Doris Täubel-Weinreich, Vorsitzende der FamilienrichterInnen.

Foto: privat

Elisabeth Wöran von der Österreichischen Plattform für Alleinerziehende.

Foto: privat

+++ PRO: Doris Täubel-Weinreich

Automatische gemeinsame Obsorge – ein Schritt zu mehr Elternbewusstsein

Gesetzliche Regelungen über die Obsorge waren immer schon ein Abbild der gesellschaftlichen Realität. Noch vor gar nicht langer Zeit bis 1979 wurde ledigen Müttern nicht zugetraut, die Obsorge für ihre Kinder zu übernehmen, damals war per Gesetz der Jugendwohlfahrtsträger mit der Obsorge betraut. Als 2001 dann die Möglichkeit der Obsorge beider Elternteile gesetzlich verankert wurde, meinten manche, Chaos und eine Flut von Anträgen auf alleinige Obsorge würden folgen. Die einzige österreichische Studie von Barth-Richtarz/Figdor kam 2008 jedoch zu dem Schluss, dass die Obsorge beider Elternteile tendenziell eine positive Auswirkung auf die Eltern hat und sich das Gesprächsklima zwischen den Elternteilen eher verbessert.

Der Idee der Ministerin Bandion-Ortner nun überhaupt eine automatische gemeinsame Obsorge für alle Scheidungspaare einzuführen kann daher durchaus positives abgewonnen werden, denn nach der derzeitigen Rechtslage kann genauso gut die alleinige Obsorge nach der Scheidung vereinbart werden. Die Betonung, dass die Obsorge nach der Trennung weiterhin Mama und Papa zustehen soll, wäre ein weiterer Schritt zu einem mehr Miteinander nach der Trennung. Es besteht die Hoffnung, dass dadurch die Bedeutung der Elternschaft nach der Trennung betont wird und die Kinder in dem Bewusstsein aufwachsen, dass Papa und Mama trotz Trennung ihnen weiter zur Verfügung stehen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass der Kontakt zum anderen leiblichen Elternteil für die Entwicklung des Kindes eine große Bedeutung spielt. In vielen europäischen Ländern ist die automatische gemeinsame Obsorge längst Realität und wird als wichtiges Instrument angesehen, dass beide Elternteile weiterhin ihre Elternrolle bewusst wahrnehmen. Natürlich muss es auch im System der automatischen gemeinsamen Obsorge die Möglichkeit geben die alleinige Obsorge zu beantragen, dies sollte aber nur "aus wichtigem Grund" möglich sein, denn derzeit reicht ein unbegründeter Antrag aus und das Gericht muss eine Obsorgeentscheidung treffen.

Der Erfolg der Reform des Kindschaftsrechtes wird aber zu einem großen Teil davon abhängen, inwieweit es gelingt (auch) durch gesetzliche Maßnahmen zu gewährleisten, dass der Kontakt zum anderen Elternteil nicht abreißt. Denn auch mit automatischer gemeinsamer Obsorge ist nicht gewährleistet, dass der Elternteil, bei dem sich das Kind nicht hauptsächlich aufhält, das Kind tatsächlich regelmäßig sieht. Hier muss man einerseits an die Gruppe von Vätern denken, die sich nach der Scheidung zunächst einmal gar nicht um ihr Kind kümmern, z.B. um sich wieder eine neue Existenz aufzubauen. Für die Kinder ein absolut untragbarer Zustand, denn gerade in der ersten Zeit nach der Trennung soll den Kindern das Bewusstsein vermittelt werden, dass es weiterhin beide Elternteile sieht! Andererseits gibt es natürlich auch Mütter die den Besuchsplänen des Expartners nicht positiv gegenüber stehen – eine Haltung, die die Kinder dann oft unbewusst übernehmen. Die Ablehnung des anderen Elternteiles, die oft nicht näher begründet werden kann ( z.B. er war nicht nett zu uns) hat auf die Entwicklung des Kindes negative Auswirkungen, denn das Kind lehnt unbewusst einen Teil von sich selbst ab. Aus welchen Gründen auch immer der regelmäßige Kontakt nicht stattfindet (traumatische Trennung, kein/ wenig Interesse am Kind während aufrechter Partnerschaft, wenig Vertrauen, dass der andere die Betreuung auch tatsächlich schafft), diese große Zahl an Besuchsrechtsfällen muss eingedämmt werden. Hier sieht man im europäischen Vergleich ganz deutlich, dass unser Besuchsrechtsproblem in anderen Ländern kaum existiert, denn dort hat sich in der Zwischenzeit schon herumgesprochen, dass regelmäßige Kontakte für alle Beteiligten äußerst positiv sind. Für den Elternteil, bei dem sich das Kind nicht hauptsächlich aufhält, weil dieser an der Entwicklung des Kindes teilhaben kann; für den Hauptbetreuenden, weil dieser einmal ein Wochenende ausschließlich nach seinen eigenen Bedürfnissen gestalten kann und – und das ist das Wichtigste – für die Kinder, die die Mama- und Papawelt erleben können und keine Fantasien über den anderen Elternteil entwickeln müssen. (Doris Täubel-Weinreich, dieStandard.at, 29.9.2010)

