"Frida Kahlo - Retrospektive"  ist noch bis 5. Dezember 2010 im Bank Austria Kunstforum in Wien zu sehen.

Foto: Bank Austria Kunstforum, Wien

Bei Frauen war es immer schon gerne so, dass ihre Biografie oder das, was man davon zu wissen glaubte, wichtiger war als ihre Werke - sofern es überhaupt eine Beschäftigung mit ihnen gab. Dabei ist es egal, ob es sich um eine Bildende Künstlerin, eine Schriftstellerin oder eine Musikerin handelt. Stets ist es die Lebensgeschichte, die die Aufmerksamkeit der RezipientInnen erfährt - sofern sie spektakulär genug ist, versteht sich, und sofern es möglichst einen „wirklich" berühmten Mann in ihrer Umgebung gibt. Auf den kann man sich dann im Zweifelsfall berufen und damit die Auseinandersetzung mit dieser Frau rechtfertigen.

Eines der größten Dilemmata des Feminismus war es denn auch, die Biografie in den Vordergrund zu stellen, um die Leistungen der Frauen aufzuwerten. Dass dies keineswegs zu einer gleichberechtigten Sicht der Geschlechter führen kann, ist mittlerweile durchaus common sense der Kulturwissenschaften. Sogar die gegen Kritik eigentlich bemerkenswert immune Biografik führt nun Selbstkritik im Programm. Die lebensweltliche Praxis allerdings, die um Absatz und BesucherInnenzahlen bemüht ist, steht dieser Einsicht fast bewundernswert resistent gegenüber.

Pikante Details

Die Wiener Frida Kahlo-Ausstellung ist in dieser Hinsicht ein mehr als eindrückliches Beispiel und entsetzt. Ein wenig - so scheint es auf den ersten Blick - hat man da ein Argumentationsproblem, denn freilich steht (und zwar gerade bei Kahlo) das Argument der Selbstinszenierung im Raum, einer Demonstration des Leides, das sozusagen durch ihre Urheberschaft legitimiert wird. Der biografische Blick auf das Werk scheint damit allemal gerechtfertigt, ja sogar auf der Hand zu liegen. Dass die Gemälde und Zeichnungen Kahlos aber auch durchaus aus einer kunsthistorischen Sicht von Interesse sein könnten, ist dabei nur mehr am Rande erwähnenswert: hier ein bisschen Verweis auf den Surrealismus, da ein bisschen Mythologie, sogar ein wenig italienische Renaissance hat sich eingeschlichen. Dafür erfahren die BesucherInnen, dass Kahlo Bild X gemalt habe, nachdem Diego Rivera sie zum soundsovielten Mal betrogen habe und allerlei andere pikante Details. Es ist die perfekte Inszenierung der Frau als Opfer - wohl einer der ältesten und perversesten Topoi der Kulturgeschichte der Geschlechter, der die Frau eben zum Opfer und den Mann folglich zum Täter macht. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass Kahlos Beziehung zu Rivera der rote Faden der Ausstellung ist.

Mittel der Diskriminierung

Von dem grundsätzlichen Missverständnis, dass die Biografie irgendeiner Person überhaupt ergründbar sei, dass es Authentizität gebe, ist dabei noch nicht einmal gesprochen: Aus der Retrospektive wird in Bezug auf Kahlo ein einheitliches Bild aufgedrängt, wird einem suggeriert, dass man alles über sie wisse, wisse, wer sie gewesen sei. Lückenlos forciert diese Ausstellung genau dieses leicht konsumierbare Konstrukt und berechtigt tatsächlich auch im 21. Jahrhundert noch immer dazu, bisweilen vertraulich von "Frida" zu schreiben. Der Nachname nämlich - und auch dies ist wissenschaftlich bereits längst aufgearbeitet - steht für Eigenständigkeit, Relevanz, Geltung. Deswegen ist das Unterschlagen des Nachnamens immer ein hervorragendes Mittel der Diskriminierung.

"Ja, das ist sie wirklich"

Die Selbstbildnisse Kahlos werden somit perfekt als Zeugnisse ihres Leides, ihres vermeintlichen Selbstverständnisses inszeniert. Es wird so getan, als wisse man alles über sie und zeige sie - quasi eh fast körperlich präsent. Und weil es ja nicht eigentlich um ihre Werke, sondern insgeheim eben um ihre Person geht, ist ein großer Teil der Ausstellung den Fotografien von Kahlo gewidmet. Diese Fotos werden mit dem Hinweis versehen, dass Kahlo sich gerne inszeniert habe, diese Bilder also aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten seien als ihre Selbstbildnisse, quasi distanzierter. Interessant. Das Medium der Fotografie ist üblicherweise eines, das gerne als authentisch, mit dokumentarischem Wert ausgegeben wird, wohingegen die Malerei traditionell doch eher als fiktiv verstanden wird. Selbstbildnisse sind hier freilich allemal ein Sonderfall. Doch im Fall Kahlos scheint diesen Porträts so viel Authentizität zugesprochen zu werden, dass die Fotografien geradezu abloosen. Die BetrachterInnen befinden sich also in einem Dilemma. Da wurde die Frida Kahlo der Selbstbildnisse als Opfer per se interpretiert und nun steht man vor den Fotos, deren Kahlo ganz selbstbewusst verstanden wird. Da sind doch die Gemälde eigentlich Kunst und die Fotos doch Dokumentation. Zum Glück, muss man also sagen, gibt es diesen Medienwechsel und der sorgt wenigstens für ein bisschen Irritation. So war ich am Ende zumindest in Ansätzen erleichtert, weil ich angesichts dieser Diskrepanz Zeugin eines Mutter-Sohn-Gesprächs wurde: Staunend vor den Fotos stehend, fragte der Junge: "Ist sie das jetzt?", woraufhin die Mutter nach kurzem Überlegen antwortete: "Ja, das ist sie wirklich." Wenn schon Biografie, dann besser eine selbstbewusste als eine hingeopferte. (Marina Rauchenbacher*, dieStandard.at, 29.9.2010)