Psychologin Christine Baldauf: "Die meisten Frauen hoffen immer wieder aufs Neue auf eine gewaltfreie Beziehung mit dem Täter. Manche Frauen, die ich beraten habe sind auch mehrmals zurückgegangen, aber es hat sie gestärkt, dass sie wussten, im Gewaltfall gesetzlichen Rückhalt zu haben."

Foto: privat

dieStandard.at: Was hat sich in den vergangenen zehn bis 15 Jahren zum Thema "Gewalt an Frauen/in der Familie" für Frauen getan?

Christine Baldauf: Es hat sich Enormes getan! Mit dem Gewaltschutzgesetz und dessen Nachbesserung vor zwei Jahren wurde ein guter Schutz für Betroffene etabliert, weil eigene Opferschutzeinrichtungen damit betraut sind und weil die Betroffenen - hauptsächlich Frauen und Kinder - nun gute Unterstützung und Begleitung bekommen. Durch die sogenannte "Normverdeutlichung" nimmt es der Gesetzgeber nun nicht mehr hin, dass Gewalt in der Familie als Kavaliersdelikt gilt: Es ist kriminell, wenn man seine Familienmitglieder schlägt.

Auch in der Gesellschaft hat dahingehend in den vergangenen Jahren ein gewisses Umdenken stattgefunden, vor allem dank der guten Zusammenarbeit von Interventionsstellen/Gewaltschutzzentren, Polizei, Gericht und anderen Institutionen, die weiter forciert werden muss. Ärzte und Krankenhäuser sollten zum Beispiel noch mehr einbezogen werden, um Menschen mit Gewalterfahrung optimal erstversorgen zu können* und betroffene Frauen sollten, egal, wohin sie sich im Notfall zuerst wenden, automatisch an die richtige Ansprech- und Beratungsstelle weiterverwiesen werden.

dieStandard.at: Wie gut funktioniert die Zusammenarbeit zwischen den Opferschutzeinrichtungen und Beratungsstellen?

Vor allem die Fraueneinrichtungen sind in Österreich sehr gut vernetzt. Das ist sehr wichtig, denn manchmal taucht das Thema Gewalt unvermutet in einem Beratungsgespräch zu einem anderen Thema auf. Dann gilt es aufzuklären, weiterzuvermitteln, den Kontakt zum Gewaltschutzzentrum bzw. den Interventionsstellen und/oder einem Frauenhaus herzustellen. In Folge können die Betroffenen bei Scheidungsverfahren und in der Existenzsicherung weiterhin von uns unterstützt werden.

dieStandard.at: Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen Interventionsstellen und Polizei aus?

Wenn ein Opfer häuslicher Gewalt die Polizei um Hilfe ruft, kann diese ein vierzehntägiges Betretungsverbot für den Täter anordnen und tut das auch unabhängig vom Wunsch des Opfers. Im Idealfall benachrichtig die Polizeistelle ehest möglichst die Interventionstelle gegen Gewalt in der Familie. Deren MitarbeiterInnen kontaktieren dann das Opfer, weil die Betroffenen in ihrer Krisensituation selten genug handlungsfähig sind. In den meisten Fällen sind die Opfer sehr dankbar für diese kostenlose Unterstützung. Sie bekommen dann einen Beratungstermin, bei dem die rechtlichen Möglichkeiten besprochen werden und sie werden, wenn sie wollen, durch den ganzen Prozess weiterbegleitet und müssen von da an nicht mehr mit dem Gewalttäter zusammenleben. Sie können das Betretungsverbot mittels Antrag bei Gericht verlängern, dabei werden sie von Gewaltschutzzentren unterstützt.

dieStandard.at: Nehmen die Frauen das Angebot in der Mehrheit gleich an oder ist das eine längere Entwicklung?

Das ist ganz verschieden: Manche nehmen es sofort an und gehen den ganzen Weg hinaus aus der Gewaltbeziehung, für manche ist es ein längerer Prozess und sie brauchen mehrere Anläufe. In jedem Fall ist es für sie ein Gefühl der Stärke und der Sicherheit, wenn die Betroffenen wissen, wohin sie sich wenden können, wenn sie Unterstützung brauchen.

dieStandard.at: Wenn Frauen sich entschließen, doch wieder zum Gewalttäter zurückzugehen - wie erleben Sie das als Beraterin?

