behinderte Menschen von den Nationalsozialisten ausgerottet worden sind, war Elfriede Lohse-Wächtler eine von ihnen. Im Sommer 1940 wurde die Künstlerin in einem als Dusche getarnten Kellerraum der Vernichtungsanstalt Pirna-Sonnenstein in Sachsen vergast.

Obwohl ein Großteil ihrer Werke als "entartete Kunst" zerstört worden ist, konnte von ihrer Familie noch ein beachtlicher Nachlass von über 400 Bildern gerettet werden. Von der Kunstkritik bis zum heutigen Tag als "kunsthistorisch einmalig" gelobt und in eine Reihe mit Oskar Kokoschka, Otto Dix und Egon Schiele gestellt, schwärmte ein Kritiker bereits nach ihrer ersten Ausstellung 1929: "Lohse-Wächtler ragt gegenüber dem heutigen Plätscher-Niveau empor. Sie ist entschieden eine Entdeckung". Ohne diese Einschätzung und die Rettung des großartigen Nachlasses wäre auch sie wie die vielen anonymen Opfer des Naziterrors dem Verschweigen und Vergessen dieser Gräuel ein weiteres Mal zum Opfer gefallen.

Beharrlich den eigenen Weg verfolgt

Geboren als Anna Frieda Wächtler am 4. Dezember 1899 in Löbtau bei Dresden, wächst sie in einem auf Konventionen bedachten Elternhaus auf. Schon in frühen Jahren zeigt sich ihr malerisches Talent, gepaart mit einer gehörigen Portion Eigensinn. Mit beiden Eigenschaften sind die Eltern anscheinend überfordert. Mit fünfzehn beharrt sie darauf, Elfriede genannt zu werden, weil sie Frieda unmöglich fand. Auch den Wunsch ihres Vaters nach einem "weiblichen Beruf" will sie nicht nachkommen. Zähneknirschend fügte sie sich kurzfristig und beginnt eine Ausbildung zur Kostüm- oder Modellschneiderin in der Königlichen Kunstgewerbeschule. Doch schon nach einem Jahr ist ihr klar, mit dem Fach "Mode und weibliche Handarbeiten" nicht glücklich zu werden und sie will ihren eigentlichen Wunsch, Künstlerin zu sein, realisieren. Nach einem Streit mit dem Vater verlässt sie erst sechzehnjährig das elterliche Haus und schreibt sich an der Dresdner Kunstakademie für "angewandte Graphik" ein.

Unterschlupf findet sie bei ihrer Freundin Londa Freiin von Berg, der späteren Ehefrau des Malers Conrad Felixmüller. Durch die beiden kommt sie in Kontakt mit der KünstlerInnenszene der Dresdner Avantgarde. Die Anregungen durch das neue Umfeld wirken sich auch auf ihre Optik aus: sie schneidet ihr langes Haar, trägt Herrenhüte und Männerhosen - und raucht, manchmal sogar Pfeife. Um im Kunstbetrieb ernst genommen zu werden, legt sie sich den Namen "Nikolaus" zu, ihre FreundInnen nennen sie liebevoll "Laus". Ihren Lebensunterhalt verdient sie mit Batikarbeiten.

Die folgenden Jahre verläuft Elfriedes Leben anfänglich glücklich und erfolgreich. Nach der Heirat mit dem Sänger Kurt Lohse im Jahr 1921 übersiedelt das Paar nach Hamburg, wo die Malerin die realen Bilder der Stadt - Prostituierte, Obdachlose, Bettler - in ihren Werken festhält und in Ausstellungen präsentiert. Obwohl die Kritiken ausgezeichnet sind, kann sie von ihrer Kunst nicht leben. Und auch ihr Ehemann grundelt am Existenzminimum herum. Eine schlechte Ausgangslage für Elfriedes Kinderwunsch. Denn obgleich sie mehrmals schwanger wird, fühlt sie sich aufgrund der prekären finanziellen Situation gezwungen, abzutreiben. Ihr Schicksal steht von nun an unter schlechten Sternen.

"Friedrichsberger Köpfe" in der Nervenanstalt

Als ihr Mann fremd geht und im Laufe der Zeit mit dieser Frau drei Kinder zeugt, fällt Elfriede in ein dunkles Loch, zu groß sind die aufreibenden emotionalen und finanziellen Bedingungen. 1929 erleidet sie einen Nervenzusammenbruch mit Symptomen von Verfolgungswahn. Sie wird daraufhin in die Nervenheilanstalt Hamburg- Friedrichsberg eingewiesen, wo sie zwei Monate verbringt. Die Diagnose, die nie überprüft werden sollte: Schizophrenie.

