Elisabeth Badinter: Der Konflikt. Die Frau und die Mutter. C. H. Beck 2010, 17,90 Euro.

Foto: C.H. Beck

Das neue Buch der Philosophie-Professorin Elisabeth Badinter liegt seit kurzem auch auf Deutsch vor. Mit "Der Konflikt. Die Frau und die Mutter" entfachte sie in Frankreich eine Diskussion um wachsende Ansprüche an die Mutterschaft, die Frauen immer mehr abzuverlangen drohe. Die Feministin spricht für Französinnen in ihrem Buch die Warnung aus, sich nicht von einem Mutterbild vereinnahmen zu lassen, in dem persönliche Interessen, soziale Beziehungen und der Beruf erst lange nach der Nummer eins, dem Kind, kommen dürfen.

Eine Warnung, die allerdings für Frauen aus anderen Ländern zu spät kommt, das will Badinter an den unterschiedlichen Geburtenraten erkennen. Deutschland und Österreich schwächeln etwa gegenüber Frankreich in Sachen Kinder pro Frau. Während in Frankreich 2009 auf jede Frau zwei Kinder kamen, waren es in Österreich nur 1,4 und in Deutschland 1,3. Dass FranzösInnen wenig dabei finden, Kinder früh in Krippen zu geben, und sich auch nicht zu jahrelangem Stillen verdonnern lassen, ist für Badinter ein Grund für diese Diskrepanz. Das französische Modell der "Teilzeitmutter" sieht die Theoretikerin nun aber in Gefahr. Warum und welche Entwicklungen dafür verantwortlich sein könnten, versucht sie in "Der Konflikt" zu analysieren.

Biologismus durch die Natur-Hintertür

Badinter hebt besonders eine immer stärker werdende gesellschaftliche Haltung hervor, die ein "Zurück zur Natur" fordert. Diese Renaissance eines Naturalismus, ein Lauschen auf vermeintliche Naturgesetze, haben laut Badinter ökologische und ökonomische Krisen eingeleitet. Angesichts der Willkür des Marktes würden viele die Gelegenheit nutzen, sich von einer solchen Arbeitswelt zu verabschieden.

Wenn die Lohnarbeit Frauen weder sozialen Status noch finanzielle Freiheit biete, warum sollte frau sich nicht in die angesehene Mutterrolle stürzen, um so doch noch durch "Betreuung und Erziehung ihrer Kinder ihr Meisterwerk" zu erschaffen, fragt Badinter. Neben den unsicheren Verhältnissen am Arbeitsmarkt sieht sie einen weiteren Grund dafür, dass für immer mehr Frauen ein Dasein als Durchschnittsmutter inakzeptabel ist: Sie sind die Töchter von zwischen Beruf und Familie hin und her "gehetzten Müttern" und daher besonders empfänglich für die neue alte Losung "Kinder zuerst!".

Die Annahme, dass ein Kinderwunsch nur natürlich und weniger eine Reaktion auf ökonomische und gesellschaftspolitische Umstände ist, hält sich nach wie vor wacker. Während man sich zwar weitgehend einig darin sei, nicht mehr von biologischer Bestimmung zu sprechen, bahnt sich laut Badinter der Biologismus über die "Natur" doch wieder einen Weg: Sie ist zu einer "kaum angreifbaren ethischen Bezugsgröße" geworden.

Kritik an Stillaktivistinnen

La Leche League ist eine Bewegung, zu deren Hauptgeschäft das "Natürliche" gehört und die Badinter als wichtige Wegbereiterin des neuen Naturalismus vorstellt. Dass Badinter diese Vereinigung von Frauen, die seit den 50er Jahren Stillen für alle verordnet, besonders in den Fokus nimmt, liefert die Grundlage für eine kleine Verschwörungstheorie: Die Philosophin ist auch Aufsichtsratsvorsitzende der weltweit viertgrößten Kommunikationsagentur Publicis, die ihr Vater gründete. Nestlé ist ein nicht gerade kleiner Kunde von Publicis, und so könnte Badinders Kritik an den Stillaktivistinnen von La Leche League als Lobbyarbeit für die Babynahrungsindustrie ausgelegt werden. Ob es der aus äußerst wohlhabenden Verhältnissen stammenden Professorin der Eliteuniversität École Polytechnique tatsächlich darum geht, ist zu bezweifeln, denn von finanziellen Zwängen durfte sich Badinter zeit ihres Lebens befreit wissen.

Fakt ist aber, dass Badinter nichts Gutes über La Leche League zu berichten weiß. Die von Katholikinnen gegründete Gruppe habe ihren Anspruch, Rat "von Frau zu Frau" fürs Stillen zu bieten, in einen erbarmungslosen Stillzwang umgewandelt. Und da sich Vereinigungen mit katholischem Hintergrund religionsbedingt besonders gut mit Schuldgefühlen auskennen würden, sei La Leche League vom "Recht auf das Stillen" zunehmend zum "Stillen als moralischer Pflicht" übergegangen.

