Frauen beraten Frauen (Hg.): "In Anerkennung der Differenz. Feministische Beratung und Psychotherapie." Konzept und Durchführung des Buchprojektes: Traude Ebermann, Julia Fritz, Karin Macke und Bettina Zehetner. Psychosozial-Verlag 2010, EUR 26,90, ISBN 978-3-8379-2045-1

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Bettina Zehetner bei der Präsentation des Buches "In Anerkennung der Differenz", in dem Texte von Therapeutinnen, Sozialwissenschaftlerinnen, Psychologinnen und Analytikerinnen versammelt sind.

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"Frauen beraten Frauen" wurde als erste Wiener Frauenberatungsstelle gegründet und bietet Beratung, Psychotherapie und gezielte Weitervermittlung an spezialisierte Einrichtungen. Zum 30-jährigen Jubiläum dieses Jahr gab der Verein den Sammelband "In Anerkennung der Differenz" heraus, mit dem feministische Beratung und Psychotherapie "aus dem Nischendasein befreit und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht" werden soll, so die "Frauen beraten Frauen"-Mitarbeiterinnen Traude Ebermann und Bettina Zehetner im Vorwort. Beate Hausbichler sprach mit Bettina Zehetner über einen kollektiven Streik von Versorgungsarbeiterinnen, die steigende Nachfrage von Online-Beratung und die nur wenig veränderten Problemlagen der Frauen.

dieStandard.at: Was kann man sich unter feministischer Beratung und Psychotherapie vorstellen?

Bettina Zehetner: Aufgrund er Vielfalt ist es etwas schwierig von "einer" feministischen Psychotherapie oder Beratung zu sprechen. Was allerdings alle Richtungen verbindet, ist die gesellschaftskritische Haltung. Wir wollen daran arbeiten, dass sich der Umstand, dass Frauen noch immer unter schlechteren Verhältnissen leben, endlich ändert. In den einzelnen Methoden gibt es dann sehr viele Unterschiede.

dieStandard.at: Die Autorinnen beschreiben frauenzentrierte Beratung unter anderem auch so, dass dabei die Wünsche von Frauen auch dann zu unterstützen sind, wenn diese lauten, dass eine Frau zum Beispiel zu ihrem gewalttätigen Partner zurück will. Wir geht das mit einem Frauen bestärkenden Anspruch zusammen?

Zehetner: Dazu muss man sagen: Frauen wollen nicht in einer gewalttätigen Beziehung bleiben, sondern sie wollen die Beziehung ändern und dass die Gewalt aufhört. Nur – sie hoffen oft sehr lange auf Veränderungen, die leider nicht eintreten. Aber es ist de facto so, dass die Frau uns den Auftrag gibt. Wenn sie sich nicht trennen will, müssen wir sie bei der Veränderung der Beziehung unterstützen. Wenn ich aber sehe, dass sich da nichts tut, muss das auch offen angesprochen werden und geklärt werden, was sich die Frau von der Beratung erwartet.

Die Ansage "du solltest dich trennen" bekommen diese Frauen ohnehin überall zu hören. Für die einzelne Beraterin ist das aber eine enorme Belastungsprobe. Ich habe auch im Frauenhaus gearbeitet und wenn eine Frau nach einem längeren Beratungsprozess dann doch wieder zurückgeht, ist das nicht einfach.

dieStandard.at: Wie sieht es denn mit feministischen Positionen oder Gender Studies in der Ausbildung für PsychotherapeutInnen oder AnalytikerInnen aus?

Zehetner: Das gibt es noch nicht im verpflichtenden Curriculum. Es ist aber mittlerweile zumindest möglich Seminare zu frauen- oder genderspezifischen Themen zu machen. Somit braucht es aber noch immer das Engagement von Einzelnen, die diese Haltung und dieses Wissen in die Beratung einbringen.

dieStandard.at: Der Verein "Frauen beraten Frauen" feiert sein 30-jähriges Bestehen. Haben sich die Anliegen und Probleme von Frauen in den letzten dreißig Jahren verändert?

Zehetner: Für uns ist dramatisch, dass sich leider nicht viel verändert hat. Meine Kollegin Margot Scherl, eine Gründerin des Vereins, bedauert auch immer sehr, dass von den Anfängen bis heute die Themen nach wie vor sehr ähnlich sind.

Armut ist ein wichtiges Thema und ist in den letzten Jahren wieder verstärkt aufgekommen. Scheidung und Trennung sind die häufigsten Themen – immer noch. Wir haben allerdings den Eindruck, dass sich heute mehr Frauen trauen, Informationen zu suchen und das auch früher tun. Es wird nicht mehr so lange gewartet, wie noch vor zwanzig Jahren. Dennoch stellen wir fest, dass viele Frauen kaum über ihre Rechte und Ansprüche etwa innerhalb einer Ehe informiert sind. Auch machen sie sich relativ wenig Gedanken, bevor sie diese Lebensform für sich wählen und fragen sich nicht "was heißt das eigentlich für mich?". Psychosomatische und psychische Erkrankungen aufgrund von Anpassungen an krankmachende Verhältnisse sind auch heute wie vor vielen Jahren ein starkes Thema.

dieStandard.at: Sie haben im Buch einen Beitrag über Online-Beratung geschrieben. Wie kann Beratung auf dieser doch sehr unpersönlichen Ebene gelingen?