In dieser Anstalt entstehen die berühmten Friedrichsberger Köpfe: Studien von AnstaltsinsassInnen, die ihr bei einer Ausstellung 1929 höchstes Kritikerlob und den künstlerischen Durchbruch brachten. Etliche dieser Bilder wurden jedoch 1937 als "entartete Kunst" vernichtet. Zwei davon finden sich in der Hamburger Kunsthalle. 

Die Stabilisierungsphase nach diesem ersten Anstaltsaufenthalt war nur vorübergehend. Innerlich zerfahren, rastlos arbeitend und von Geldsorgen geplagt, lebt die Künstlerin vorübergehend als Obdachlose im Hamburger Prostituierten-Milieu.

"Ich allein weiß, wer ich bin"

1931 kehrt sie psychisch stark angegriffen ins Elternhaus nach Löbtau/Dresden zurück. "Wenn mir auch die anderen grollen", schreibt Lohse-Wächtler in einem Gedicht, "Ich allein weiß, wer ich bin". Bald folgen heftige Auseinandersetzungen mit dem Vater, der sie 1932 in die nahegelegene Heilanstalt Arnsdorf einweisen lässt. Skizzen und Zeichnungen von zum Tode verurteilten Menschen zeugen vom Schrecken dieser Zeit. Die von Lohse-Wächtler porträtierten Mitpatientinnen teilen ihr Schicksal: Als schizophren oder unheilbar eingestufte Langzeit-Insassinnen, die auf den Todeslisten der Nazis stehen. Schon nach wenigen Wochen in der Psychiatrie bittet sie die Eltern, sie wieder heimzuholen. Doch bis zu ihrer Ermordung 1940 darf sie die Klinik nicht mehr verlassen. In einem Brief klagt sie: "Dies ewige Dicht an Dicht mit dauernd schwatzenden Weibern ist derart nervenzerrüttend und bringt mich immer weiter von Arbeit und Lebensbewusstsein ab."

Endstation Arnsdorf und Pirna

Im Dezember 1935 versetzen NS-Ärzte Elfriede Lohse-Wächtler einen weiteren Schlag, der sie endgültig innerlich zerbrechen lässt: Sie wird, ungeachtet ihrer Proteste und der Eingaben seitens der Familie, zwangssterilisiert. Außer dem Bild einer gekreuzigten Frau, das als verschollen gilt, hat sie nach der entwürdigenden Sterilisation nur noch Postkarten verziert.

Als sich im Sommer 1940 die Eltern endlich entschließen, ihre Tochter für einige Zeit aus der Anstalt zu nehmen, ist es zu spät. Elfriede Lohse-Wächtler war in die Mühlen der Bürokratie geraten und stand bereits auf der Todesliste der "Lebensunwerten".

Am 31. Juli 1940 wird sie nach Pirna-Sonnenstein gebracht, eine der sechs großen deutschen Vernichtungsstätten, und noch am selben Tag gemeinsam mit zwanzig weiteren Frauen mit CO-Gas ermordet. Den Eltern wird Wochen später brieflich mitgeteilt, ihre Tochter sei von Pirna nach Brandenburg a.d.Havel verlegt worden und dort "trotz aller Bemühungen der Ärzte, die Patientin am Leben zu erhalten an einer Lungenentzündung mit Herzmuskelschwäche" gestorben.

Opfer der Menschenverachtung

Die Biografin Hedwig Kaster-Bieker klagt an: "An welcher Krankheit litt Elfriede Lohse-Wächtler? Was rechtfertigte ihr Weggesperrtwerden? In Hamburg hatte man in Ermangelung genauerer Diagnose-Verfahren einen "Schizophrenie"-Verdacht geäußert, bzw. eine "transitorische Psychose einer Instabilen" vermutet. In Arnsdorf 1932 wurde "Schizophrenie" in die Krankenakten eingetragen und dieser Befund später nicht mehr überprüft. Heute würde man wohl eine andere Diagnose stellen: gelegentlicher Verfolgungswahn, Reizbarkeit, Arbeitswut, Überlastung, Burn-out-Syndrom, verstärkt durch schlechte Ernährung. Noch aus ihrem letzten Lebensjahr belegen Briefe die völlige geistige Klarheit der Künstlerin".
(Dagmar Buchta/dieStandard.at, 29.07.2010)