Helga Emperger erinnert sich, unter anderem an Feldern voller wilder Minze.

Foto: Copyright ⓒ 2009 Jenny Gand

"Kinder zieht euch warm an", fordert Maria Peskoller ihre Kinder auf. Der Gestapo steht in der kleinen Wohnung und nimmt sie und ihre Kinder Helga und Roswitha mit. "Zwei Unterhemden, zwei Unterhosen..., zieht euch warm an", erinnert sich Helga Emperger an die eindringlichen Worte, die ihre Mutter vor über 65 Jahren an sie und ihre jüngere Schwester richtete.

Der "rote" Vater die meiste Zeit inhaftiert

Eine traurige Erinnerung von Helga Emperger unter vielen. In dem Dokumentarfilm "Wilde Minze" erzählt die heute 80-jährige von ihrer Kindheit und Jugend mit Eltern, die sich dem Widerstand verschrieben haben. Ein politischer Kampf, den ihre Mutter nicht überlebt hat. Am 23. Dezember 1944 wurden nach einem Urteil des berüchtigten Volksgerichtshofpräsidenten Roland Freisler acht Todesurteile vollstreckt, unter den Ermordeten war auch die Kommunistin Maria Peskoller. Ihre damals 16-jährige Tochter Helga entging einer Anklage. Helga Emperger erzählt den Filmemacherinnen Lisa Rettl und Jenny Gand von ihrer Mutter, von Besuchen und Zusammenkünften mit anderen WiderstandskämpferInnen und PartisanInnen, von Menschen, die bei ihnen Unterschlupf fanden und mit denen nur geflüstert werden durfte - und das auch nur ausschließlich im Schlafzimmer. Der Vater, ein bekannter "Roter", bekam schon Mitte der 30er Schwierigkeiten mit dem Regime und wurde 1935 das erste Mal wegen kommunistischer Betätigung inhaftiert, bis Kriegsende befand sich Josef Peskoller die meiste Zeit in Haft. In diesen Jahren wurde Maria Peskoller zu einer wichtigen Figur der Villacher Widerstandsbewegung. Auch die junge Helga übernahm kleine Arbeiten wie die Übermittlung politischer Nachrichten oder den Transport von Flugzettel, "das war ganz selbstverständlich", erzählt Helga Emperger.

Als ob es gestern passiert wäre

Wenn Helga Emperger von ihrer "Mama" erzählt, wirkt sie wieder so jung, wie sie war, als sie ihre Mutter verlor. Vorsichtig breitet sie ein Halstuch auf dem Küchentisch aus und zeigt ein Armband her. Beides Geschenke ihrer Mutter, beides wirkt wie neu und ungetragen, "das ist alles, was ich noch von meiner Mama habe", so Emperger. Die 80-jährige berichtet von Ereignissen so, als ob sie gestern passiert wären. Vor allem, wenn sie davon spricht, wie sich ihre Mutter wohl gefühlt haben mag, scheint keine einzige Minute der vergangenen 65 Jahre irgendetwas geheilt zu haben. So steht Helga Emperger auch etwas ratlos vor einem Mahnmal aus Glas in Villach, sie betont zwar, dass solche Stätten wichtig wären, aber irgendwie scheint es, dass sie ihr doch zu wenig sind. Auch an ihrem eigenen Engagement zweifelt Helga, die als Sekretärin bei der KPÖ-Bezirksleitung in Villach arbeitete und sich politisch unter anderem in der Friedensbewegung oder dem Verein "Erinnern" engagiert. 

Eine persönliche Zeitreise

"Wilde Minze" ist eine ganz persönliche Zeitreise über das Leben von und mit WiderstandskämpferInnen. Der Film erzählt weniger von der politischen Tragweite oder HeldInnentum, sondern vom Alltag mit ihren Familien und Kindern, für die dieses Engagement das Normalste der Welt war und die nun mit den Verbrechen gegen die Eltern oder Verwandten  leben müssen. Der Verlust ihrer Mutter gehört für Helga Emperger nicht zur Vergangenheit, noch immer weiß sie jedes Jahr nicht, wie sie den 23. Dezember bewältigen soll. (beaha, dieStandard.at, 17.11.2011)