Zehetner: Es gelingt sehr gut. Das ist einer der am schnellsten wachsenden Bereiche bei uns. Wir haben 2006 mit etwa 250 Online-Beratungen pro Jahr angefangen, dieses Jahr hatten wir bis jetzt schon 1.200 Online-Beratungen. Man stellt sich diese Beratung vielleicht weniger emotional vor, als sie es dann tatsächlich ist. Die Frauen kommen mitunter viel schneller zum Punkt als in der Face to Face- Beratung. Dabei ist die Anonymität ein wichtiger Faktor und die Frauen erzählen Dinge, die sie etwa am Telefon nie erzählen würden. Es ist auch eine tolle Erfahrung, dass wir damit ganz neue Zielgruppen erreichen. Der Prozess des Schreibens ist auch wichtig, viele meinen, dass allein durch das Schreiben schon vieles klarer und leichter wurde.

dieStandard.at: Im Sammelband wird auch feministische Paarberatung angesprochen. Wie viele Männer gehen mit ihrer Partnerin zu einer Beraterin, die sich explizit einer feministischen Praxis verpflichtet sieht?

Zehetner: Das ist sicher für viele Männer eine suspekte Sache. Auch ist es für die Therapeutin schwierig, weil diese parteiliche Haltung in der systemischen Arbeit (Anm.: Eine systemische Beratung lenkt die Aufmerksamkeit auf das System der Teilnehmenden, bzw. auf das Familien- oder Paarsystem) nicht hinhaut. Es müssen natürlich auch Männer zu Wort kommen, es soll ja auch ausgewogen sein. Ich glaube auch, dass in Fällen von Gewalt systemische Paarberatung nicht wirklich greift, viele Frauen trauen sich da einfach nicht, etwas zu sagen. Für diese Frauen ist ein geschützter Rahmen ganz wichtig. Aber in anderen Fällen stelle ich schon fest, dass sich auch Männer für feministische Beratung interessieren – nachdem sie ihre Skepsis geäußert haben.

dieStandard.at: Die Frauenberatungsstelle will den Fokus auf das "eigene" Leben richten. Gibt es bei jungen Frauen wirklich noch viele, die sich in erster Linie nach dem Leben des Partners orientieren?

Zehetner: Bei den Frauen, die zu uns in die Beratung kommen, leider schon sehr oft. Ich unterrichte auch auf der Uni und denke, dass dort die Frauen doch mehr auch auf ihr eigenes Leben bedacht sind. Aber sobald Kinder kommen wird es auch dann ganz häufig wieder traditionell. Die Karriere des Partners wird in den Vordergrund gestellt und die Frauen machen die unbezahlte Arbeit. Im Ausbildungszeitraum haben Frauen und Männer oft noch gleiche Chancen und Möglichkeiten, mit der Familiengründung verändert sich das aber.

dieStandard.at: Die feministische Beratung beschäftigt sich offensichtlich sehr viel mit Problemen, die in heterosexuellen Beziehungen entstehen. Beraten Sie auch Frauen, die in lesbischen Beziehungen leben und ähnliche Probleme haben?

Zehetner: Bei zwei Frauen kommt vielleicht weniger diese Hierarchie von außerhalb in die Beziehung rein. Aber auch Frauenpaare, gerade solche mit Kinderwunsch, haben Schwierigkeiten mit den Strukturen von bezahlter/unbezahlter Arbeit. Damit geht auch Gewalt einher im Sinne "die, die das Geld nach Hause bringt, schafft an". Es ist nicht sehr häufig, aber ab und an habe ich hier schon ähnliche Muster wie in heterosexuellen Beziehungen festgestellt.

Wir haben schon auch dezidiert den Wunsch, lesbische Frauen einzuladen und sie sind auch auf unserer Homepage als Zielgruppe angesprochen. Ich hoffe, dass es sie auch erreicht. Auch bei unseren Beraterinnen schauen wir, dass Vielfalt gewährleistet ist.

dieStandard.at: Sie haben im Buch ihre persönliche Vision einer feministischen Zukunft formuliert. Damit sich etwas verändert, haben sie einen "kollektiven Streik der Versorgungsarbeiterinnen" vorgeschlagen. Wie könnte es dazu kommen?

Zehetner: Es gibt eine große Macht, die ungenützt bleibt, weil die unbezahlten Versorgungsarbeiten so bereitwillig geleistet werden. Es ist aber in der Praxis sicher schwer, weil es dann die eigenen Kinder oder die älteren Angehörigen betrifft. Aber es würde relativ schnell zum Chaos führen, das dann Handlungsbedarf erzeugen würde und es wäre eine Bremse in diesem schneller werdenden kapitalistischen System.

dieStandard.at: Sie schreiben in ihrer feministischen Vision auch davon, dass das klassische Modell der Erstfamilie nur eine Form des Zusammenlebens neben vielen anderen sein wird. Welche politischen Voraussetzungen müssten dafür geschaffen werden?

Zehetner: Es ist wichtig, dass man für jede gewählte Lebensform auch bestimmte Rechte erwerben kann. Es müssen verschiedene Wahlmöglichkeiten zur Disposition gestellt werden. Langsam geht es ja in diese Richtung, da gibt es zumindest mal die eingetragene Lebenspartnerschaft – allerdings wurde das recht halbherzig umgesetzt, es gibt zum Beispiel kein Adoptionsrecht. Mehr Flexibilität bei den Rechten und Ansprüchen sind aber notwendig. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 4.11.2010)