Die Regisseurin und Drehbuch-Autorin von "Tag und Nacht" Sabine Derflinger will dort hinschauen, wo Machtverhältnisse sind. Diese aufzudecken und darzustellen ist ihr Anspruch.

Foto: Privat/Sabine Derflinger

Die Protagonistinnen des Films: Hanna (links) dargestellt von Magdalena Kronschläger und Lea (rechts) dargestellt von Anna Rot.

Foto: Thimfilm

Ein Escortservice in Wien nimmt neue Mitarbeiterinnen auf. Die Münze entscheidet, ob die beiden Studentinnen und Freundinnen Lea (Anna Rot) und Hanna (Magdalena Kronschläger) ihre ökonomische Not, viel mehr aber ihre Neugierde als Sexarbeiterinnen stillen werden. Der am Freitag in den österreichischen Kinos angelaufene Spielfilm "Tag und Nacht" von Sabine Derflinger (Regie, Drehbuch) und Eva Testor (Drehbuch, Kamera) zeigt Facetten des Alltags von Sexarbeiterinnen. Sabine Derflinger sprach mit Sandra Ernst-Kaiser über Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern, Zerstörung, Klischees, die Finanzierung des Films und Arbeitsbedingungen von filmschaffenden Frauen.

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dieStandard.at: Was hat für Sie den Reiz ausgemacht, sich mit Prostitution und Sexarbeiterinnen zu beschäftigen?

Sabine Derflinger: Prinzipiell ist es für mich reizvoll nachzuschauen, wo Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen verschärft auf den Punkt gebracht werden. Bei Sexarbeit ist das definitiv der Fall. Bei "Tag und Nacht" zeige ich aber lediglich einen Minimalausschnitt aus dieser Branche.

dieStandard.at: Das Prostitutionsmilieu ist nicht leicht zugänglich für Außenstehende. Wie gestaltete sich die Recherche in diesem Feld?

Derflinger: Die Kontakte sind nicht von mir hergestellt worden, sondern von Eva Testor [Drehbuch, Kamera, Anm.]. Sie hat recherchiert und zwei Frauen kennen gelernt, die im Escortservice arbeiteten und sich dadurch ihr Studium finanzieren wollten.

dieStandard.at: In welchem Verhältnis stehen dann Realität und Fiktion im Film?

Derflinger: Die Beziehung zwischen den Frauen entspricht sehr der Realität. Die im Film vorkommenden Freier sind quasi erinnerte Freier. Das heißt, die Realität ist erinnert. Wir haben mit den Frauen, die real im Escortservice gearbeitet haben, die Figuren gemeinsam entwickelt. So sind etwa die Männerfiguren, aber auch die Sexarbeit-Szenen entstanden. Die Sexarbeit-Szenen sind keine Leerstellen, sondern erzählen jedes Mal eine Begegnung zwischen zwei Menschen. Männer stehen hier im Verhältnis zu den zwei Frauenfiguren.

dieStandard.at: Inwiefern?

Derflinger: Wären es andere Frauen-Charaktere gewesen, würden sie möglicherweise anderen Männern begegnen.

dieStandard.at: Das Motiv des Films - Macht - erstreckt sich auf mehreren Ebenen, vor allem auf der Ebene: Wer zahlt, schafft an.

Derflinger: Ja, und damit sind im Spektrum der Sexarbeit die Machtverhältnisse auch ganz eindeutig. Mein Anspruch dabei ist zu beobachten und einen anderen Blick zu generieren. Ich habe natürlich eine Haltung dazu. Prostitution ist ein Geschäft in dem man sehr viel verlieren kann, in dem der Preis sehr hoch ist. Aber ich habe keine Botschaft. Ich bin kein Pfarrer.

dieStandard.at: Also keine moralischen Ansprüche?

Derflinger: Nein, Moral spielt hier keine Rolle. Mein Bestreben ist, Dinge aufzulösen. Etwa die Frage: Wie können Beziehungen in so einem Geflecht ausschauen? Vordergründig geht es um den Austausch von Sexualität. Bei genauerem Hinsehen geht es um menschliche Begegnungen. Und ich glaube, es ist eine Illusion zu glauben, dass man ausschließlich Sexualität austauschen kann.

dieStandard.at: Auch wenn der Film heitere Elemente birgt, sind Zerstörung, Verzweiflung, Traurigkeit bestimmend.

Derflinger: Ja, das empfinde ich auch so. Das war aber gar nicht so gewollt. Das hat sich ergeben. Ich hatte nicht die Erwartung, der Film muss jetzt grausig sein, oder der Film muss schön sein oder befreiend. Wir haben eben diese Figuren entwickelt und mit ihnen die Geschichte zu Ende gedacht. Lea und Hanna schmieden diesen Plan, sind aber unfähig zu kommunizieren und ihre Situation zu reflektieren. Ihre Freundschaft kann sich so nicht weiterentwickeln.

dieStandard.at: Macht spielt auch zwischen Lea und Hanna eine wichtige Rolle.

