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Soll bei Ehescheidung weiterhin nur die Mutter darüber befinden dürfen, ob der Umgang mit dem Vater dem Wohl des Kindes dient oder nicht?

Foto: Reuters/TOBY MELVILLE

Männer- und Geschlechterforscher Erich Lehner sagt im dieStandard.at-Interview vom 23. 8., er sei "gegen die automatische gemeinsame Obsorge, sie würde nicht die Realität der österreichischen Familie widerspiegeln." Dazu ist zunächst einmal zu sagen: Aber sie würde das unbestrittene Recht der - ehelichen wie unehelichen - Kinder auf beide Eltern widerspiegeln. Und sie würde nachweislich auch deeskalierend wirken. Außerdem haben Gesetze nicht nur den Sinn und Zweck, Realität widerzuspiegeln oder sich Veränderungen einer Realität reaktiv anzupassen. Gesetze haben auch eine bewusstseinsschaffende Funktion, wie man von unterschiedlichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen her weiß. Frankreich ist ein gutes Beispiel dafür:

"Mit der Kindschaftsrechtsreform hat Frankreich im Jahr 2002 die Kindesinteressen u. a. mit dem Prinzip fokussiert, dass die Trennung oder Scheidung nicht zum Zerbrechen der Beziehung zwischen Eltern und Kindern führen darf. Vater und Mutter müssen mit dem Kind persönliche Beziehungen aufrechterhalten und dessen Bindung an den anderen Elternteil respektieren. Auch enthält das geltende französische Strafrecht Bestimmungen zum Schutz und zur Durchsetzung des Sorge- und Besuchsrechts. So kann zum Beispiel das Nichteinhalten einer Besuchsregelung mit bis zu einem Jahr Gefängnis und 15.000 Euro Geldstrafe verfolgt werden. Diese gesetzlich verankerten Sanktionen tragen wesentlich zur Entwicklung und Stärkung des gesellschaftlichen Unrechtsempfindens bei. Die Entfremdung eines Kindes von einem Elternteil wird in Frankreich gesellschaftlich geächtet."

So weit eine Erkenntnis von Max Peter, Familienmediator, und Franziska Gabaglio, Psychologin (beide Schweiz). Wobei auch klar ist, dass nicht allein die scharfen Sanktionen bei Besuchsrechtsverletzung diese Ächtung bewusster Entfremdung herbeigeführt haben konnten, sondern das ganze dahinterstehende System der gesetzlichen gemeinsamen Obsorge.

Doch was wird stattdessen hierzulande orakelt? Es wird, vor allem von SPÖ-nahen Frauen, bewusst suggeriert, automatische gemeinsame Obsorge bedeute eine unabänderliche staatliche Zwangsbeglückung, die auf das Kindeswohl keinerlei Bedacht mehr nehmen würde. Dabei weiß zum Beispiel auch Frauenministerin Heinisch-Hosek ganz genau, dass dies nirgendwo so dogmatisch praktiziert wird und werden muss, nicht in Frankreich und nicht in Skandinavien. Überall kann das Gericht die elterliche Sorge auch nur einem Elternteil zuweisen, wenn das "Wohl des Kindes" dies verlangt. Nur ist es halt - Gott sei Dank - nicht überall so wie in Österreich, dass letztlich allein die Gnade der Kindesmutter darüber entscheidet, ob der Umgang mit dem Vater zum Wohl des Kindes ist oder nicht. Anderswo sind dafür eher objektive Kriterien ausschlaggebend.

Um eine gesetzliche gemeinsame Obsorge als unnötig hinzustellen, wird alternativ auch gern eine Verbesserung des Schlichtungswesens propagiert. Doch auch das kann unter den gegebenen rechtlichen Bedingungen allein nicht zielführend sein, denn: Eine außergerichtliche Schlichtungskultur hat nur dann eine Chance, sich zu entwickeln, wenn die Justiz beide Elternteile gleichberechtigt behandelt. Andernfalls wird stets jene Konfliktpartei, die sich rechtlich am längeren Hebel sieht, weniger bis gar nicht bereit sein, sich auf einen fairen Kommunikations- und Einigungsprozess einzulassen. Ohne rechtliches Ausbalancieren in Form einer gesetzlichen gemeinsamen Obsorge wird also auch die Idee mit der Schlichtungsstelle nicht funktionieren. (Hansjörg Preims*, DER STANDARD/Printausgabe 25.8.2010)