Die Intervention in der Secession war ein Teil der Arbeit "Iron Mask, White Torture" von Marissa Lôbo.

Foto: Secession Where do we go from here

In der Wiener Secession nahmen die neun Frauen Platz und lasen Texte von Schwarzen Theoretikerinnen zu Kolonialismus, Rassismus und Sexismus.

Foto: Secession Where do we go from here

Eine Intervention bei der Eröffnung der Ausstellung "where do we go from here?" am 1. Juli beschäftige sich weniger damit, wo es noch hingehen soll, sondern mit Rassismus im hier und jetzt, so viel stand für die Aktivistinnen und Künstlerinnen fest. In der Wiener Secession nahmen die neun Frauen Platz und lasen Texte von Schwarzen Theoretikerinnen wie bell hooks, Grada Kilomba, Patricia Hill Collins, Araba Evelyn Johnston-Arthur, Belinda Kazeem, Claudia Unterweger, Njideka Sthepanie Iroh oder Grace Latigo zu Kolonialismus, Rassismus und Sexismus - Texte, die im weißen Kanon keinen Platz finden. "Die Gesichter während der Intervention haben schon viel gesagt, von Erschrockenheit bis 'was erlauben die sich überhaupt'", berichtete die Aktivistin Alessandra Klimpel beim Gespräch mit dieStandard.at.

Ikone des Widerstandes gegen Sklaverei

Die in Lateinamerika vielerorts als Ikone verehrte Anastácia stand den Frauen für ihre Intervention Patin. Anastácia war eine Sklavin in Brasilien, die sich im 18. Jahrhundert einer Widerstandsbewegung geflüchteter versklavter AfrikanerInnen, der Quilombola, anschloss. Mit einer eisernen Maske wollten ihre sogenannten BesitzerInnen sie zum Schweigen bringen. Die Bestrafung mit der Eisenmaske galt aber nicht nur der Vergeltung für den politischen Widerstand, sondern auch für den Widerstand gegen die sexuelle Ausbeutung durch den "Master". Die blauen Augen von Anastácia legen über die sexuelle Ausbeutung Zeugnis ab.

Das Begehren nach den blauen Augen ist ein Effekt des verinnerlichten Rassismus, den der Kolonialismus herstellt und der sich als Trauma im Unbewussten des Schwarzen Subjekts festsetzt, so eine der Performerinnen, Marissa Lôbo. Der Traum von den blauen Augen vernebelt den Blick auf die Schwarze Identität. Die auffälligen "Bluest Eyes" der Anastácia erzählen von diesem verzerrten Begehren, aber auch von der symbolischen und sexuellen Gewalt durch den weißen Kolonialherren. Dieser eignet sich den Schwarzen Körper an, instrumentalisiert ihn zum exotischen Objekt der Begierde, für die die hypersexualisierte Schwarze Frau herhalten muss. Den Widerstand gegen die Gewalt bezahlt Anastácia mit der Folter durch die metallene Maske, die ihre Augen freilässt, in deren Blau sich Begehren spiegelt, das von Rassismus durchdrungen ist, so Marissa Lôbo. Die Intervention in der Secession war ein Teil ihrer Arbeit "Iron Mask, White Torture", eine Installation, die sich mit dem Bild und der Geschichte von Anastácia auseinandersetzt und die Ikone in eine Genealogie des Widerstands durch das Black Movement stellt. (Zu sehen ist "Iron Mask, White Torture" in der aktuellen Ausstellung "Where do we go from here" in der Secession)

Die Geschichte des Rassismus ist nicht vorbei

Rassismus und Sexismus ist allerdings alles andere als Geschichte, sind sich die Aktivistinnen einig. "Die eiserne Maske Anastácias hat sehr viel mit der Struktur des Sadismus der Kolonialherren zu tun. Wir erleben aber heute noch immer die gleichen Aspekte von Sadismus, Sexismus, Rassismus. Wir wollten eine Verbindung mit dieser Vergangenheit und mit der Kolonialgeschichte herstellen und fragen: Wie geht es weiter? Wer darf sprechen? Wer darf nicht sprechen? Wer hat Zugang zur Wissensproduktion?", so Alessandra Klimpel. Mit diesen Fragen sind Schwarze Frauen, die gegen die "white supremacy" ankämpfen, andauernd konfrontiert.

Eine notorisch verhängte Sprachlosigkeit und das Leben in einer von strukturellem Rassismus geprägten Gesellschaft war für alle Frauen ein wesentlicher Grund, an der Intervention teilzunehmen. "Die Leute, die auf eine Vernissage kommen erwarten sich Unterhaltung. Für uns war das eine Besetzung, das Publikum muss uns zuhören und wird nicht unterhalten", beschrieb einer der Aktivistinnen die Situation.

Keine Erfahrungen, dafür Privilegien

Auch wenn das Kunstfeld gemeinhin als offen und progressiv gilt, ist es keinesfalls frei von Rassismen. Auch wenn man sich in diesem Kontext durchaus mit Rassismus beschäftigt, mit den eigenen, unbewusst und unsichtbar gemachten Privilegien des Weißseins, setzt man sich selten auseinander. "Künstlerisch zu Rassismus zu arbeiten, bedeutet noch lange nicht, die gleichen Schwierigkeiten zu haben - und auch nicht die gleichen Privilegien", Solidarität sei somit nicht genug, genau deshalb erachten die Aktivistinnen Raumbesetzungen wie die in der Secession als so wichtig. "Um nicht nur im Museum nicht mehr als Objekt vorzukommen, sondern als handlungsfähiges und sprachmächtiges Subjekt", so Sheri Avraham.

Am Ende applaudiert das Publikum. "Warum klatscht ihr", fragten die Performerinnen. "Es gibt nichts zu applaudieren", stellte die Aktivistin Grace Latigo fest. (beaha, dieStandard.at, 19.7.2010)