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Alina Treiger, erste in Berlin ordinierte Rabbinerin seit 1935.

Foto: REUTERS/Odd Andersen

"Entschuldigen Sie, ich bin ein wenig aufgeregt", gibt Alina Treiger am Donnerstagmorgen unumwunden zu, als sie von JournalistInnen befragt wird. Schließlich schreibt sie an diesem Tag Geschichte. Die 31-Jährige ist seit dem Holocaust die erste Frau, die in Deutschland Rabbinerin wird. Auch davor hat es nur eine einzige in Deutschland ausgebildete Rabbinerin gegeben: Regina Jonas, die 1935 in Berlin ordiniert und 1944 in Auschwitz ermordet wurde.

An den Moment, als Treiger im Jüdischen Museum in Berlin zum ersten Mal vor einem Porträt ihrer Vorgängerin (und ihres Vorbildes) Jonas stand, erinnert sie sich gut. Ein "unglaublicher Moment" sei das gewesen. Da sei ihr bewusst geworden: "Das war die erste Rabbinerin, und ich werde die zweite sein."

Anders als Jonas wurde Treiger in ihrer Kindheit im ukrainischen Poltawa nicht religiös geprägt. Der kleinen Alina prägt sich aber ein, dass ihr Vater nicht studieren darf, weil er Jude ist. Stattdessen schuftet er in einer Fabrik. Doch dann weckt ein Rabbiner bei einem Sommerlager Treigers Interesse an ihren jüdischen Wurzeln. Die junge Frau engagiert sich in der jüdischen Gemeinde und baut einen Jugendklub auf. Sie studiert Musik, weiß aber bald, dass diese immer Nebensache bleiben wird - sie möchte Rabbinerin werden. Als die Weltunion des Progressiven Judentums (WUPJ) ihr das Studium in Deutschland anbietet, sagt sie sofort zu.

2001 kommt sie in Berlin an. Sie hat nur einen kleinen Koffer mit, spricht kein Deutsch. Sechs Jahre lang studiert sie in Potsdam und Heidelberg und muss in dieser Zeit gegen viele Vorurteile ankämpfen. Eine Frau könne höchstens zur Gemeindearbeiterin ausgebildet werden. Oder: Eine, die Rabbinerin werden will, sei sicher lesbisch.

Jetzt, nach ihrer Ordination in der Berliner Synagoge, tritt Treiger ihre erste Anstellung in Oldenburg (Niedersachsen) an. Dort leistete die jüdische Gemeinde 1995 schon Pionierarbeit, indem sie die erste Rabbinerin in Deutschland (die in der Schweiz ordinierte Bea Wyler) einstellte. Orthodoxe Jüdinnen und Juden waren entsetzt, der damalige Zentralrats-Vorsitzende Ignaz Bubis erklärte, nie und nimmer werde er den Gottesdienst einer Rabbinerin besuchen.

Treiger will gegen diese konservative Einstellung gar nicht erst ankämpfen. "Sie haben ihre Lebensweise, ich habe eben eine andere." Ihr Augenmerk gilt der Jugend. Dieser will sie eine "positive Identifikation" mit dem Judentum mitgeben. (Birgit Baumann/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5.11.2010)