Die Botschaft des Buchs "Die große Verschleierung" erreicht diejenigen, die sich von einem Maulkorbgebot, was integrationspolitische Belange angeht, an den Rand gedrängt sehen.

Foto: Buchcover Die große Verschleierung. Für Integration. Gegen Islamismus / Verlag Kiepenheuer & Witsch

In ihrem jüngst erschienenen Buch nimmt sich die wohl bekannteste Feministin im deutschsprachigen Raum Alice Schwarzer "Die große Verschleierung" vor. Im Vorwort macht sie klar: Sie steht in echtem, weil persönlichem Dialog mit den "Anderen", den MuslimInnen, kennt keine "falsche" Toleranz. Die erst, so konstatiert Schwarzer, habe den religiös verbrämten radikalen Islamisten Tür und Tor geöffnet, sich "mitten in Europa" breit zu machen und parallelgesellschaftliche Unterwerfungsstrukturen zu formen. Unter welchen Frauen am stärksten zu leiden hätten, sind sie es doch, die unfrei in ihrer persönlichen Ermächtigung gehalten werden. Das Kopftuch, generell die Kleiderordnung, Haare und Körper zu bedecken, sei nur ein Ausdruck davon.

Entweder - oder

Für Schwarzer stellt sich die Problematik klar dar - und auch die Entscheidung, wofür und wogegen es sich gehört, einzustehen: Entweder man ist für das Recht auf Religionsfreiheit oder das auf Gleichstellung. Beides sei nicht möglich. Damit packt sie die feministische Leserschaft am Kragen: Bist du gegen das Kopftuchverbot, bist du gegen die Gleichstellung der Geschlechter.

Da ist sie ganz auf französischer Linie: Die feministische Philosophin Elisabeth Badinter, aktuell mit ihrem neuen Buch "Der Konflikt. Die Frau und die Mutter" im Gespräch, führt diese Ansicht in Schwarzers Reader vehement aus: "Das Kopftuch ist ein politisches Symbol!" Und nicht nur sie kommt zu Wort: "Die große Verschleierung. Für Integration. Gegen Islamismus" ist eine Zusammenschau von bereits in Schwarzers "Emma" erschienenen Beiträgen der letzten Jahr(zehnt)e.

Klare Aussagen, klares Feindbild

Die deutschtürkische Autorin Necla Kelek schildert darin eine Reise in ein sich radikalisierendes Istanbul, die deutsche Islamforscherin Rita Breuer beschreibt Mobbing gegen Mädchen ohne Kopftuch in Deutschland; "Emma"-Redakteurin Chantal Louis titelt ihren Beitrag gar: "Wehrt der Scharia in Ückendorf!", in dem sie vor der bereits praktizierten Anwendung der Scharia bei "uns" warnt. Die Rede der Halb-Algerierin Djemila Benhabib vor dem Pariser Senat für ein Kopftuchverbot in öffentlichen Einrichtungen ist ebenfalls abgedruckt wie die eindringliche Schilderung der Wissenschaftlerin Khalida Messaoudi-Toumi über den algerischen Widerstand gegen den islamischen Fundamentalismus. Anonyme Berichte vom Kopftuch- und sonstigen Zwang in traditionell islamischen Familien verdeutlichen die Stoßrichtung des Buches: "[...] es gibt klare Aussagen im Koran, die die angebliche Minderwertigkeit der Frauen festschreiben und das Recht des Mannes, sie zu schlagen."

Die Autorinnen erklären sich als Betroffene einer Problematik, die im politischen Islam begründet ist, ob jetzt selbst muslimischen Glaubens oder nicht: Keine(r) bleibe von den Veränderungen gesellschaftlicher Werte, die längst nicht nur von außen kommen, verschont. Schon gar nicht die Frauen. Der Schleier wird hier als Symbol aufgefasst, der aus den Anderen, der Minderheit, die Überlegenen in einem Reinheitskanon, dem Frauen unterworfen werden, macht.

Maulkorb-Populismus

Schwarzer versteht es als ihre Aufgabe, hinter den Schleier - der angenommen eigentlichen, schlimmen Absichten der Islamisten wie der "falschen" Toleranz des Westens - zu blicken: "Hinsehen. Genau hinsehen!" versteht sich als Appell an eine Allgemeinheit, die in diesen Zeiten ohnehin hyperalarmiert ist. Die Botschaft erreicht diejenigen, die sich von einem Maulkorbgebot, was integrationspolitische Belange angeht, an den Rand gedrängt sehen. Die, die gegen die "gutmenschelnden" Multikultis sind, schon immer. In diesem Buch wird stellvertretend durch Expertinnen und vom Schrecken des Islams Betroffen Luft gemacht, hier wird Tacheles geredet, endlich. Als gäbe es in Deutschland nicht genug Sprachrohre wie Thilo Sarrazin oder die NPD, in Österreich die Blauen, die in das selbe Horn blasen: Vorsicht, die Andersgläubigen bringen unsere Gesellschaft um!

Zwang gegen Zwang

"Wehret endlich den Anfängen", appelliert auch Schwarzer. Was impliziert diese Aufforderung? Sollen wir wie die marodierenden Islamisten in Afghanistan den Gesichtern Gesicht geben und die Schleier herunter reißen? Nulltoleranz signalisieren? Renitente Individuen ausweisen, Familienverbände zerschlagen? Zwang gegen Zwang? Verbote gegen Verbote? Der Tenor des Buches ist deutlich: Ja, es muss beginnen, mit einem umfassenden Kopftuchverbot an Schulen. Nicht nur für Lehrerinnen, auch für Schülerinnen. So könne man gleichsam ein neutrales Terrain inszenieren, in dem es nichts Trennendes gibt.

Über ihre Köpfe hinweg

Eine "Entschleierung" kann klarerweise gesetzlich erzwungen werden; mehr als ein "politisches Symbol" wäre sie nicht, schon gar nicht für eine gelungene Integration, ebenso wenig wie das Kopftuch mehr für gegenteilige ist. Was durch die wortgewaltigen, teils berührenden Schilderungen und dargelegten Forderungen deutlich wird: Dass, festgemacht an einem Stückchen Stoff, dem alles Rückständige der Anderen zugeschrieben wird, der Kulturkampf auf den Köpfen der Mädchen und Frauen tobt. Und über ihre Köpfe hinweg. Gegen den Feind "mitten unter uns". Was bleibt, ist der Eindruck, dass das Unbehagen mit der "Verschleierung" viel größer ist als ihr tatsächliches Ausmaß. (Birgit Tombor/dieStandard.at, 12.10.2010)