Derflinger: Das ist auch das Drama dieser Freundschaft. Dieses jemanden Mitziehen, jemanden rein Theatern - schließlich kippt dieses Verhältnis. Lea ist von außen betrachtet die Starke, weil sie aktiv ist. Hanna ist still aber sehr viel radikaler, und sie weiß auch schnell, worauf sie sich eingelassen hat. Wenn man einmal eine Grenze überschritten hat, ist es auch schwierig wieder zurückzugehen.

dieStandard.at: Und Hanna fragt Lea: Sind wir Frauen oder Huren?

Derflinger: Das Frauenbild ist aufgeteilt in die Frau und in die Hure.

dieStandard.at: In einer Filmbesprechung heißt es, in "Tag und Nacht" werden Männer sehr stereotyp dargestellt.

Derflinger: Darüber habe ich gestern sehr lange nachgedacht, weil das ein Vorwurf ist, der immer wieder kommt. Aber es gibt viele Männer die sagen: Genau so sind wir. Viele Männer sind sehr berührt davon, dass im Film Sex und Emotionen gemeinsam verhandelt werden. Manche Männer sind auch sehr berührt über die Darstellung der Bedürftigkeit der Männer, auch von diesem Dilemma, dass sie ihre Bedürfnisse nicht offen leben können.

Natürlich gibt es noch andere erinnerte Männerfiguren. Aber jeder für sich ist für mich kein Klischee, repräsentiert aber eine Grundnotwendigkeit und Facetten. Aus einer Geilheit heraus kommen dann eben Momente, in der Situationen mit Macht besetzt und benutzt werden. In dem von Ihnen angesprochenen Interview auf Ö1 sagte der Kollege auch: Ich möchte einmal einen ganz normalen Mann sehen, der einfach nur Lust hat mit einer Frau zu schlafen und normalen Sex hat. Da frage ich mich: Was ist normaler Sex? Was ist ein ganz normaler Mann, der ganz normale Lust hat zu einer Prostituierten zu gehen?

dieStandard.at: In einer anderen Filmbesprechnung heißt es, die Sexarbeiterinnen-Branche werde durch Ihren Film "schöngefärbt".

Derflinger: Ich mache keine Milieu-Studie mit meinen Filmen. Filmkritiker glauben oft, dass Filme nach Themen abgegriffen werden. Im Endeffekt habe ich eine Geschichte erzählt. Der Ausschluss einer Realität scheint zu implizieren, dass es keine andere Realität gibt. Sexarbeit kann auch ganz anders ausschauen. Aber harmlos, oder "schöngefärbt" finde ich "Tag und Nacht" nicht.

dieStandard.at: Sexarbeit ist ein pikantes gesellschaftspolitisches Terrain. Mit welchen Vorbehalten waren Sie konfrontiert, als es um die Finanzierung des Films "Tag und Nacht" ging?

Derflinger: Es war schwierig. Die Fragen, die jetzt in der Verwertung im Raum stehen, standen auch vor der Produktion. Als es um die Frage der Aussage des Films ging und ich diese mit "Machtverhältnisse der Geschlechter" beantwortete, wurde schnell klar, dass das für Geldgeber kein relevantes Thema ist. Aber es gab schließlich keine argen Änderungswünsche und der Film wurde ja auch finanziert. Übrigens: Das ist der einzige finanzierte Spielfilm in Österreich von einer Frau in diesem Jahr.

dieStandard.at: Einige Elemente des Films - etwa das Morbide, Klerikale, Autorität - sind typisch für den österreichischen Film. War es Ihre Intention den Film in dieser Tradition zu gestalten?

Derflinger: Ich habe mich bemüht, leichter als Österreich zu sein. Also würde ich sagen: Das ist so passiert. So schön Österreich auch ist, aber wenn ich von Berlin zurückreise, bin ich schon bedrückt, wenn ich herkomme. Da ist so ein Grundgefühl, das ich mit den herrschenden Machtverhältnissen in Verbindung bringe. Etwa das Verhältnis zwischen Mann und Frau. Da glaube ich, wir leben in der Steinzeit. Die Männer sind wohl auch gedrückt von den Machtstrukturen, aber ich fühle mich zusätzlich gedrückt von den Machtstrukturen der Männer. So ist es wohl ein österreichischer Film geworden.

dieStandard.at: Sehr untypisch für Österreich ist die Zusammensetzung Ihres Teams, das aus sehr vielen Frauen besteht. Frauen sind in der Filmbranche mit 36 Prozent Anteil unterrepräsentiert. Zudem verdienen diese um 35 Prozent weniger als ihre Kollegen. Filmjurys sind mit Männern besetzt und wenn Frauen darin vorkommen, haben sie kein Stimmrecht. Was also raten Sie jungen filmschaffenden Frauen?

Derflinger: Ich rate ihnen laut zu schreien, sich bei Gagen nicht drücken zu lassen, dass sie sich zur Wehr setzen. Wir haben eine Plattform für filmschaffende Frauen gegründet, der sollten sie sich anschließen. FC Gloria nennen wir uns. Wir erarbeiten Konzepten und Strategien um sichtbar zu werden und es geht uns um das Vernetzt-Sein.

(Sandra Ernst-Kaiser, dieStandard.at 10.10.2010)