Es wäre zu viel verlangt, den Klientinnen vorzugeben, dass sie sich sofort von den Männern trennen müssen. Es besteht da eine ungerechte Vorwurfshaltung vonseiten der Gesellschaft, à la "Jetzt ist sie noch immer mit dem zusammen". Das ist mitunter ein langer Prozess, bis Opfer es schaffen, sich vom Gewalttäter zu lösen.

Die meisten Frauen hoffen immer wieder aufs Neue auf eine gewaltfreie Beziehung mit dem Täter. Manche Frauen, die ich beraten habe sind auch mehrmals zurückgegangen, aber es hat sie gestärkt, dass sie wussten, im Gewaltfall gesetzlichen Rückhalt zu haben.

Viele Frauen bekommen auch immer wieder Versprechungen von den Tätern, dass diese sich ändern werden. Diese Mischung aus Nettigkeit und Gewalt ist sehr gefährlich und hat oft schlimme Auswirkungen auf die Psyche der Opfer: Aus der Opferforschung weiß man, dass Menschen, die bedroht werden, durch die chronische Traumatisierung eine unangemessene Bindung an die Person entwickeln, das ist eine Überlebensstrategie: Frau hofft, sich so verhalten zu können, dass es nicht mehr zu Gewalt kommt. Das funktioniert aber nie und die Opfer verlieren sich dabei selbst immer mehr. Es wäre wünschenswert, wenn für diese Mechanismen in der Gesellschaft mehr Verständnis da wäre.

dieStandard.at: Wie kooperieren Sie mit Männerberatungsstellen?

Wir geben betroffenen Frauen Informationen über das Anti-Gewalt-Training für Gewalttäter weiter. Das primäre Ziel dieses Trainings ist die Beendigung der Gewalt und die Verhinderung weiterer Gewalttaten. Es kann funktionieren, dass Täter den Rat ihrer Frau befolgen und hingehen, wenn sie merken, dass das die letzte Chance für ihre Beziehung ist.

Nur die wenigsten Täter nehmen aber die Hilfe einer Männerberatungsstelle in Anspruch, deshalb wäre es gut, wenn das Gericht das viel öfter verpflichtend anordnen würde. Es gibt die Meinung, wenn Täter Therapie machen, hören sie mit der Gewalt auf - das stimmt aber so nicht: Es braucht ein Anti-Gewalt-Training, das ist etwas anderes als eine Therapie. Garantie, dass es danach nie mehr zu Übergriffen oder Psychoterror kommt, gibt es natürlich keine, aber es ist immerhin ein Ansatz.

dieStandard.at: Wie sieht der "typische" Beratungsalltag in der Opferberatung aus? 

Einen typischen Beratungsverlauf gibt es selten. Wir im Frauentreffpunkt haben neben den Beratungsterminen auch einen Journaldienst, wo frau spontan vorbeikommen, anrufen oder sich einen Termin ausmachen kann, je nach Dringlichkeit des Problems. Je nach Problemlage versuche ich, die Betroffenen zunächst über ihre rechtlichen Möglichkeiten aufzuklären. Wenn für das Opfer akute Gefahr besteht, sind die ersten Ansprechstellen Polizei, Gewaltschutzzentren oder Frauenhäuser, wo ich sie hin vermittle.

Viele Frauen wissen gar nicht, dass sie, wenn sie eine Anzeige machen, nicht mehr mit dem Täter zusammenleben müssen, es wird zum Glück aber immer bekannter. Die Angst, wieder zurückgehen zu müssen, können wir den Frauen nehmen. Ich erkläre ihnen außerdem, dass sie nicht alleine sind in ihrer Situation, sondern Unterstützung durch das Gewaltschutzzentrum bekommen. Mit den Kolleginnen von dort arbeite ich dann oft weiter zusammen, weil bei uns die Beratung zu Scheidung und materieller Existenzsicherung stattfindet und sie die Prozessbegleitung im Strafverfahren übernehmen.

In Situationen wo Frauen sich trotz Betretungsverbot des Täters zu Hause nicht gut geschützt fühlen, zum Beispiel wenn sie mit Verwandten des Täters zusammenleben, werden die Opfer zum Frauenhaus vermittelt.

dieStandard.at: Wie sollen Nachbarn oder das Umfeld reagieren, wenn sie wissen, dass eine Frau daheim Gewalt erfährt?

