Isolde Feiwikl ist längst in Pension, aber in der Neulengbacher Gartenanlage, in der sie ihren Sommer verbringt, geht es oft um die alten Zeiten: "Irgendjemand redet immer über die Tramway."

Foto: Andy Urban

Eine Straßenbahnfahrerin Mitte der 1970er: Eine Handvoll Frauen verunsicherte die männlichen Kollegen.

Foto: Wiener Linien GmbH und Co KG

Wien - "Na gnä' Frau, auch schon ausgeschlafen?" So will man am Beginn seiner Ausbildung wahrlich nicht begrüßt werden. Isolde Feiwikl hatte "vor lauter Nervosität" verschlafen, an jenem Tag im Jahr 1972, an dem sie sich zum ersten Mal an die Kurbel einer Straßenbahn setzen sollte. Sie gehört zu den Pionierinnen: Im Juli jährt es sich zum 40. Mal, dass die Wiener Linien - die damals noch Verkehrsbetriebe hießen - Frauen ans Steuer ihrer Öffis ließen.

Frau Feiwikl war Schaffnerin und verdiente 5000 Schilling, als man sie eines Tages ins Büro holte und fragte, ob sie nicht selbst mit der Tramway fahren wolle. Sie wollte: "Ich hab mir gedacht: Was ein Mann kann, das kann ich auch." Die Männer bei den Verkehrsbetrieben waren anderer Ansicht: "Vor allem die älteren Kollegen konnten das nicht mit ansehen."

Schikanen gehörten zum Alltag, etwa als Frau Feiwikl bat, sich den Rock ihrer fast knöchellangen Uniform abschneiden zu dürfen. Ein paar Zentimeter hatte man ihr genehmigt, sie fand es immer noch furchtbar unbequem. "Also bin ich heimgegangen und hab den Rock nochmal abgeschnitten", erzählt die nunmehrige Pensionistin lachend. "Niemand hat sich beschwert."

Dass Frauen physisch und psychisch überhaupt in der Lage sind, eine Straßenbahn zu steuern, wurde zuvor offiziell bescheinigt. Am 17. September 1969 schrieb die Austria Presse Agentur über eine deutsche Studie, die "auch für die Wiener Stadtverwaltung wertvoll" sei. 1940 war es verboten worden, Frauen "an der Kurbel" zu beschäftigen, mit der Begründung, die Arbeitsbedingungen seien gesundheitsgefährdend. Die technische Entwicklung habe dies inzwischen "illusorisch" gemacht, es müsse aber überprüft werden, "ob das Beschäftigungsverbot nicht aus anderen Gründen, etwa wegen der hohen nervlichen Belastung und besonders starken Konzentrationsanforderungen gerechtfertigt sei".

Die Wissenschafter in Düsseldorf kamen zu einem erstaunlichen Ergebnis: "Überraschenderweise" zeigte sich bei Frauen "eine bessere Anpassungsfähigkeit als beim männlichen Fahrpersonal". Zwar wurde die "relative Unfähigkeit der Frau zur Orientierung im hinter ihr gelegenen Verkehrsraum" konstatiert, doch auch die Männer hatten ihre Macken: "Das relative Unvermögen zur Vorsicht und zum vorausschauenden Beobachten" sei ein "typisch männlicher Verhaltensfehler".

Vom Instruktor zum Mann

Im Mai 1970 ließ das Bundesministerium für Verkehr und verstaatlichte Unternehmungen schließlich Frauen als Straßenbahnfahrerinnen zu. Einige Lehrfahrer weigerten sich aber, Frauen auszubilden, also mussten die Verkehrsbetriebe sogenannte Instruktoren aus der Zentrale ausschicken. Ein Glück für Frau Feiwikl, wie sich herausstellen sollte: Einer dieser Instruktoren wurde später ihr Mann. Auch ihre Freunde, mit denen sie den Sommer in einer Gartenanlage bei Neulengbach verbringt, sind "Tramwayer" - zu erkennen an dem Schild an der Gartentür mit der Nummer jener Straßenbahn, die sie jahrelang gesteuert haben.

Der 49er war's bei Frau Feiwikl. Fahren möchte sie bei dem heutigen Verkehr nicht mehr, früher sei es außerdem deutlich familiärer zugegangen, allein schon deshalb, weil in jeder Straßenbahn ein Fahrer und drei Schaffner ihren Dienst versahen. In Neulengbach geht es oft um die guten alten Zeiten; das lasse sich ja gar nicht vermeiden, sagt Frau Feiwikl: "Irgendjemand redet immer über die Tramway." (Andrea Heigl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.7.2010)