Badinter zeichnet den stärker werdenden Einfluss von La Leche League auf politische und institutionelle Bereiche nach. Dazu kam in den 80er Jahren der ökologische Diskurs, der auf Schadstoffe und Chemie durch Plastikfläschchen, Verpackungen oder das Milchpulver selbst verwies. Ergebnis dieser Entwicklungen: Nur eine stillende Mutter ist eine gute Mutter. Das gilt natürlich noch immer oder sogar mehr denn je, obwohl Milchersatznahrung inzwischen von sehr guter Qualität ist. Und so resümiert Badinter: Dass der Verzicht auf das Stillen auch Vorteile haben könne, wie eine gerechtere Aufgabenverteilung zwischen den Eltern von Anfang an und mehr Bewegungsfreiheit für Mütter, dürfe nur hinter vorgehaltener Hand gesagt werden. Auch werde den Frauen eine enorme Charakterstärke abverlangt, um sich frei für oder gegen das Stillen zu entscheiden - unabhängig von den drängenden Empfehlungen von Hebammen, MedizinerInnen oder anderen Müttern.

Ganz oder gar nicht

Dass es sich Mütter zunehmend nicht mehr leisten dürfen, nur kurz oder gar nicht zu stillen oder gar Babynahrung aus dem Supermarkt dem selbst gekochten Biobrei vorzuziehen, bedeute schließlich für Frauen, die sich die Kinder-Frage stellen: ganz oder gar nicht. Frauen können sich seit den 60ern durch Verhütung und zunehmende Unabhängigkeit von traditionellen Lebensweisen frei entscheiden, wann und ob sie Kinder bekommen (obwohl Badinter nicht vergisst zu erwähnen, dass freiwillige Kinderlosigkeit bei Frauen noch immer oft unter "sehr suspekt" verbucht wird). Genau darin liegt für Badinter aber die Krux, denn wenn es eine freie Entscheidung war, muss frau sich auch mit Haut und Haar dieser Entscheidung hingeben. Badinter kritisiert, dass sämtliche Ambivalenzen einer Mutterschaft so mehr und mehr verschwinden oder zumindest nicht mehr offen ausgesprochen werden. So zieht sie den Schluss, dass die unterschiedlichen Geburtenraten einzelner Länder direkt mit den dort herrschenden Mutterbildern in Verbindung stehen. Je traditioneller und naturalistischer das Mutterbild, desto eher entscheiden sich Frauen - vor allem aus bildungsnahen Schichten -, sich dieser Bürde nicht auszusetzen.

Neben einer Familienpolitik, die sich für die Gleichberechtigung der Geschlechter starkmacht, ist die Entwicklung des Mutterbildes für Badinter der maßgebliche Entscheidungsfaktor für oder gegen Kinder. Wird es den Frauen erlaubt sein, ihre persönliche Freiheit zu wahren und Entscheidungen zu treffen, ohne dass manche dieser Entscheidungen als die moralisch unterlegeneren verurteilt werden?

Weder kinderfeindlich noch von gestern

Kinderfeindlich seien die Positionen, die Elisabeth Badinter in "Der Konflikt" vertritt, so der Tenor einiger Reaktionen auf ihr Buch. Auch würde sie mit ihrem Buch einen Feminismus vertreten, der sich längst selbst überholt hat. Diese Positionen übersehen aber, dass der Anspruch an Kinderbetreuung stetig steigt, und da aus der Einbindung der Väter in die Kinderbetreuung und Hausarbeit noch nicht viel geworden ist, müssen noch immer Frauen diesen Anforderungen gerecht werden. Ein Umstand, den Badinter völlig zu Recht thematisiert.

Die Einbindung von Frauen in den Arbeitsmarkt kommt in "Der Konflikt" aber wiederholt als Allheilmittel für die Gleichberechtigung der Geschlechter daher. Ein alles andere als neuer Ansatz, den linke Feministinnen zu Recht als systemerhaltend kritisieren. Dennoch ist Badinters Buch ein enorm wichtiger Beitrag. So wurde etwa noch wenig über die Tragweite der relativ neuen Möglichkeit der freien Entscheidung für oder gegen Kinder diskutiert. Das strenge Urteil darüber, wie frau schließlich mit dieser Entscheidung lebt, trifft nach wie vor Frauen. Und da unsere Gesellschaft keine "Rabenväter" kennt und Badinter sich eben mit dem Mutterbild beschäftigt, ist es auch legitim, die Väter völlig außen vor zu lassen, wie sie es in ihrem Buch tut.

Sie versucht auch nicht, Frauen vom Stillen abzuhalten oder sie von ihren Kindern wegzulocken, wie ihr vorgeworfen wurde. Vielmehr verfolgt sie eine Frage, die eine zutiefst feministische ist: Wie steht es um die Autonomie von Frauen, die auch Mütter sind? (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 19.9.2010)