In einer Akutsituation, wenn Gefahr in Verzug ist, sollte man gleich die Polizei holen - lieber einmal zu oft! Polizei und Gericht sind meist das Einzige, was den Täter zur Räson bringt. Es gibt auch immer die Möglichkeit, sich im Gewaltschutzzentrum oder bei der Interventionsstelle beraten zu lassen, was man tun soll, wenn man von einer von Gewalt betroffenen Frau weiß, aber nicht sicher ist, ob man zur Polizei gehen soll. Wenn man die Betroffene persönlich kennt, kann man sie auf die Einrichtungen hinweisen und erklären, dass und wie ihr dort geholfen werden kann.

dieStandard.at: Ist es mit einer Strafe verbunden, wenn eine Frau ihren Mann nach einer Wegweisung wieder in die Wohnung lässt?

Die Frau muss die 14-tägige Frist beim Wegweisungsrecht einhalten, die Polizei überprüft das meist innerhalb von 48 Stunden nach Anordnung eines Betretungsverbotes. Hält sie sich nicht daran, kann sie mit einer Verwaltungsstrafe belegt werden, ebenso der Täter. Wenn das Betretungsverbot abgelaufen ist und keine einstweilige Verfügung den Schutz des Opfers verlängert, kann der Täter wieder in die Wohnung.

dieStandard.at: Gibt es ein Stadt-Land-Gefälle, was das Thema Gewalt in der Familie betrifft?

Es wird stetig daran gearbeitet, in den Gemeinden Beratungsstellen einzurichten, aber es ist für Frauen am Land trotzdem noch immer viel schwieriger, die Polizei zu holen, weil die Anonymität dort nicht gegeben ist. Diese alten, gewachsenen Strukturen und der vielerorts konservative Geist, die alten Rollenbilder und Machtverhältnisse am Land sind ein Problem, Gewalt in der Familie ist ein großes Tabuthema. Im Idealfall gibt es Zentren, in denen mehrere Institutionen gleichzeitig ihre Beratung anbieten und die Stelle gegen familiäre Gewalt nicht so gekennzeichnet ist, dass alle wissen, wo die Frau hingeht. Dann ist die Hemmschwelle geringer.

dieStandard.at: Wie setzt sich Ihr Team in der Salzburger Beratungsstelle "Frauentreffpunkt" zusammen?

Da wir ganzheitliche Beratung anbieten, sind wir ein gemischtes Team aus Psychologinnen, Juristinnen, einer Pädagogin und einer Politikwissenschafterin. Wenn eine Frau zum Beispiel zu uns kommt, die sich trennen möchte, dann kommen zuerst die existenziellen Ängste zur Sprache, dann stellt sich vielleicht heraus, dass auch Psychoterror und physische Gewalt in der Beziehung sind, es gibt vielleicht mit den Kindern Probleme und durch unser breit gestreutes Angebot können wir in all diesen Bereichen vor Ort Hilfe anbieten. Besonders wichtig ist uns dabei, dass die Frauen selbst die Expertinnen für ihr Leben sind und dass wir nicht über ihren Kopf hinweg, sondern gemeinsam mit ihnen entscheiden, welche Schritte die nächsten sind.

dieStandard.at: Wo sind Ihnen als Beratungsstelle Grenzen gesetzt? Gibt es Fälle, in denen Sie nicht weiterhelfen können?

Dort, wo zu viele Faktoren zusammenkommen und die Betroffene den Alltag nicht mehr bewältigen kann. Wenn die Person stark traumatisiert ist und keine FreundInnen oder Verwandte zur Unterstützung da sind, dann ist es sehr hilfreich, den Frauen und ihren Kindern zunächst einen sicheren Platz im Frauenhaus zu bieten, wo sie die nötige rechtliche und psychosoziale Unterstützung vor Ort bekommen.

dieStandard.at: Und was tun Sie als Beraterin, wenn sie bei der Arbeit an ihre persönlichen Grenzen stoßen?

Supervision, der Austausch mit Kolleginnen und ein gutes Betriebsklima sind sehr wichtig. Es ist ein schützender Faktor, wenn man im Privatleben einen guten Ausgleich zum Beruf findet, sei es durch Familie und kreative Hobbys. Was mir in der Arbeit als Beraterin andererseits immer sehr viel Freude vermittelt hat, war die Möglichkeit, den Frauen Hilfe zu bieten, die wirklich ankommt und wirkt. Zu sehen, wie Frauen, die lange Zeit in einer destruktiven Gewaltbeziehung gelebt haben, den Weg hinaus gehen und wieder zu einer hohen Lebensqualität finden - das macht schon zufrieden. (Isabella Lechner/dieStandard.at, 25.11.2010)