--- CONTRA: Elisabeth Wöran

Automatische gemeinsame Obsorge – das Beste für's Kindeswohl?

Vor kurzem sprach mich unser EDV-Administrator an und meinte: "Wenn es bei meiner Scheidung schon die automatische gemeinsame Obsorge gegeben hätte, dann wäre es viel problematischer gewesen, es wäre viel mehr Streit entstanden! So sind wir nach anfänglichen Schwierigkeiten bei einem guten Umgangsrecht gelandet." In der Zwischenzeit sind die Kinder groß und die Vereinbarungen, die getroffen werden konnten, waren zielführend: Guter Kontakt zwischen Vater und Kindern!

Dies zu erreichen dürfte das Ziel der derzeitigen Überlegungen und Diskussionen sein. Doch wie ist das zu erreichen? Und vor allem: Was ist gut für das Kind?

Darüber streiten seit einiger Zeit,... ja wer eigentlich?
Die Befürworter der automatischen gemeinsamen Obsorge, Männer die sich in Väterrechtsbewegungen zusammengeschlossen haben, sehen – verständlicherweise – nur ihren eigenen Fall, die andere Seite – nämlich betroffene Frauen – kommen selber überhaupt nicht zu Wort, weder medial noch in den Fachdiskussionen. ExpertInnen, die direkt mit den betroffenen Familien arbeiten, versuchen sich Gehör zu verschaffen, aber daran ist kaum wer interessiert.

Als Damoklesschwert steht nun die automatische gemeinsame Obsorge nach Scheidung, am besten auch für nicht Verheiratete im Raum. Es wird argumentiert, das dies das Beste für die Kinder ist, weil damit das "Machtvakuum" ausgeglichen ist und Mütter und Väter dann angeblich endlich die gleichen Rechte haben! Also geht es doch um ausgeweitete Macht und Rechte der Väter, aber nicht um die Rechte der Kinder?

Was in der gesamten Diskussion nämlich auch nicht vorkommt, ist die Situation der Kinder, die gerne ihren Vater sehen oder wenigstens kennen lernen möchten, doch dieser will das nicht und sein Recht des Nichtwollens ist stärker als das Recht des Kindes auf Kontakt. Denn: Unwillige Väter kann das Gericht nicht zu einem Besuchskontakt zwingen, das wäre ja kontraproduktiv. Aber der künftig allein erziehende Elternteil, der die gesamte Verantwortung trägt, alle Pflichten erfüllt und den Alltag mit dem Kind lebt, soll gezwungen werden, alle relevanten Entscheidungen im Einvernehmen mit dem Expartner durchzuführen. Und Kinder können sowieso gezwungen werden, sogar zu Besuchkontakten mit gewalttätigen Vätern. Wird hier mit ungleichem Maß gemessen?

Sehr gerne wird auf die deutsche Situation, wo es die automatische gemeinsame Obsorge gibt, verwiesen: Wir wissen aus Deutschland, dass sich die Konflikte verlagern, streitende Paare streiten bei aufgezwungener gemeinsamer Obsorge nicht weniger, sondern die Konflikte verschieben sich auf eine andere Ebene: Nun wird vermehrt um das Besuchsrecht oder den hauptsächlichen Aufenthalt des Kindes bei Gericht gestritten. Gut gemeint (im Sinne des Kindeswohls) ist eben nicht immer gut!

Streitende Eltern nach Scheidung/Trennung brauchen Unterstützung, Kinder brauchen Sicherheit, klare Regelungen und den Schutz des Gesetzgebers.

Regelungen wie die automatische gemeinsame Obsorge für alle gehen eindeutig an diesem Ziel vorbei. (Elisabeth Wöran, dieStandard.at, 29.9.2010)